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Mach Geschichte!

Es gibt zwei Arten ein Spiel zu genießen: Man genießt das Spiel an sich, d.h. die Mechanismen, den Wettbewerb oder man genießt das Hineinschlüpfen in ein Thema. Die meisten Spiele decken den ersten Bereich ab. Deutlicher weniger Spiele die zweite Kategorie.
Und noch weniger Spiele erzählen Geschichten.

Wenn ein Spiel ein guten Mechanismus (oder eine gute Sammlung davon) hat, kann ich das sehr genießen. Wenn ein Spiel ein Thema gut umsetzt, schätze ich das auch. Aber ein Spiel, das eine sehr gute Geschichte erzählt… ah, das ist schon was ganz besonderes!

Was bedeutet das? Nun Thema ist ein Aspekt, aber nicht der einzige. Colosseum oder 18xx sind z.B. sehr thematische Spiele. Aber sie erzählen keine Geschichte außer „ein paar Spieler setzen sich zusammen, um ein Spiel zu spielen“ (Ja, dieser Satz ist aus einem Artikel von Frank Branham, von dessen Post ich mich hab inspirieren lassen. Ich komme aber zu einem anderen Schluß). Übrigens glaube ich aus diesem Grund auch, dass die Verfilmung von Monopoly nicht wirklich eine thematische Umsetzung (Strassenbesitzer kämpfen um die Immobilien-Vorherschaft in Atlanta?) sein wird, sonders es wohl eher um Freunde geht, die zusammen Monpoly spielen. Naja, das ist jedenfalls mein Tipp…

Um eine Geschichte zu erzählen muss sich ein gewisser Plot auf dem Brett entwickeln, der nicht allzu vorhersehbar sein darf. Auch dürfen die Spieler nicht als Götter auftreten, die irgendwelche Sachen auf dem Brett machen, sondern sie müssen dieselben Zwänge haben, wie sie eine reale Figur hätte, die im Spiel auftritt.
Jeseits von Theben ist das aktuellste Beispiel eines Spieles, dass eine Geschichte erzählt. Man reist herum, wie ein richtiger Forscher, man gräbt, wie ein richtiger Forscher, man unterliegt denselben Zwängen, wie ein richtiger Forscher. Und auch die Entwicklung mit den Grabungsstätten die langsam ausdünnen gehört zur Geschichte. Ob man es aus spielerischer Sicht mag oder nicht: Diese Geschichte ist schon gelungen.

Allerdings ähneln sich die Geschichten der einzelnen Spieler und der einzelnen Partien schon sehr. Der Geschichteneffekt ist dann besonders reizvoll, je mehr Variabilität mitspielt. Leider sind entsprechende Spiele dann fast zwangsläufig lang und (relativ) kompliziert. Andererseits wird das kompensiert, denn ich glaube dass viele „Kultspiele“ aufgrund diesen Geschichten-Aspektes erst diesen besonderen Status erlangen konnten: Der Ringkrieg, Dune oder Civilization sind Beispiele.

Aber auch diese Spiele (und das ist der Punkt bei Frank Branhams Artikel) unterliegen natürlich ziemlichen Grenzen, welche die Geschichte beschränkt: Alles was passieren kann, ist vorher in den Regeln festgeschrieben. Dadurch müssen die ganz großen Überraschungen ausbleiben. Hier sind Computerspiele bevorteilt: Sie müssen die Regeln dem Spieler nicht vorher mitteilen und können den Spieler somit durch eine überraschende Wendung überraschen. Anders als Frank Branham glaube ich aber, dass dieses Problem lösbar ist. Es gibt zwei Möglichkeiten, die eine erzeugt eine dichtere Athmosphäre als die andere:
1) Zufällige Informationen. Dies wird bei Arkham Horror und vielen Solospielen benutzt (z.B. PocketCiv). Dadurch sind die Herausforderungen immer neu. Allerdings sind auch hier die Regeln letztlich bekannt. „Geschichten aus 1001 Nacht“ von Edition Erlkönig erzeugt sehr schöne Geschichten, aber die kommen auf Kosten völliger Unplanbarkeit. Was passiert und was ich am besten machen kann ist letztlich Zufall – und das wird den Spielern auch schmerzlich bewusst (und deswegen ist das Spiel nicht unumstritten).
2) Versteckte Texte: Diese Spiele hat Frank nicht bedacht, dabei sind dies sicherlich die beste Annäherung an ein „spielendes Buch“, dass möglich ist. Sherlock Holmes Criminal Cabinet ist ein gutes Beispiel, obgleich da die Geschichte nicht wirklich entsteht, sondern bereits vorhanden ist und gefunden werden muss. Streng genommen passt sie damit nicht ganz in meine Definition, aber was solls. Ein anderer sehr guter Ansatz ist Betrayal at House of the hill. Hier wird mit versteckten Informationen gearbeitet, so dass nicht alle Spieler dieselbe Ausgangslage haben. Zudem können diese Geheiminformationen auch Regeln enthalten oder bestehende Regeln aushebeln. Dadurch wird das oben erwähnte Problem umgangen. Es tauchen natürlich andere Probleme auf: Zum einen verlangt diese Methode sehr viel Text und auch viele Szenarien. Sind die Szenarien bekannt, muss das Spiel erst einmal liegen gelassen werden. Außerdem ist eine echte Strategie nur bedingt möglich. Letzteres ist natürlich ein Charakteristikum einer Geschichte (die Protagonisten kennen nicht das gesamte Universum) und liegt somit in der Natur der Sache.
Betrayal kommt damit vermutlich so weit, wie ein Brettspiel gehen kann(auch wenn es noch nicht perfekt ist – oft z.B. endet das Spiel in einem Würfelduell Gut gegen Böse – Spannend, aber nicht immer ganz befriedigend). Ich weiß auch nicht, ob es einen Markt für solche Spiele gibt, aber ich hoffe auf mehr. Ich gehe da mit gutem Beispiel voran und habe ein entsprechendes Spiel entworfen, dass den Ansatz von Betrayal logisch weiterfürt (und noch flexibler ist). Im Moment arbeite ich an den Szenarien und wer mir da helfen will, schreibe mir eine Email – ich maile dann die Regeln und anderen Details des Spieles.

Doch letztlich: Wer wirklich das 100%ige Geschichten-Feeling haben will, kommt um Rollenspiele nicht herum. Nur dort ist wirklich alles möglich und niemand kann ahnen in welche Richtung das Spiel geht…

(Und ja, es gibt Spiele, bei denen Geschichten erzählt werden -aber um die geht es an einem anderen Tag).

Abschließend noch eine private Ankündigung: Morgen abend geht für 5 Wochen nach Südostasien. Das heißt nicht, dass es sich nicht lohnt ab und an mal reinzuschauen: Ich werde versuchen dennoch zu posten. Aber obs immer so pünktlich und so ausführlich wird wie jetzt vermag ich nicht zu versprechen. Davon ab kommt demnächst irgendwann eine neue Rezi von mir.

ciao
peer

Peer Sylvester
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5 Kommentare

  • Und dann gibt es da noch die Rollenspiele, die die Grundparadigmen ein wenig auf den Kopf stellen. Vor allem meine ich damit „kein Spielleiter“. Im Moment lese ich gerade „Polaris“ von TAO Games und „The Shab-al-Hiri Roach“ von Bully Pulpit Games. Sehr interessant.

    Polaris interessiert mich vor allem deswegen, weil es eine Art Versteigerungsmechanismus für die Konfliktbewältigung verwendet.

  • Moin Peer,
    ich wäre mal sehr neugierig auf dieses Spiel. Vielleicht fallen mir ja auch ein paar Szenarienvorschläge ein :-) Ich hab auch schon öfter mal darüber nachgedacht, so ein Spiel, das eine Geschichte erzählt, zu machen. Über vage Gedanken kam ich bisher nicht hinaus.

    Andreas

  • Polaris wuerde mich auch interessieren – hast du einen LInk mit mehr Informationen als man ueber RPG-net bekommt?
    Sehr ungewoehnlich ist auch „De Profundis“ – ich werde im naechsten Post da mehr drueber schreiben…
    Gruesse aus Manila,
    Peer