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Wir könnten Frauen klauen ?

Seit ich für dieses Blog schreibe unterhalte ich eine Liste mit möglichen Themen und von Anfang an steht das Thema „Tabuthemen“ auf dieser Liste. Geschrieben habe ich darüber noch nichts – zu diffizil und vor allem auch zu unterschiedlich die Linie, die jeder zieht. Der eine sieht Probleme bei WW2-Spielen, der andere beim Ausbeuten von Afrika oder allzu freizügige Schachtelcovers. Mit der Problematik aus historischer Perspektive habe ich mich hier schon einmal beschäftigt (man beachte auch die Diskussion am Ende).

Nun ist ein Spiel angekündigt, anhand dessen man durchaus diskutieren kann, wo so eine Linie liegen könnte: Bei Vikings Warrors of the North ist das Spielziel das Klauen der Töchter der Mitspieler, die Frauen werden dann (soweit ich das nachvollziehen kann) zwangsverheiratet (aber erst nach Spielende). Untermalt ist das ganze mit entsprechenden Graphiken:

Nun, jeder kann natürlich davon halten was er will, aber ich habe Bauchschmerzen mit dem Thema. Das wäre an sich nicht bemerkenswert, aber ich möchte doch anhand der Diskussion bei BGG erläutern, was ich genau problematisch finde:

Die Argumente der „Gar kein Problem-Fraktion“ sind vor allem: „Im Internet findet sich immer jemand, der Probleme mit XY hat, es gibt eh zu viel PC“ und „Es ist doch nur ein Spiel“- beides sind Argumente die darauf abzielen, dass Spiele generell unproblematisch sind. Das sehe ich nicht so und ich denke auch nur eine Minderheit würde ein „Vergewaltigungsspiel“, gutheißen, bei dem die Vergewaltigung eindeutig im Spiel integriert ist. Was das PC-Argument betrifft bin ich eh der Meinung, die betroffenen Gruppen sollten entscheiden, was sie beleidigt und was nicht . Interessanterweise sind die beiden anderen Argumente die historische Genauigkeit und das „Vergewaltigung ja gar nicht vorkommt, nur das Stehlen der Frauen, die anschließend heiraten (müssen)“ – was irgendwie ein Wiederspruch ist…

Warum ich jetzt ein Problme -trotz historischer Genauigkeit – habe, hat im wesentlichen zwei Gründe:

1.) Es ist ein gewaltiger Unterschied  ob ein Spiel eine historische Tat abbildet oder glorifiziert. Hier geschieht ganz klar letzteres: Das Stehlen der Frauen ist das Spielziel. Das ganze Spiel ist um das Stehlen herum konstruiert, es ist das was die Spieler wollen (sollen). Hier wird eine heute als moralisch verwerflich angesehene Handlung nicht aus historischer Genauigkeit wertneutral ins Spiel eingebaut, sondern klar dargestellt, dass dies etwas erstrebenswertes ist, ja sogar mit einem Hang vom Abenteuer verbunden ist. Toll!

2.) Anders als Sklaverei oder Gladiatorenkämpfe sind Vergewaltigungen immer noch präsent, ebenso Zwangsheirat. Auch daher habe ich ein Problem mit dem Spiel. Zumal es durchaus entsprechende Denkmuster transportiert: Bereits in der Diskussion gibt es Kommentare wie „Wer will auch schon über das halbe Brett reisen, um eine hässliche Frau zu fangen?“ Hier wird ein Sachverhalt doch ziemlich verharmlost, den ich persönlich nicht für verharmlosbar halte. Natürlich mag man mir PC vorwerfen, doch am Ende des Tages ist es auch nicht meine Entscheidung einem solchen Spiel als Mann die Absolution zu erteilen.

Natürlich ist es möglich kontroverse Themen (auch aktuelle) mit einem Spiel zu diskutieren, doch das wird hier nicht versucht. Eher im Gegenteil: Es wird verharmlost und alles hat so eine „nudge-nudge“-Qualität, die zeigt: „Ach ist doch alles lustig!“ Dabei geht das Spiel noch nicht einmal den ganzen Weg- als Satire á la –Guillotine oder War on Terror hätte das Thema durchgehen können, aber das geschieht auch nicht.

Tatsächlich landen wir bei dem, was ich bereits im letzten Post (über Kolonialismus) schrieb: Kontroverse Themen sollten ernsthaft behandelt und historisch neutral dargestellt werden. Glorifizierungen oder gar so zu tun, als wäre das alles irgendwie lustig ist der falsche Weg. Jedem seine Meinung! Aber, wenn Poster in der Diskussion versuchen, alles lächerlich zu machen, habe ich immer das Gefühl, das geschieht, weil es den Postern letztlich unangenehm ist, über etwas zu diskutieren, über das sie lieber nicht so genau nachdenken wollen.

ciao

peer

Peer Sylvester
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16 Kommentare

  • Ich weiß nicht, ob man so etwas nicht totschweigen sollte, es ist doch nur Werbung.
    Ein anderes Problem bei diesem Spiel scheint mir zu sein, dass Frauen zu willenlosen Objekten degradiert werden, die nichts zu sagen haben. Ob es historisch verbürgt ist, spielt dabei keine Rolle.

  • Totschweigen? Ich weiß nicht! Es ist einfach ein Stück gesellschaftliche Diskussion, also wie wir die Welt sehen und wie wir sie haben wollen. Und so frauenfeindlich wollen wir sie wohl mehrheitlich nicht sehen. Das muss man ausdrücken dürfen und m.E. sogar müssen. Solche Diskussionen gibt es ja auch in der Literatur – warum also nicht auch bei Spielen? Im Gegenteil: mehr davon!

  • Hätt ich nicht darüber geschrieben, wäre das Spiel dennoch genauso bekannt gewesen – da gibts ja nun genügend andere Seiten. Einige davon haben mehrere Zehnerpotenzen mal mehr Leser als ich, BGG z.B.
    Darüberhinaus kann ich die Grundprämisse nicht teilen: Der Prozentsatz, die das Spiel nicht kannten und jetzt haben wollen dürfte kleiner sein (hoffe ich jedenfalls!), als der Satz, der das Spiel jetzt nicht haben möchte (ob bekannt oder unbekannt). Hinzu kommt das, was Christian sagte: Solche Diskussionen müssen geführt werden. Ohne entsprechende Diskussionen würden wir heute nicht in der Gesellschaft leben, in der wir leben.

    Mal davon ab sensibilisieren solche Diskussionen ja auch. Wie man bei BGG sieht, ist den Machern des Spieles die frauenfeindliche Komponente gar nicht so aufgefallen. Andere werden so vielleicht angeregt, ein bisschen darüber zu reflektieren was sie tun. Da nehme ich das bisschen „Werbung“ gerne in kauf.

  • Sehr guter Artikel, Peer!
    Warum man sich solch eines Themas annimmt, ist mir ein Rätsel. Genauso gut hätten es ja auch die heiligen Familienartefakte oder Kronjuwelen sein können, die man als Spieler stehlen muss.

    Dass es am Ende die hübschen Töchter sind, ist schlicht frauenfeindlich. Warum nicht den kräftigen Sohn, das edle Ross oder die kostbare Krone?

  • Danke! Und du hast natürlich genau die richtige Frage gestellt – Warum ausgerechnet Frauen? Da fällt es mir schwer den Verlagsleuten zu glauben, dass sie die Diskussionen um das Spiel nicht nachvollziehen können. Die müssen das Thema ja nun gezielt ausgesucht haben – Nur aus historischer Genauigkeit? Wohl kaum – eher weil sie „Frauen klauen“ so „witzig“ fanden. Wohl gemerkt: Meine Interpretation, mag falsch sein.

  • Ich wage mich einen Schritt weiter und frage: Vielleicht, weil „Frauen Klauen“ für die eben primär männliche Kundschaft ein „witziges“ und „cooles“ Thema ist, das man auch noch mit sexy Thane-Töchtern illustrieren kann? Ist es am Ende doch das „sex sells“-Element?

  • Eher ein „Un-PC sells“, sonst wären die Darstellungen (übrigens angeblich „Alltagsdarstellungen der Frauen“) expliziter. Hier sollen wohl Spieler (in diesem Fall nicht geschlechtsneutral zu lesen) angesprochen werden, die sich gerne als cooler Anti-PC Rebell sehen und schön auf Stammtischniveau über Fragen lästern oder was weiß ich…
    Wir werden sehen ob das Konzept aufgeht.

    Bei solchen Themen ist es auch immer wieder interessant zu beobachten: Erst wird gezielt ein provokantes Thema gewähl und dann wird sich darüber beschwert, dass das Thema provoziert. Bin mal gespannt, wie lange es dauert, bis es in diesem Fall so weit ist…

  • Ich wäre mir nicht so sicher, ob sie das Thema gezielt als Provokation angesehen haben, die haben ihr Gehirn ausgeschaltet und einfach: Geil! gedacht.
    Ob da Dunning-Kruger nicht heftigst winkt?

  • Na, das ist doch progressiv: Die „Alltagsdarstellungen der Frauen“ zeigen sie mit X-Beinen sitzend oder verkatert auf dem Boden liegend – statt am Herd dem Vater einen Hering zu braten oder ihm das Trinkhorn aufzufüllen! /ironie aus

    Dunning-Kruger musste ich erstmal nachschlagen. Guter Hinweis, derdrei.

  • Äh zum Thema „sonst wären die Zeichnungen expliziter“. Im Prototypen waren die Zeichnung sehr explizit. Mit Gefesselt, viel Haut in bestimmten Stellungen, da war ganz klar was man da tut….

    Ich persönlich finde das Thema für ein Brettspiel ansich nicht schlimm oder tragisch. Allerdings finde ich es für ein „Familienspiel“ natürlich trotzdem sehr fragwürdig, denn das soll es ja sein. Wobei mich das Spiel vom Spielspaß überhaupt nicht angesprochen hat, auch ohne das Thema dabei zu betrachten, aber das ist ja ein anderes Thema.

  • Moin,

    schön dass du das Thema hier aufgreifst Peer.
    Als ich die Vorschau zu dem Spiel sah ging mir ähnliches durch den Kopf.

    Was ich daran gerade nach Smuker’s Ergänzung erstaunlich finde ist der Umstand dass dem Verlag ja anscheinend das „problematische“ Thema bewusst gewesen sein muss. Warum sonst haben sie die Illustrationen angepasst (nur damit es familientauglicher ist)? Dann hätte man doch besser direkt ein anderes Thema auf das Spiel gesetzt, damit es komplett massentauglich wird. So ist es verzweifelte Versuch aus einem „geilen“ Thema doch irgendwie Profit zu schöpfen und aus der Masse hervorzulugen.
    Das ist schon nicht mehr grenzwertig, das ist eindeutig schon über der Grenze, da hier ganz bewusst profitorientiertes Kalkül vorliegt um eine gewisse Käuferschaft anzusprechen, die das Spiel bei einem Titel wie „Diamanten klauen“ garantiert nicht kaufen würden.

    @“der drei“:
    Dunning-Kruger musste ich auch erst nachschlagen, danke für diese Bereicherung. Ob man es so leicht erklären kann, mag ich aber auf Grund des eben von mir genannten fast mal hinterfragen…

    @Smuker
    Dazu würde mich jetzt ja mal ne Video-Rezi von Berna interessieren ;) Ob das Spiel allerdings „diese“ Beachtung verdient?

  • Ich habe bei SmukersPost ähnliches gedacht – warum im BGG-Thread so zu tun, als würde man die Kritik gar nicht verstehen, wenn sie sich eindeutig damit auseinandergesetzt haben? Zumindest unehrlich – dann hätten sie lieber klar sagen sollen: Wir finden das Thema witzig und cool!

  • >> dann hätten sie lieber klar sagen sollen: Wir finden das Thema witzig und cool!
    Japp, die Umsetzung ist hier genau das was die Grenze überschreitet aus meiner Sicht. Hätten sie daraus satirischen Weg gewählt (ähnlich dem von dir erwähntem Guillotine) wäre „alles“ gut und es gäbe keine Diskussion über das problematische Thema, da nicht glorifiziert.

  • Ben, dass sie nur ein paar Graphiken verändert, könnte zeigen, dass sie die Problematik nicht richtig eingeschätzt haben. So nach dem Motto: Es ist doch nicht explizit, was habt ihr? Es ist doch harmlos. Auf die Idee, dass es ein Problem sein könnte, Frauen als Objekte zu reduzieren, sind die Macher anscheinend nicht gekommen.

  • […] oder fragwürdige Themenbezeichnungen; Man denke an die Sklaven/Fakire in Five Tribes oder das Spielziel in Vikings Warriors of the North. Auch Diskussionen waren dabei, wo ich persönlich kein Problem sehe, z.B. beim Thema Zoo von […]