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Alex Randolph hatte recht

Geister von Alex Randolph ist ein einfaches Bluffspiel. Die Regeln spiegeln das wieder: Gerade einmal eine Handvoll Absätze. Kein Wort zu viel. Das war Absicht: Randolph hat alles Überflüssige rausgestrichen, weil er die Regeln so kurz wie möglich halten wollte. Resultat: Man sieht dem Spiel an, dass es einfach ist.

Kamisado von Peter Burley ist ein einfaches Zweipersonen-Strategiespiel. Die Regeln gehen über 7 kleingedruckte Seiten, was umso bemerkenswerter ist, als dass alle Beispiele in einem Extraheft zu finden sind.

Der Unterschied ist evident: Während bei Geister der Autor der Regeln (in diesem Fall Randolph selbst) überlegt hat, dass wer das Spiel spielen will, schon etwas mitdenken kann, scheint der Regelschreiber des Kamisado-Pamphlets Verfassungsklagen in Karlsruhe zu befürchten. Statt zu schreiben, dass der eigene Turm beliebig weit vorwärts und diagonal nach vorne über freie Felder bewegt wird und das nicht geschlagen wird, wird diese alles in einzelne Paragraphen verpackt, ergänzt um so wichtige Informationen wie, dass man ein Turm diagonal zwischen zwei Türmen, die über Eck stehen, hindurch gezogen werden kann. Als ob das einer ernsthaft bezweifelt hätte. Ich hab mich ernsthaft gefragt, ob eine Regel existiert, die mir sagt, was ich machen soll, wenn das Spielfeld brennt.

Nun liegt es mir fern, Kamisado niederzumachen. Die beiden Spiele (Geister und Kamisado) sollen mir einfach als Archetypen für die beiden Spielregelphilosophien dienen.

Auf der einen Seite der Ansatz das Spiel knapp zu erklären, so dass Grundgedanke des Spieles klar wird. Dazu müssen Regeln natürlich einigermaßen intuitiv sein, aber viel lässt sich auch durch das Material verstärken: Bei Geister geschieht dies z.B. durch das Spielbrett, dass anstelle eines abstrakten Schachbrettmusters kleine Räume mit Türen zeigt – durch die Türen wird klar, welche Bewegung möglich ist und welche nicht. Das kann sogar in der Regel kurz beschrieben werden und man erspart sich umständliche Formulierungen. Die Kehrseite der Medaille ist die Gefahr, dass zu viel Mitdenken vorausgesetzt wird und wichtige Regeln fehlen. Das ist bei vielen Regeln aus den 70er Jahren der Fall (so fehlt bei Diplomatie aus der Schmidt Spielebar der eigentliche Rundenablauf).

Umgekehrt bei Kamisado: Hier wird auf Kosten der Verständlichkeit und der Einfachheit versucht, tatsächlich alle Fragen, die auftreten könnten, in der Regel explizit abzufangen.

Das Problem: Das kann nicht gelingen. Es kann bei jedem Spiel immer zu Fragen kommen, gleich wie vollständig die Regel ist. Es ist auch nicht notwendig – tatsächlich improvisieren Spieler viel häufiger, als sie zugeben mögen: Wenn ein Spieler keine Zeit mehr hat und gehen muss, wenn Spielsteine verrutschen, wenn bemerkt wird, dass eine Regel vergessen wurde, wenn ein Würfel „brennt“… Alles Fälle in denen die Spieler ohne Spielregel tätig werden. Mehr noch: Ist eine Spielregel zu verklausuliert und versucht sie zu viel, dann wird eher eine Regel übersehen und es ist schwieriger etwas nachzuschlagen. Und damit erreicht die Regel nicht das, was sie will. In Extremsituationen kann ein Zuviel an Klarstellungen sogar völlig kontraproduktiv sein: Ich erinnere mich an ein altes Avalon Hill-Spiel (Ich glaube es war Wodden Ships & iron men, möchte aber nicht drauf schwören), bei denen an jeder Stelle, wo ein Schiff irgendwie bewegt werden könnte (durch Wind, Drift, Schleppen etc.)  darauf hingewiesen wurde, dass Schiffe nicht über Landfelder bewegt werden können. Außer an einer Stelle. Prompt gab es eine Diskussion darüber, ob in diesem Ausnahmefall das Bewegen der Schiffe über Land tatsächlich vielleicht erlaubt sein sollte…

Zur Klarstellung: Regeln müssen natürlich vollständig sein und dürfen keine Fragen offen lassen. Sie sollten aber auch ein Spiegelbild des Spieles sein: Einfache Regeln für einfache Spiele, komplexere Regeln für komplexere Spiele. Das Grundregelwerk sollte im Vordergrund stehen, Ausnahmen gekennzeichnet sein. Überhaupt sollte man nach dem Gedanken vorgehen: Die Regel gibt vor, was erlaubt ist – was nicht drinsteht ist nicht erlaubt, es sei denn es ergibt sich direkt aus den Regeln. Und ergibt sich etwas aus den Regeln, dann ist es auch erlaubt.

Beispiel: die Regel schreibt vor, dass Besetzte Felder grundsätzlich nicht betreten werden dürfen. Nun muss man nicht noch einmal schreiben, dass nicht geschlagen wird, denn dazu müsste man ja ein Feld betreten und eine andere Schlagmöglichkeit (z.B. wie bei Gobang zu schlagen) würde in den Regeln stehen. Es spricht hier sicherlich nichts gegen eine explizite Klarstellung, wenn normale Konventionen verletzt werden, aber wenn es bei dem Spiel eh nicht um Schlagen und Gegenschlagen werden geht – Warum sich damit belasten?

Wenn Figuren über Eck stehen und man sich diagonal bewegen darf, so ergibt sich aus den Regeln erst einmal, dass man sich auch durch die Figuren die über Eck stehen (über die andere Diagonale) auch durch bewegen darf. Eine Ausnahme müsste in den Regeln stehen. Natürlich könnte man einen solchen Fall durch ein Beispiel verdeutlichen, aber man muss ihn nicht extra angeben. Überhaupt Beispiele: Aus der Didaktik weiß ich, dass Beispiele immer die einfachen und die Spezialfälle umfassen sollen – und das gilt auch für Spielregeln. Damit spart man sich eine ganze Reihe von Regeln und macht das Spiel so tatsächlich insgesamt leichter erfassbar (Eine weitere Lektion aus der Didaktik besagt übrigens, dass Beispiele pointentiert sein sollten – also klar nur das abbilden, was sie verdeutlichen sollen.)

Regeln müssen vollständig sein, aber sie müssen auch einfach sein – so komplex wie nötig, so einfach wie möglich – das hat Alex Randolph gut erkannt. Dass es tatsächlich Leute gibt, die Geister falsch gespielt haben (z.B. die geschlagenen Geister nicht gezeigt haben, was das Spiel komplett sinnlos macht) sollte nicht als Gegenargument genutzt werden. Ich kenne kein Spiel, dass nicht von irgendjemandem falsch gespielt wurde (*) – man sollte aber darauf achten, die Anzahl der Leute die es falsch spielen möglichst klein, die Anzahl der Leute, die nicht durch die Regel abgeschreckt werden möglichst groß wird.

ciao

peer

(*) Kurze Anekdote: In meiner Studienzeit spielte ich mal am Ende eines Spieleabends eine Partie „Heiße Schlacht am kalten Buffet“ mit einigen durchaus spielerfahrenen Kommilitonen. Einer dieser Kommilitonen kannte das Spiel aus seinen Runden und hatte es vorgeschlagen. Während des Spiels bemerkten wir: Er kannte zwei entscheidende Regeln nicht: Weder multiplizierte er die Felderzahl mit der Anzahl der Nachwürfe, noch kannte er den Fall, dass ein Spieler stehen bleiben musste, wenn die Summe zu hoch wurde. Das Spiel hat aber sonst nur eine Regel (Das Huckepack-nehmen). Dass es möglich ist bei einem solch einfachen Spiel 2 von 3 Kernregeln zu vergessen und das Spiel dennoch zu mögen, hätte ich nicht für möglich gehalten…

Peer Sylvester
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1 Kommentar

  • Hallo, Peer!

    Ein sehr schöner Aufsatz, vielen Dank dafür!

    Mit den folgenden Worten sind weniger Du und die Kollegen aus der Berliner Runde angesprochen, die all das schon kennen, was mein Leib-und-Magen-Thema ist… Spielregeln. – Aber es mag den einen oder anderen unter den Lesern (und Spieleautoren) geben, die entweder ganz am Anfang stehen oder trotz Erfahrung beim Spiele entwickeln noch Schwierigkeiten mit dem Regel(um)schreiben haben. Für die seien meine Worte gedacht.

    Ich komme heute gerade zurück von einigen Testrunden, bei dem eines meiner Kinderspiele getestet wurden. Es kam sehr gut an, und der Test in unterschiedlicher Besetzung und mit unterschiedlichen Altersstufen brachte mir viel.
    Als ich zu diesem Spiel die Regel für eine frühere Fassung schrieb, war sie sehr lange und enthielt zu viele Extras und Ausnahmeregeln. Im Lauf der Zeit wurde sie immer schlanker und hatte zuletzt ungefähr die Länge von einer DIN-A-4-Seite (einschliesslich den Standards Titel, Spieldauer usw.). – Bis jetzt klingt das alles ja noch ganz einfach und banal. Ist es aber nicht.
    Gerade das Regelschreiben für einfache Spiele kann ein Prozess sein. Bei mir verlief der von einem simplen Anfang, über eine recht umfangreiche Regel zu zunehmender Entschlackung. Jetzt hat die Regel ungefähr die Länge von Diego Drachenzahn – was ich als optimal empfinde für Spiele, die Kinder zwischen 4 und 8 Jahren ansprechen sollen.

    Doch wie wurde meine Regel einfach:

    1.) ich sendete sie zwei Kollegen, die sie gegenlasen und wichtige Punkte anmerkten.
    2. ) Ich liess sie liegen und schaute einige Zeit später wieder darauf.

    Das ist das ganze Geheimnis: gegenlesen lassen und sich Zeit für ein Produkt nehmen. Oft verändert sich, wenn man eine eigene Spielregel nach 4, 6, 8 Wochen oder noch später wiederliest, deutlich die eigene Wahrnehmung. – Und irgendwann man kann den eigenen Text lesen wie eine andere Regel.

    Und das ist der letzte Punkt, der mir persönlich noch etwas gebracht hat:

    3.) Gegenlesen und (behutsames) Korrigieren der Regeln von Kollegen.

    Dies ist nicht ganz einfach. Wenn man bereits früher Fremdtexte lektoriert oder korrigiert hat, hat man natürlich evtl. einen etwas leichteren Zugang, aber den kann man sich auch erarbeiten.
    Das A und O beim Arbeiten mit einer fremden Spielregel ist stets, das man im Geiste des Spieleautors – und möglichst mit dessen Schreibduktus, sofern der nicht zu unverständlich schreibt – das Beste aus seinem Spiel herausholt. –
    Immer wieder muß man sich fragen: wie gebe ich dem Kollegen die beste Regel zurück, die dessen Spiel verdient? Stets muss man zwischen beherzten Eingreifen – wenn der Andere zu umständlich oder schwierig formuliert – und behutsamen Zurückweichen changieren. Das Letztere dann, wenn man am liebsten ein ganz anderes Spiel aus dem des Kollegen machen wollte, aber weiß: dann ist es nicht mehr seins, und Mechanismen oder Varianten drinlässt, die einem gar nicht zusagen, aber sehr typisch und repräsentativ für eben diesen Kollegen sind. (Ich selbst mache dann manchmal Änderungsvorschläge, überlasse es aber dem Urheber, wie weit er auf meine Anregungen eingeht. Nur in Bezug auf Orthographie, Schreibduktus und Lesbarkeit bin ich etwas radikaler, denn genau auf diesen Gebieten konnte ich schon die eine oder andere Spielregel ‚entschlacken.‘)

    Und das Wunderbare an diesem Prozess: beim Lesen und Überprüfen einer fremden Regel lernt man ganz unbewusst und nebenbei, Fehler bei sich für die Zukunft zu vermeiden.

    Natürlich schreibt man nicht am nächsten Tag gleich die 1-A-Regel. Aber es gilt genau das, was Stefan Zweig mal über das Übersetzen sagte: durch das Beschäftigen mit anderen Texten lernt man oft weit mehr über das eigene Metier als durch noch so viel eigenes Geschreibe. (Sinngemäß zitiert).

    Wichtig für diesen Lernprozess – und es ist einer -, ist es aber, daß es sich bei der Fremdregel, die man bearbeitet, um ein Work in Progress handelt, also um eine Regel die noch nicht fertig ist. Man muss selbst erproben, was man an einer Fremdregel ändern kann oder nicht. (Und dies gilt für veröffentlichte Spiele halt nur sehr eingeschränkt).

    Nun denn, weiter viel Spass beim Regelschreiben, Euer Ralf!

    P.S. Nachbemerkung in eigener Sache: ich bin durch die Vorbereitung für die Spielmesse in Essen und viele Testspiele sehr eingespannt, so daß sich die für September angekündigten Texte für die Spielbar wahrscheinlich noch etwas hinziehen. – Vermutlich bekomme ich den einen in diesem Monat noch hin, und beim nächsten müssen wir mal schauen, wie’s so läuft…
    Da ich derzeit aber einen guten Lauf sowohl beim strategischen Spiel wie im Kinderspielgenre habe, freut mich das. Denn nicht immer gelingt es, für die passenden Verlagsprogramme Spiele zu machen. Wenn man das aber schafft, und das Gefühl hat, „…genau dies ist das Spiel für Verlag X…“, ist es um so schöner, wenn es gelingt, dass der Funke Autor-Redakteur überspringt.