Ja, ich schreibe wieder über Spielregeln. Dieser Blogpost ist zur Hälfte ein wohlgemeinter Hinweis an Redakteure und zum anderen ein Ventil für meinen Frust. Vielleicht findet ja aber auch der oder die Leser:in hier heraus, warum die letzte Spielregel so gar nicht in den eigenen Kopf wollte.
Der Roman Anna Karenina beginnt mit dem berühmtesten Satz „Alle guten Spielregeln sind gleich, alle schlechten sind auf einzigartige Weise schlecht“. Das ist ebenso griffig wie falsch: Gute Spielregeln sind gerade deswegen gut, weil sie individuell auf das Spiel zugeschnitten sind. Schlechte Spielregeln machen dagegen oft dieselben Fehler (Das ist vielleicht der Grund, warum sich Tolstoi als Spielekritiker nicht hat durchsetzen können). Jetzt nach Essen, in dessen Nachwehen ich sehr viele Regeln lesen durfte, ist mir ein wiederkehrendes Problem besonders aufgefallen, das ich hier in vier verschiedenen Spielarten anhand vier konkreter Beispiele verdeutlichen möchte.
Keine der Spielregeln ist -soweit ich das überblicken kann – wiedersprüchlich oder unverständlich. Das Layout variiert zwischen „Akzeptabel“ (Cosmic Frog) und Vorbildlich (Crown of Ash). Die handwerkliche Seite, also die Seite, die in der Öffenlichkeit meistens mit „schlechten Regeln“ assoziiert wird, ist also soweit in Ordnung. Das Problem ist jeweils der Aufbau der Anleitung. Ich habe hier bereits über die Bedeutung eines Einstiegs geschrieben. Jetzt geht es aber weiter: In welcher Reiehenfolge erkläre ich das Spiel….nicht.
Teil 1: Details vor dem Spielablauf (Cosmic Frog)
Es kann sein, dass Cosmic Frog als Satire auf Eurogames gedacht ist. Es kann daher ebenso gut sein, dass die Anleitung von Cosmic Frog als Satire auf Anleitungen von Eurogames gedacht ist. Sollte das so sein, ziehe ich meinen Hut vor der künstlerischen Intention. Das ändert aber nichts daran, dass die Anleitung als Anleitung zum Spielen von den vier hier vorgestellten Fällen am wenigsten geeignet ist.
Wer die Anleitung von Cosmic Frog aufschlägt, bekommt erst einmal eine ganze Seite Hintergrundgeschichte zu den „Rayna“, die dann in der weiteren Anleitung „Frösche“ genannt werden. Außerdem der Hinweis, dass wenn in der Anleitung steht „Du darfst dich erholen“, die eigenen Figuren (also die Frösche, also die Rayna) gemeint sind und nicht die Spielenden. Vermutlich ist die Regel tatsächlich eine Satire. Entscheidener: Nach einer Seite Vorstellung des Materials folgen Vokabeln, die Vorbereitung und dann endlich der Ablauf. Aber noch immer weiß man nicht, was man in seinem Zug eigentlich macht. Stattdessen folgen erst einmal weitere Details über Dinge, von denen man noch gar nichts weiß und auch keine Ahnung hat, wie sie sich ins Spiel integrieren. Auf Seite 9 werden dann erstmalig die Handlungsoptionen beschrieben. Und das auch noch ständig Bezug nehmend auf die anderen Aktiosnmöglichkeiten: Angreifen ist zum Beispiel das Schlüpfen oder Springen auf das Feld eines anderen Frosches – also mehr die Auswirkung einer Handlung, denn eine Handlung selbst. Dennoch steht sie gleichberechtigt neben den eigentlichen Handlungen – in diesem Fall sogar vor dem Schlüpfen/Springen, dem Alphabet sei dank.
Das Beispiel ist so klar, dass ich hier keine großen Worte verlieren muss: Wenn ich die Regeln lese, nützt mir nichts, dass ich weiß, dass ich mit meinem Frosch zu Beginn „einen Dimensionsschritt auf eine Scherbe von Aeth mache und beginne Länder zu verschlingen und in seinem riesigen Schlund lagere“ (was der erste Satz nach der Hintergrundstory ist) und schon gar nicht möchte ich erst alle kursiven Wörter nachschlagen müssen, um zu wissen, was sich dahinter verbirgt. Ich möchte wissen: Was mache ich? Was ist mein Ziel? Wie komme ich da hin? Wenn ich eine Regel lese, möchte ich, dass sich in meinem Kopf ein Verständnis des Spielablaufes bildet – der Rundenstruktur, der Spielhandlungen. Ich möchte nicht erst Vokabeln lernen und schon gar nicht Details zu Regeln oder Karten, die ich noch gar nicht kenne und deren Bedeutung ich gar nicht abschätzen kann, wenn ich das Spiel noch nicht kenne. Aus der Didaktik kommt der Merksatz: Vom Allgemeinen zum Speziellen: Erst die Hauptregeln, dann die Ausnahmen, Besonderheiten, Grauzonen. Das ist klar, denn ich kann letztere erst erfassen -und damit lernen – wenn ich die ersteren verinnerlicht habe. Es ist erstaunlich wie oft dieses grundsätzliche Prinzip missachtet wird. Auch in Crown of Ash.
Teil 2: Details vor dem großen Ganzen (Crown of Ash)
Wer die Deutsche und die Englische Regel vergleicht stellt fest, dass die Reihenfolge der einzelnen Seiten in den beiden Regeln unterschiedlich ist. Daran merkt man schon so ein bisschen, dass hier wohl keinerlei Überlegungen stattfanden, in welcher Reihenfolge die Regeln optimal erklärt werden müssten. Das fällt insbesondere beim Kampf auf, bei dem ausführlich erklärt wird, wie man seine Karten verstärken kann, dann wie die Kampfkarten, die man verstärkt überhaupt aufgebaut sind und erst dann folgt der Ablauf des Kampfes. Immerhin kompensiert die Regel die fast zufällige Reihenfolge ihrer Elemente durch zahlreiche Querverweise und Dopplungen – das ist gut aber vernünftiger Weg hätte einiges an Text und Wiederholungen gespart und hätte deutlich weniger als die knapp 30 Seiten Hochglanzdruck benötigt.
Doch die größte Schwäche der Regel kann so nicht kompensiert werden: Man bekommt schnell mit, dass gekämpft wird und dass es um Einfluss geht. Und Karten. Und eine Zitadelle spielt wohl auch mit. Aber so beschrieben fehlt einem der Blick für das Ganze. Man kennt die Details, aber weiß nicht, wie diese zusammenhängen. Erst als ich auf Seite 21 war, machte es Klick und ich schrieb den folgenden Satz ganz oben in meine Kurzregel:
Worker platzieren, um Rohstoffe zu kriegen, um Einheiten zu bauen, um andere anzugreifen, um deren Gebiete zu übernehmen, um SP zu bekommen. Gebiete=eigenes Gebäude dort.
Bis zu diesem Punkt war mir nicht klar, warum man Gebäude baut (weil das anzeigt, wem ein Gebiet gehört) oder andere angreift (weil es nur 5 Gebiete gibt). Crown of Ash ist kein übermäßig komplexes Spiel. Eine Regel sollte das wiederspiegeln. Vor allem aber sollte eine Regel zeigen, wie die einzelnen Elemente ineinandergreifen. Warum gibt es Kämpfe? Und um die Frage ais Teil 1 zu wiederholen: Wie bekomme ich Einfluss? Spielende wollen primär wissen wie sie ihre Ziele erreichen können (in diesem Fall Einfluss zu gewinnen). Die Handlungsmöglichkeiten sagen ihnen, was sie tun können, aber noch nicht warum sie das tun können.
Teil 3: Begründungen fehlen (Pampero)
Das wird noch deutlicher bei der Regel von Pampero. Die Regel hat einen schweren Job, Pampero ist kein übersichtliches oder leicht zu lernendes Spiel. Im Vergleich zu Crown of Ash ist die Anzahl der Elemente, die erklärt werden müssen deutlich höher. Entsprechend nimmt sich Pampero die Zeit, die einzelnen Elemente vorzustellen und wichtige Konzepte und Grundregeln einzuführen und zu erklären – auch im Kontext. Das funktioniert gut. In der Regelhilfe, findet man neben der Erklärung von Symbolen auch einige wichtige Fragen (und deren Antworten): Wie komme ich an Punkte? Wie an Geld? usw. Das ist prinzipiell ein guter Service, doch er zeigt auch: Man verliert bei Pampero schnell das Grundsätzliche außer Augen. Man lernt Regeln, aber versteht das Spiel nicht. So schwierig das auch bei einem Schwergewicht wie Pampero sein mag: DAS ist die Hauptaufgabe der Regeln, der Rest sind Details. Wem nützt es, die 17. Stelle von PI zu kennen, wenn nicht bekannt ist was PI eigentlich ist?
Entsprechend fehlt Pampero das Warum: Ich weiß (hoffentlich) Wie ich einen Strommast baue, aber nicht unbedingt, in welcher Situation es sinnvoll -oder gar essentiell – ist, einen zu bauen. Wenn ich dazu in die Regelhilfe gucken muss, hat die eigentliche Spielregel ihren Zweck nicht erfüllt. Ähnliches könnte man für die meisten (wenn nicht alle) Elemente von Pampero anführen: Ihre Regeln, werden gut erklärt, ihr Zweck nicht. Oft heißt es an dieser Stelle: „Man muss das Spiel eben erst entdecken“ – aber eigentlich entdeckt man doch eher Taktiken oder interessante Kniffe in der Mechanik oder Wendungen im Spielverlauf, als Grundlagen, oder?
Teil 4: Begriffe nicht einführen (Tea Garden)
Über Tea Garden könnte man ähnliches schreiben wie über die anderen drei Spiele: Die Reihenfolge erklärt Einzelteile, aber nicht das Gesamtbild. Wozu man etwa Teeblätter (oder Gärten) braucht wird nur indirekt erklärt. Allerdings kommt hier noch ein anderes Phänomen zum Tragen: Begriffe werden verwendet, bevor sie eingeführt werden. Alle, die schon einmal ein Referat in der Schule halten mussen, haben diesen Satz gehört: „Verwende keine Begriffe, die du nicht kennst und erkläre Fremdwörter wenn du sie einführst“. Das gilt auch für Spielregeln. So gibt es Provinzen und Gebiete. Beides sind keine Begriffe, bei denen sich ein Ranking etabliert hätte – bestehen Provinzen aus Gebieten oder umgekehrt? An keiner Stelle der Regel wird das klargestellt, als Leser:in muss man zwischen den Zeilen lesen. Ein Beispiel hätte hier zudem bereits für Klarheit gesorgt. Aber immerhin gibt es nur zwei Möglichkeiten.
Und dann hat man alle möglichen Haupt- und Nebenaktionen gelesen und hoffentlich verstanden, dann kommt das Spiel mit dem Satz um die Ecke, dass man auf der „Kaiser-Leiste“ vorgehen darf, wenn man genügend „Kaiser-Marker“ besitzt. Was „genügend“ bedeutet wird im darauffolgenden Absatz geklärt. Von Kaiserleiste und -markern hat man aber bis zu diesem Punkt rein gar nichts gehört. Also muss man erst einmal den Spielplan aufklappen, die nachfolgenden Regeln überfliegen und stellt dann fest: Die „Leiste“ ist keine Leiste, sondern eher ein Haus mit verschiedenen Stockwerken. Und man geht nicht „vor“ sondern „nach oben“. Auch hier ist der Fehler evident. Dass die Begriffe noch nicht eingeführt wurden, deutet daraufhin, dass eine Person die Regel geschrieben hat, die das Spiel sehr gut kennt und für die es gar keine Frage ist, was was ist. Die Richtung (und ggf der Name) der Kaiserleiste mag auf ein Übersetzungsproblem hindeuten.
Halleluja: Es ist nicht immer leicht. Aber: Wenn ich einen Teil einer Spielanleitung erreiche, in denen Details erklärt werden, muss ich wissen a) Was ich in dem Spiel machen will und b) Warum ich in dem Spiel diese Regeln brauche (insbesondere also warum ich diese Handlungen machen will). Es ist erstaunlich wie wenig Spielregeln meinen, sie müssten alles gleich am Anfang haarklein einführen, bevor ich weiß, wozu ich all diese Dinge eigentlich wissen muss. Man kennt das aus der Schule: „Lernt das!“ ist selten effizient. Ich brauche auch ein Gefühl für das Große Ganze – Für Spielregeln sollte gelten: Nicht mit den Details anfangen, nicht alle Regeln gleichwertig behandeln. Das sind sie nicht. Regeln haben eine Hierarchie, die sich aus der Spielstruktur ergibt. Diese Hierarchie muss aus den Regeln klar werden, denn daraus lässt sich auf die Strukur des Spieles (die eine regelunkundige Person ja noch nicht kennt!) rückschließen. Das hilft beim Verstehen einer Regel enorm.
Es gibt keine Möglichkeit bei Brettspielen auf das Lernen von Regeln zu verzichten. Man kann es aber erleichtern.
ciao
peer
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