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Die zweiseitige Medaille

Nun habe ich mich letzte Woche dazu hinreißen lassen eine Anekdote weiterzuerzählen ohne diese genauer zu prüfen. Das ist gerade bei einem solch brisanten Thema eine grob fahrlässige Vorgehensweise, für dich um Entschuldigung bitten möchte. Nach einem Gespräch mit der anderen Seite (sprich dem Rezensenten) füge ich im folgenden noch einige Klarstellungen an. Ich werde das ganze auch zum Anlass nehmen, den ganzen Komplex um die Rezensionsexemplare noch etwas näher zu beleuchten. Aber jetzt erst einmal zurück zum konkreten Fall:

Wichtig ist im Vorfeld schon einmal anzumerken, dass der betroffende Verlag zum Zeitpunkt des Geschehens zum ersten Mal in Essen ausgestellt war. Rezensent und Verlagsvertreter kannten sich nicht, der Verlagsvertreter kannte die Geflogenheiten der Essener Messe nicht. Zudem kommt es immer wieder vor, dass sich irgendwelche Messebesucher für Rezensenten für irgendwelche Magazine ausgeben, um Rezispiele abzustauben (Eine sehr ärgerliche Randerscheinung, die aber nicht auf die Spielemesse beschränkt ist. Auch in anderen Branchen versuchen sich Betrüger als Journalisten auszugeben – wie jeder der mal als „Security“ bei einem Konzert gearbeitet hat, bestätigen kann). Um sich davor zu schützen kam der Verlagsvertreter auf die (wie er heute selber sagt) etwas merkwürdige Idee dem Rezensenten eine schriftliche Rezensionsverpflichtung zum unterschreiben vorzulegen. Als Alternative (keine Unterschrift) die Idee mit dem Schriftzug auf der Schachtel. Beides lehnte der Rezensent ab.

Einige Tage später liefen sich die beiden wieder über den Weg und der Rezensent bot an, dass Spiel zum vollen Kauf zu kaufen – für den Privatgebrauch. Erst daraufhin bot der Verlagsvertreter das Spiel zum Rezensentenpreis an.

Es erschien tatsächlich keine Rezension, aber ein Kurzbericht über das Spiel. Die Begründung des Rezensenten war, dass Spiele von Verlagen, die kostenlose Reziexemplare gestiftet haben natütlich vorgehen.

Soweit die Geschichte. So unglücklich das damals für die Beteiligten gelaufen und so unglücklich auch meine etwas leichtfertige Erwähnung der Geschichte war, kann man dem ganzen doch zumindest etwas Gutes abgewinnen: Eine sehr differenzierte Sichtweise der Rezensionsproblematik nämlich.
Der Verlagsvertreter hat das Problem, dass er nicht zwischen seriösen und unseriösen Rezensionsgesuchen unterscheiden kann. Wie erwähnt gibt es viel mehr Gesuche als man erfüllen kann, andererseits muss man scho die richtigen Stellen mit Reziexemplaren versorgen, damit über das Spiel berichtet wird. Und selbst wenn man die Quellen kennt: Wer weiß schon wer tatsächlich vom Magazin XYZ oder der Webseite ABC kommt? Selbst die Identifizierung der SdJ-HJurymitglieder dürfte dem durchschnittlichem Neu-Aussteller schwerfallen. Eine Rezensionsverpflichtung ist da aber eher geeignet seinen Gegenüber zu verärgern als tatsächlich irgendwas sinnvolles zu bewirken – will man tatsächlich sein Recht einklagen (und wer macht das schon?) ist eine mündliche Übereinkunft genauso rechtskräftig wie eine schriftliche (Es reicht schon ein „Ich gebe Dir dieses Rezensionsexemplar unter der Bedingung, dass in den nächsten 12 Monaten eine Rezi erscheint“ – „Einverstanden“). Der Rezensent wollte das Spiel nun einfach kaufen und der Verlagsvertreter bietet ihm das Spiel zum günstigeren Preis an. Damit rückt er natürlich aus der Rolle des Bittempfängers in die Rolle des Bittenden – „Ich helfe dir [beim Preis] und hoffe dafür auf Hilfe für mich[durch eine Rezi]“. Dass der Bitte dann nicht entsprochen wird (sprich: Keine Rezension) sorgt naturgemäß für verständliche Frustration. Jedes Rezensionsexemplar, dass keine Rezension nach sich zieht ist schließlich eine Fehlinvestition.

Umgekehrt der Rezensent: Er weiß, dass seine Zeit und seine Ressourcen als Nebenberuflicher (oder gar Hobbymäßiger) Rezensent sehr beschränkt sind, weiß umgekehrt aber auch, dass sein Magazin/Webseite nur läuft, wenn regelmäßig über die neuesten und wichtigsten Spiele berichtet wird (Anmerkung: Die Situation hier in der Spielbar ist eine etwas andere, da der Schwerpunkt hier bei diesem Blog liegt. Aber auch hier sind Rezis wichtig, z.B. um neue Leser zu locken… Zudem haben wir hier nicht die finanziellen Verpflichtungen, die andere Webseiten haben. Von Magazinen ganz zu schweigen). Nun kann sich kein Rezensent alle entsprechenden Spiele leisten – insbesondere in den letzten Jahren, in denen dank Internet und Internationalisierung die „interessanten Spiele“ sehr viel zahlreicher geworden sind. Er ist also auf Rezensionsexemplare angewiesen. Er weiß auch nicht unbedingt, welche Spiele er in seinen Testrunden auf den Tisch bringen kann und will deswegen seine Verpflichtungen möglichst klein halten. Daher muss er Prioritäten setzen und da ist die Gewichtung nach Verpflichtungen vielleicht nicht die schlechteste aller Lösungen. Und wie gesagt: Da stehen Freiexemplare vor gekauften Exemplaren.

Verständlich sind also beide Positionen.

Ich bin zum Glück nicht so von Reziexemplaren abhängig, da -wie gesagt – die Rezis hier eh einen eher kleinen Teil ausmachen. Generell halte ich mich an folgendes Credo: Wenn ich ein Reziexemplar anfordere (was selten vorkommt), dann folgt eine Rezension innerhalb weniger Monate. Sollte sich ein Termin verschieben, teile ich das dem Verlag mit. Das gilt sowohl für Rezi-Exemplare die ich umsonst bekomme, als auch für Spiele, für die ich dann weniger bezahle.

Schickt mir ein Verlag dagegen ein Rezensionsexemplar zu, dann bemühe ich mich zwar um eine Rezi, verspreche aber keine. Bei den Interviews weise ich die Verlage darauf hin, dass ich keine Reziexemplare erwarte, dass ich aber verspreche, alles zu spielen, was sie mir schicken und meine Ersteindrücke zu posten. Das tue ich dann auch – ob aber daraüberhinaus eine Rezi erscheint (wie bei Ice Flow) hängt vom Spiel ab.

Wie hätte ich in o.s. Situation reagiert? Immer schwer zu sagen, wenn man nicht drinsteckt. Wenn ich das Spiel für interessant genug gehalten hätte und hätte abschätzen können, dass ich mich für eine Rezi verpflichten könnte, hätte ich wohl unterschrieben (und mich hinterher mit meinen Kollegen darüber amüsiert, nehme ich an ;-) ). Zumindest hätte ich vielleicht den Verlag kontaktiert, als der Kurzbericht erschien, mit kuzem Kommentar, ob eine Rezi noch zu erwarten ist oder so. Aber wie gesagt, als Außenstehender zu urteilen fällt schwer.

ciao

peer (nächstes Mal – Nach der Messe!)

P.S.: Messetipps:

– Für Partyspielfreunde: Defender of ClayArt von Japan Brand, nimmt die Variante aus den deutschen regeln. Kneten und darüber diskutieren – witzig!

– Für Absackerspielfreunde: Bernd Eisensteins Zack und Pack (Kosmos) – ein schnelles Spiel um das schnelle Einschätzen von dreidimensionalen Figuren. „Das bessere Obongo“ hieß es gestern aus meiner Spielrunde. (Ja, ich bin mit Bernd befreundet. Mag das Spiel aber dennoch)

– Für Kartenspielfreunde: Jeff Allers: Circus Maximus (noch ein Freund von mir): Trickreiches „Versteigerungsspiel“, dass sich nicht so anfühlt und schön thematisch ist. Viel Spiel fürs Geld!

– Für Freunde von etwas anspruchsvollerem: Ohne es gespielt zu haben; Municipium von Knizia (Valley Games) sieht sehr vielversprechend aus!

Peer Sylvester
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11 Kommentare

  • Ganz ehrlich? – Ich halte das erbetteln von Rezi-Exemplaren für absolut erbärmlich. Frei nach Worf: „Diese Rezensenzen haben keine Ehre!“
    Hoch lebe die Schmarotzergesellschaft!

  • Das sehe ich anders. Es soll ja eigentlich eine Win-Win-Situation sein. Der Verleger bekommt Werbung, dafür bekommt der Rezensent ein Exemplar gratis, oder zum Vorzugspreis oder was auch immer.

    Unbekanntere Rezensenten, die sich erst einen Ruf aufbauen wollen/müssen, können da aber schlecht darauf warten, dass ein Verlag zu ihnen kommt, sie sind ja nicht so bekannt. Also finde ich es durchaus legitim, an die Verlage heran zu treten und zu fragen, wie es mit einem Reziexemplar aussieht.

  • @Attila: Weist du, was ich erbärmlich finde? Dass die meisten Rezensenten nur an den Vorteil denken, die Rezensionsexemplare kostenlos zu bekommen!

    Ein Rezensent sollte das Bindeglied zwischen Verlag und Endverbraucher darstellen. Der Verlag bringt ein Spiel heraus, der Rezensent fordert dieses an, zeigt Stärken und Schwächen dieses Spiels auf und macht eine Rezension, der Endverbraucher liest diese Rezension und entscheidet sich, das Spiel zu kaufen oder nicht.

    So und nicht anders sollte ein guter Rezensent arbeiten!

  • Hallo Doscho,
    und woher weißt du, dass die meisten Rezensenten nur an den eigenen Vorteil denken? Bzw. was ist so schlimm daran, Rezensionsexemplare haben zu wollen, um damit die eigene Spielesammlung zu bereichern, wenn dafür eine Rezension für den Verlag abfällt? Und ich gehe doch stark davon aus, dass die meisten Rezensenten schon auch selber daran interessiert sind, Rezensionen zu verfassen. Denn würden sie keine Rezis (mehr) schreiben, wären sie keine Rezensenten (mehr) und würden dann auch (irgendwann) keine Reziexemplare (mehr) bekommen. Und das wäre definitiv nicht in deren Interesse.

    Andreas

  • Hallo, Andreas,

    ich sehe nur, wie einige Rezensenten denken könnten: Man kriegt ein kostenloses Rezensionsexemplar, also kann man eine Rezension hinrotzen, die Hauptsache ist ja, dass man ein kostenloses Rezensionsexemplar bekommen hat.

    Wenn so die meisten Rezensenten denken, dann Gute Nacht, denn das ist definitiv nicht Sinn und Zweck einer Rezension.

    Ich könnte dir jetzt die einfache Gegenfrage stellen, woher du weißt, dass die meisten Rezensenten nur um der Rezension willen arbeiten,aber das würde zu nichts führen. Ich steck in keinem Rezensenten drin (außer in mir selber ;-))

    Übrigens, den Rezensenten möchte ich sehen, für den jedes Spiel eine (positive) Bereicherung seiner Spielesammlung ist ;-)

  • Hey Doscho,
    ich habe nie behauptet, dass Rezensenten nur am Schreiben einer Rezension interessiert seien. Im Gegenteil, ich frage dich, was so schlimm daran ist, wenn Rezensenten Reziexemplare für sich haben wollen, wenn dafür der Verlag Werbung in Form einer Rezension bekommen kann.

    Und wenn du sagst, dass du siehst, wie Rezensenten denken KÖNNTEN, dann solltest du auch schreiben, dass du das rein hypothetisch meinst. Du hast aber behauptet, dass es so sei. Das ist ein himmelweiter Unterschied.

    Als letztes habe ich auch nie behauptet, dass jedes Spiel eine (positive) Bereicherung für die Sammlung sei. Ich habe lediglich deutlich machen wollen, dass ich es völlig legitim finde, wenn ein Rezensent das Ziel verfolgt, seine Sammlung durch Reziexemplare zu erweitern, so lange der entsprechende Verlag eine Gegenleistung bekommt.

    Andreas

  • Hallo, Andreas,

    Solange der Rezensent eine Rezension zum Spiel macht, ist nichts schlimm daran (obwohl… kommt auf die Qualität der Rezension an ;-) )

    Ich bin immer von einer Hypothese ausgegangen, sollte ich das nicht so formuliert haben, tuts mir leid.

  • Natürlich ist eine Rezension Werbung – aus Verlagssicht – und preiswerter als eine Anzeige (wenn denn das Medium etwas taugt).
    Aus Rezensentensicht sollte der Werbeeffekt eher kritisch beäugt werden: Nicht als Argument zum kostenlosen Bezug von Exemplaren genutzt sondern als Auswahlkriterium zu Gunsten der Leser: Hat das Spiel es wirklich verdient, rezensiert zu werden?
    Das Schenken eines Exemplares oder ganzer Spielepakete kann beim Rezensenten durchaus ein gewisses Wohlwollen erzeugen, das Bezahlen von Rezensionsexemplaren ihn etwas freier machen, wenn er nicht von sich aus etwas Distanz aufbringt.

    Abgesehen davon wäre es schön, wenn kein ernsthafter Rezensent für das Besprechungsmuster zahlen müsste, ganz einfach weil er es als Arbeitsmittel bekommt. Dass es ihm darüber hinaus auch Vergnügen bereitet oder bereiten soll, ändern hieran nichts. Ein Taxifahrer, der gern Auto fährt, muss ja auch keinen Fahrpreis zahlen.

    In der Praxis gibt es allerdings zwei Probleme:

    1. Gerade Kleinverlage können es sich nicht leisten, viele Rezensionsexemplare völlig kostenlos herauszugeben.

    Daher einigt man sich oft auf einen ermäßigten Rezensentenpreis. Insbesondere wenn sich beim Rezensenten privates und berufliches Interesse an dem Spiel mischen, ist es sinnvoll, das Spiel zu einem ermäßigten Preis zu verkaufen: ein nachlass von 20% oder 50%, Produktionspreis oder ein vom Rezensenten gewählter Preis.

    2. Es ist manchmal schwer, zu unterscheiden zwischen ‚ernsthaften Rezensenten‘, ‚Hobby-Rezensenten‘, Abstaubern und Betrügern.

    Einige Rezensenten sind ja ganz gut bekannt, andere erst dabei, sich einen Namen zu machen, andere wiederum hoffen auf ein billiges Spiel. Und manche versuchen ganz bewusst zu betrügen.

    Da gab es mal eine Zeitlang diverse Scheinagenturen, die allle nach dem gleichen Muster vorgingen: Anfrage nach Rezensionsmustern ohne Nennung des Mediums (auf Nachfrage wurde gesagt, die Geschäftskontakte seien geheim). Die Webseiten waren alle bei Strato gehostet, die Adressen waren in unterschiedlichen norddeutschen Städten aber alle ohne Telefonnummer, ziemlch ungewöhnlich für eine Agentur.

    Als Empfehlung für angehende Rezensenten: erstmal Spiele kaufen und Rezensionen auf die eigene Webseite stellen, eifrig in Foren mitdiskutieren, oder auch bei Hall9000, Reich-der-Spiele, Fairspielt u.a. vorstellig werden. Diese Webseiten haben schon das Vertrauen vieler Verlage und suchen mitunter neue Rezensenten.

    Gruß, Günter

  • Nur um sicher zu gehen: Ich habe nicht sagen wollen, dass der Rezensent sich verpflichtet fühlen sollte, Werbung für ein Spiel zu machen, wenn er es geschenkt bekommt. Im Gegenteil sollte er sich frei von Zwängen eine eigene Meinung über ein Spiel bilden und auch sagen, wenn er es schlecht findet. Von einer Rezension erwarte ich schon, dass sie unverfälscht ist. Aber wenn das Spiel gut ist, kann eine Rezension aus neutraler Position wertvoller sein, denke ich, als tatsächliche Werbung.

  • Hiho,

    Es ist nicht ganz falsch was hier geschrieben wird, aber Worf hat auch recht! Rezi Exemplare anzufragen ist eine Sache – darum zu betteln oder sie gar einzufordern eine andere. Letzters ist einfach nur bemitleidenswert.

    Atti