Montag, 22. Juli 2019. Es ist ein warmer Nachmittag. Die Spiel des Jahres Verleihung ist vorbei und nachdem die Eilmeldungen nun durch die einhelligen Online-Medien gegangen sind, konnte man die Geschehnisse schon kurz sacken lassen. Was genau ist heute eigentlich passiert?
Der Verein Spiel des Jahres hat zur Verleihung des begehrten und einflussreichsten Preises der Brettspielbranche geladen. In zwei Kategorien gab es je drei Nominierungen über die im Vorfeld auf unterschiedlichen Plattformen ausgiebig berichtet bzw. rezensiert wurde. Die Verleihung fand erstmalig im Hotel nhow Berlin statt. Mit kleineren Änderungen im Ablauf, aber im Großen und Ganzen mit den bekannten Vertretern der Spielemedien und einigen etablierteren Kanälen.
Der erste Spannungsknoten platzte dann gleich mit der Enthüllung des Kennerspiel des Jahres 2019. Flügelschlag von Elizabeth Hargrave konnte die Jury für sich gewinnen. Das ist eine nachvollziehbare und mehr noch gute Wahl. Dem Anspruch der Jury hier das Kulturgut Brettspiel voranzutreiben und auch präsenter zu machen, wird hier Rechnung getragen. Das liegt natürlich auch an der Aufmachung des Spiels. Viele kritisierten gerade das bei Carpe Diem von Altmeister Stefan Feld. Aber auch die zeitlichen und inhaltlichen Anforderungen an die Spielgruppe spielen hier eine Rolle. Ein Punkt bei dem Detective von Ignacy Trzewiczek sicher so manche Grenze überschreitet, wenn über mehrere Spielsitzungen hinweg über Mordfälle gesprochen werden muss. Aber im Umfeld gab es auch Kritik an der vermeintlich geringen Spieltiefe des Erstlingswerks Flügelschlag.
Jedoch muss man sich hier auch fragen, ob es tatsächlich die Spieltiefe ist, die unerfahrene Neuspieler zu überzeugen weiß und ans Hobby bindet. Denn auch der Kennerspiel-Preis will nicht die eingeschworene Vielspielergemeinde für sich gewinnen, sondern den neu Interessierten den Weg zum Vielspieler-Dasein ebnen.
Anders gesagt: ein Kennerspiel-Preis ist ein Vorgeschmack auf mehr Anspruch und mehr Tiefe im Brettspiel. Es ist Andeutung, dass es in diesem Hobby auch noch mehr Herausforderungen zu entdecken gibt. Er ist jedoch nicht der Preis, der eben diese Komplexität und diesen Anspruch hochzuhalten versucht. Die attraktive Aufmachung des Siegers ist also nicht Blendwerk, sondern essentieller Bestandteil des gesamten Spiels und des Mehrwerts. Es macht nicht nur Lust auf mehr, es nimmt diesem „mehr“ auch ein klein wenig das Einschüchternde und Überfordernde.
Die Preise der Jury zielen augenscheinlich darauf, wie sie auf die Leute wirken, welche das Hobby eben nicht jede Minute des Tages atmen. (Ja, ich weiß auch nicht wie das gehen soll.) Auch wenn mäkelnde und krittelnde Stimmen gerne anderes behaupten: Brettspiele müssen niemandem mehr noch beweisen, dass sie aktuell, interessant oder relevant sind. Das sind Gefechte, die im Großen und Ganzen gewonnen sind. Nicht zuletzt der jährliche Umsatzzuwachs sendet da deutliche Signale.
Jetzt ist es an der Zeit das Hobby für neue Gesichter und neue Ideen zu öffnen. Da ist eine attraktive Illustration nicht Schmuckwerk, sondern zentraler Bestandteil. Da ist ein unterrepräsentiertes Thema nicht Gimmick sondern eine Ansage. Die Außenwirkung der SdJ-Nominierung und Auszeichnung ist Sinn und Zweck des Ganzen.
Es geht darum ein Bild zu formen, welches die selten-spielenden Schichten der Gesellschaft nicht nur tolerieren können, sondern dass sie abzuholen weiß. In dieser Hinsicht war diese Verleihung in mehrerer Hinsicht ein Erfolg. So waren die Kurzvorstellungen bei der Nennung der Nominierten auch diesmal wieder mit einem kurzen Video vertreten. Anders als in den Jahren zuvor, wurde nicht versucht das Spielerlebnis von außen in Bildern einzufangen. Stattdessen durften einzelne Jury-Mitglieder den Reiz des nominierten Spiels in eigenen Worten kurz erläutern.
Das hatte zur Folge, dass man der sonst oft nur als schemenhaft bekannten Jury Gesichter zugewiesen werden konnten, sondern auch Stimmen und auch ein gewisser Charakter. Wenn Julia Zerlik über Werwörter spricht, Harald Schrapers über L.a.m.a. oder Udo Bartsch über Detective, dann ergibt das alles mehr Sinn und ist auch nachvollziehbarer, als es die erklärende Off-Stimme in den Videoeinspielern der letzten Jahre war. Das Menschliche steht im Spiel im Vordergrund und nun auch bei den Spielen, welche die Jury für besonders preisverdächtig hält.
Aber der Außenwirkung wurde nicht nur durch Videoeinspieler Rechnung getragen. Auch die Rede der anwesenden Kulturpolitikerin Monika Grütters wurde vom beeindruckten Publikum mit viel Wertschätzung aufgenommen. Nicht nur dass hier die Branche mit einer sorgfältig recherchierten und mit viel Fachverständnis vorbereiteten Rede Respekt gezollt wurde; man hatte auch durchaus den Eindruck, dass der Branche (und zu einem gewissen Teil der Jury selbst) ein wichtiger Wunsch erfüllt wurde: das Brettspiel wurde ausdrücklich als Kulturgut angesprochen und von Frau Grütters auch wie ein solches behandelt.
Dieser Moment mag bei manchen einer kleinen Sensation gleich kommen und bei anderem zumindest eine zufriedene Genugtuung wecken. Denn jetzt kann man auch jenseits des engen Kreis der Hobbyisten auf die kulturelle Relevanz des „analogen Spiels“ hinweisen. Das Brettspiel ist Teil unserer modernen Kultur. Und das ist auch gut so!
Gut war dann auch das Ergebnis der Abstimmung zum Spiel des Jahres 2019. Just One von Repos Productions belagerte die Bühne mit einer großen Entourage an Mitwirkenden und Vertretern. Die Freude bei den Franzosen war groß und auch innerhalb der Branche waren viele Stimmen mit dieser Wahl zufrieden. Die Leidenschaft und das Herzblut, welches man diesem Verlag immer noch in jedem veröffentlichten Spiel anmerkt, gönnt man eine solche Würdigung gerne.
Wer die Diskussionen im Vorfeld der Auszeichnung mitverfolgt hat, wird sicherlich auch bemerkt haben, dass nicht jeder Anwärter auf den Preis ganz ohne Vorbelastung ins Rennen ging. Ein anderer Preisgewinner hätte in der Branche Signale gesetzt, welches kleinere Verlagen oder auch weniger einflußreiche Autoren deutlich geschwächt hätte. Dahingehend ist es nur deutlich zu begrüßen, dass die Spiel des Jahres Jury hier ihre Verantwortung als Impulsgeber für die Verlage nicht vernachlässigt hat. Etwaige persönliche Spielvorlieben mögen anderes gewichtet gewesen sein – auch wenn man derartiges von den verschwiegenen Jurymitgliedern nie und nimmer herausbekommt.
Just One mag auch hier nicht unbedingt jedem Kritikers Liebling sein, aber es ist ohne Frage das Spiel welches – wie der Preisträger Bruno Sautter bestätigte – auch der eigenen Schwiegermutter zu gefallen weiß. Eine Zielgruppe, die man mit einer noch so gelungenen App-Unterstützung, vielleicht nicht unbedingt abgeholt hätte.
Die Verleihung des Spiel des Jahres Preis 2019 ist in jeder Hinsicht ein Erfolg. Die Außenwahrnehmung ist dank der Anwesenheit und Rede der Kulturpolitikerin Grütters deutlich gestiegen. Die ausgezeichneten Spiele stellen dar, dass Brettspielen für Menschen unterschiedlichster Hintergründe zugänglich und offen sein kann und will. Aber auch der Branche konnte vielleicht signalisiert werden, dass der Versuch neue Spielegruppen zu eröffnen und an das Hobby zu führen ein lohnenswertes und auch lobenswertes Ziel ist.
Mehr kann man von einem Spielepreis nicht erwarten.
- 5 Techniken gegen schlechte Anleitungen - 17. November 2024
- Drei Begriffe in einem Trenchcoat - 3. November 2024
- Darf der das? – Egoismus und das kompetitive Spiel - 20. Oktober 2024