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Verschwimmt die Grenze zwischen digital und analog?

Das Internet ist bekanntermaßen ein Quell an nie enden wollender Inspiration für Personen, die gerne viel schreiben. Entsprechend habe ich dann auch beim letzten Scrollen einen Satz gesehen, der mich hat aufhorchen lassen. Es schrieb jemand, dass er das Gefühl hatte die Grenze zwischen digitalen und „analogen“ Spielen würde zunehmend zerfließen. Das hat mich verwundert. Denn mir schien diese Grenze vollständig unberührt von den letzten Entwicklungen in der Szene. Im Gegenteil: gerade durch die digitalen Umsetzungen von Spielen, die man sonst nur gemeinsam am Tisch spielt, wirkt der Unterschied zwischen digitalem Spiel und Brettspiel umso stärker.

Aber ich verstehe auch, dass man eine gewisse Ähnlichkeit oder Verwandtschaft darin sehen kann, wenn man die Regelkonstrukte in den beiden Versionen vergleicht. Am Rechner finden sich alle Regeln des Spiels wieder und immer öfter werden auch Grafiken wiederverwendet. Das drängt einen Vergleich auf. Nicht zuletzt weil bequeme Handhabe lockt. Denn gerade der Verwaltungsaufwand der Teil moderner Brettspiele ist, kann schnell und einfach von einer digitalen Abbildung übernommen werden. Der Aufbau ist mit einem Knopfdruck erledigt. Die Regeln sind durch die Codierung auf Korrektheit programmiert. Eine digitale Partie läuft damit fast nie Gefahr, wegen falsch verstandener Regeln „ungültig“ zu sein. Es gibt einige Spiele, die in ihrer digitalen Umsetzung zeitlich flexibler und damit auch flüssiger funktionieren als auf dem Tisch. Das Paradebeispiel dafür ist Vlaada Chvatils Through the Ages, welches selbst viele eingefleischte Fans nur noch in der digitalen Version spielen wollen. Es ist ein Umstand, der in meinen Augen nur den Schluss zulässt, dass das User Interface des Brettspiels eben nicht auf Benutzerfreundlichkeit optimiert war. So wie es eigentlich das Ziel guten Spieldesigns ist. Aber ich schweife ab.

Für mich hat die vermeintlich einfache Spielbarkeit einer digitalen Version eines Brettspiels selten eine große Rolle gespielt. Interessant waren solche digitalen Spiele für mich immer dann, wenn es darum ging Regelanwendungen in Aktion zu sehen. In manchen Fällen war es eine unterhaltsame Herausforderung sich das Regelwerk eines Spiels allein aus dem Interface einer Plattform wie Board Game Arena herzuleiten. Regeln, die mir vorher unklar waren, konnte ich so ausprobieren statt einen Spieltermin mit meinen Freunden dafür zu opfern. Lieber alleine vor dem Rechner rumklicken, statt sich mehr schlecht als recht abends durch ein Spiel zu hangeln. Aber das ist für mich nie ein Ergänzung zum regulären Spielerlebnis, als der Versuch einem besonders ungenügenden Regelheft aus dem Weg zu gehen.

Eine digitale Umsetzung eines Brettspiels ist für mich darum primär eine Auseinandersetzung mit den Regeln des Spiels, statt dem Spiel selbst. Aber da ich mich nun mal als Spielekritiker statt als Regelkritiker verstehe, habe ich nur selten Verwendung für digitale Spiele, die Regeln von Brettspielen abbilden. Was ein Spiel in meinen Augen ausmacht und den Sinn und Zweck dieses Mediums darstellt, wird mir dadurch nicht ermöglicht.

Daher sehe ich die Grenze zwischen Brettspielen und ihren digitalen Adaptionen ähnlich deutlich wie die Unterschiede zwischen einem Roman und seiner Verfilmung. Letzteres ist ohne Frage einfacher und bequemer zu konsumieren. Man kann einen Film auf sich wirken lassen, sich von der Inszenierung mitreißen lassen und muss während des Zuschauens nur in seltenen Fällen die Art von mentalen Aufwand betreiben, den ein Roman voraussetzt. In einem Buch präsentiert sich Fiktion nicht nur in anderer Form, sie fordert auch eine andere Art der Auseinandersetzung von uns. Diese Unterschiede machen das jeweilige Medium zu etwas eigenem, unabhängig davon ob Film und Roman den gleichen Plot nachzeichnen.

Nur das Gerüst eines Baums ist noch kein ganzer Baum
Ähnlich empfinde ich es bei digitalen Umsetzungen von Brettspielen. Die Eigenschaften, die das Brettspiel ausmachen, sind nicht die Eigenschaften, die am Tablet umgesetzt werden können. Es fehlen mir allen voran die Personen mit denen ich das Spiel gemeinsam erlebe, die Menschen mit denen ich zusammen die Narrative aus dem Spielverlauf hebe. Aber es fehlt mir auch die einfache Haptik, das feinkörnige Zwischenspiel unserer sozialen Interaktion in den unterschiedlichen Rollen, die
wir am Spieltisch einnehmen. Von Kontrahenten, Freunden, Gastgeber/Gästen, etc.

Diese Dinge sind für mich eben gerade nicht schönes Beiwerk oder ein angenehmes Nebenprodukt, welches für das reine Spielerlebnis unerheblich sind. Es ist vielmehr der Grund weshalb ich überhaupt spiele. Das sind die Dinge, die dem Spielerlebnis zu Grunde liegen, über das ich unermüdlich schreibe, streite und Podcasts aufnehme. Wenn man genau diese Dinge ausklammert, um allein die mechanische Herausforderung des Spiels an meinem Tablet zu erleben, fehlt es mir allem was Brettspiele relevant macht.

Ein Verschwimmen der Grenze zwischen digitalen Spielen und Brettspielen empfinde ich daher in keinster Weise. Selbst bei Spielen, die vermehrt auf die Integration digitaler Hilfsmittel setzen, kann ich dort eine klare Unterscheidung für mich festmachen. So lange der Fokus dieser Hilfsmittel auf dem sozialen Miteinander liegt und dieses fördern soll, finde ich mich noch im Brettspiel wieder. Erst wenn die digitale Ebene das Spielerische umfasst, habe ich es mit einem Computerspiel zu tun. Es ist eine Unterscheidung mit der ich gut gefahren bin, gerade auch weil sie mir hilft meine eigene Begeisterung für das Spiel klar zu benennen.

Georgios Panagiotidis
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