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Demokratie, Politik und was das mit Spielen zu tun hat

Der Auslöser war ein Treffen hinter verschlossenen Türen, welches so unscheinbar, wie unmissverständlich war. Mit der Correctiv-Recherche ist auch den letzten Demokrat*innen in diesem Land klar geworden was die AfD ist und wofür sie steht. Ähnliches gilt für die Werteunion und damit auch für gewisse Teile der CDU. Nachdem jahrelang vor dem schleichenden politischen Kippen nach Rechts gewarnt wurde, ist nun überdeutlich, dass Faschisten dieses Land aktiv bedrohen, eine reale Gefahr für die Menschen in diesem Land darstellen und die Institutionen und Werte auf denen die deutsche Republik aufbaut demontieren wollen.

Es ist darum wichtig sich der politischen Dimension aller Facetten unserer Gesellschaft klar zu werden. Ja, auch das Spiel gehört dazu. Jahrelang hat man es als belanglosen Zeitvertreib abgetan, der ohne Konsequenzen existierte. Es ist ein nicht tot zu kriegender Irrglaube, dass Spiele deshalb reizvoll und besonders sind, weil ein Spiel ohne Folgen bleibt. Natürlich stimmt es, dass Spiele im Raum der Vorstellung aktiv sind. Sie produzieren Fiktion. Damit sind sie genauso von Folgen befreit wie es Bücher und Filme sind. Die Tatsache, dass wir Filme und Bücher nicht allein nach persönlicher Vorliebe freigeben, sondern auf ihre Wirkung auf Zuschauer*innen und Leser*innen betrachten, legt nahe, dass sie so belanglos nicht sind.

Der Vergleich zu Büchern und Filmen wird immer gerne gezogen, wenn es darum geht die Bedeutung des Kulturguts Spiel zu unterstreichen. Diesem Punkt stehe ich oft mit gemischten Gefühlen gegenüber. Denn auch wenn ich in der Sache zustimme, so kommen in diesem Zusammenhang oft Argumente auf, mit denen ich mich weniger wohl fühle.

Eines dieser Argumente lautet, dass Spiele Zusammenhänge erfahrbar machen oder gesellschaftlich relevante Diskurse vermitteln. Wenn man es so allgemein und unspezifisch sagt, lässt sich mit Sicherheit eine Interpretation finden, in denen diese Aussage auch von mir Zustimmung erhält. Sobald man jedoch ein konkretes Beispiel aufführt, sind diese Behauptungen oft sehr brüchig und mit vielen Erklärungen und Ergänzungen versehen. Ein Spiel wie Pax Pamir mag Orte, Akteure und auch Konfliktarten historisch zutreffend präsentieren. Gleichzeitig sollen sich Spieler*innen als afghanische Stammesführer verstehen und sind gezwungen im Rahmen des Spiels höchst opportunistisch, illoyal und fern jeglichen Mitgefühls zu handeln. Spätestens hier gerät man in Erklärungsnot, welche Zusammenhänge konkret erfahrbar gemacht werden und welche Lesarten tendenziell Rassismus-offen sind.

Vermittelt werden hier vor allem Farben

Ähnliches gilt auch für das Vermitteln gesellschaftlich relevanter Diskurse. Eine weitere Behauptung, die nur so lange überzeugt bis man an der Oberfläche kratzt. Ein Diskurs, also eine öffentliche Diskussion, setzt immer voraus, dass unterschiedliche Standpunkte vertreten sind. Erst im Austausch verschiedener Blickwinkel entstehen Erkenntnisse und auch Meinungen. Es ist genau diese Vielfalt an Meinungen, die uns die heutige Demokratie begreifbar macht. Entsprechend müsste ein Spiel in der Lage sein unterschiedliche Ansichten zu seinem Thema zu präsentieren. Wie wir als Spieler*innen jedoch auf das Thema eines Spiels blicken, leitet sich primär von seinen Regeln ab. Denn es sind diese Regeln, die uns ermöglichen innerhalb des Themas zu handeln. Es sind auch diese Regeln, die unser Spielerlebnis formen. Damit ein Spiel uns also eine öffentliche Diskussion vermitteln kann, benötigt es auch ein Regelwerk, welches sein Thema aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet. Ein Regelwerk muss aber die gemeinsame Grundlage bieten, um miteinander spielen zu können. Es ist ein Konflikt, der nicht ohne weiteres zu lösen ist. Im besten Fall findet hier die Abbildung einzelner Standpunkte auf dem Niveau einer Wikipedia-Zusammenfassung statt. Das kann man sicherlich als Stärke loben, aber ich selbst sehe das eher als kaum erwähnenswerte Nebensächlichkeit. Sie ist in ihrer Tiefe in etwa so eindrucksvoll wie ein Post auf einer beliebigen Social Media-Plattform.

Sehr viel wirkungsvoller hingegen sind Spiele in ihrer sozialen Funktion. Sie dienen als Auslöser für gemeinsame Beschäftigung oder wie es im Magazin „Politik & Kultur“ heißt: es ermöglicht den unmittelbaren Austausch zwischen verschiedenen Individuen. Oft wird dabei schnell in Superlativen gelobt, wenn es heißt, dass Menschen unterschiedlicher Herkunft, Generationen, Schichten und Interessen an einem Tisch zusammenkommen; oder dass Hierarchien in der Spielgruppe keine Rolle spielen.

Diese Begeisterung scheint mir naiv. Die Unterschiede, die zwischen uns bestehen, ziehen sich durch alle Facetten unserer Gesellschaft. Sie machen auch vor Spielgruppen nicht halt und sind kaum zu verhindern. Man könnte bestenfalls sagen, dass sie innerhalb der Spielgruppe einen geringeren Stellenwert haben. Aber auch diese Feststellung ist nahezu selbstverständlich. Das Verhältnis zwischen einem Angestellten und seinem Vorgesetzten ist am Arbeitsplatz am Stärksten ausgeprägt. Aber wenn sie sich an einem anderen Ort wie etwa einem Restaurant, einem Theater oder beim Spaziergang auf der Straße begegnen, verschwindet die Hierarchie zwischen den beiden nicht. Sie ist aber deutlich weniger stark präsent.

Der Eindruck, dass an einem privaten Ort wie einer Spielrunde keine sozialen Hierarchien existieren, lässt sich damit erklären, dass die meisten Spielgruppen auf hohe Gemeinsamkeiten ausgelegt sind. Man sucht sich Spieler*innen mit denen man „gut kann“. Entsprechend selten setzen sich sich diese Gruppen aus Personen zusammen zwischen denen es ausgeprägte soziale Hierarchien oder gar Konflikte gibt. Selbstverständlich ist eine starke Durchmischung einer Spielgruppe möglich und vorstellbar. Aber sie ist nur selten ein typisches Merkmal für sie. Oft wählen Spieler*innen bereits im Vorfeld aus, wer mit wem an einem Tisch gut spielen kann. Die sozialen Unterschiede, die nach dieser Vorauswahl übrig bleiben, sind daher auch meist vernachlässigbar gering.

Dennoch ist das Spiel gerade deshalb von hoher kultureller Bedeutung, weil es als Anstoß für soziales Miteinander dient. Durch das Spiel können wir mit verschiedenen politischen Abläufen in Berührung kommen, aber dafür müssen wir uns der politischen Dimension des Spiels bewusst werden. Spiele bedienen sowohl demokratische wie auch nicht-demokratische Tendenzen. Sie greifen außerdem auch schon mal Wertvorstellungen auf, die nicht unserem demokratischen Grundverständnis einhergehen. Mir geht es hier nicht darum diesen Umstand als „problematisch“ zu entlarven oder anzuprangern. Im Gegenteil, die ausgedachten Beziehungen zu unseren Mitspieler*innen, die wir im Rahmen des Spiels annehmen, lassen uns demokratische und anti-demokratische Abläufe im „folgenlosen“ Rahmen der Fiktion (d.h. des Spiels) ausarbeiten.

Das zeigt sich am Deutlichsten in kooperativen Spielen. Hier arbeiten Spieler*innen gemeinsam auf eine Entscheidungsfindung hin. Dabei treten unwillkürlich unsere Annahmen und Überzeugungen des gemeinschaftlichen Miteinanders zutage. Wie wir hier vorgehen, aushandeln und gemeinsam entscheiden, veranschaulicht am praktischen Beispiel die politische Entscheidungsfindung. Der Schüssel für ein zufriedenstellendes Spielerlebnis ist dabei die Konsensfähigkeit der Spieler*innen. Ein Punkt, der auch Grundbaustein für die Teilhabe an einer demokratischen Gesellschaft ist.

Es ist wichtig sich dieser Abläufe bewusst zu werden. Die politische Lesart eines Spiels muss nicht nur entdeckt, sondern auch selbstverständlich werden. Sie sollte immer Teil der ernsthaften Beschäftigung mit einem Spiel sein. Aber das ist nur ein Beispiel von vielen. Das Spiel war schon immer politisch. Angefangen bei The Landlord’s Game von Elizabeth Magie, über Monopoly bis hin zu Allan B. Calhammers Diplomacy; von Klaus Teubers Die Siedler von Catan bis hin zu Dimitry Davidoffs Mafia (hier bekannt als Werwolf) oder auch aktuellen Spielen wie E-Mission von Matt Leacock und Matteo Menapace. Jede Spielerfahrung berührt und verhandelt soziales Miteinander und damit auch politisches Miteinander.

Denn das immer gegenwärtige Politische im Alltäglichen zu erkennen, schärft unweigerlich auch unser Bewusstsein dafür Politik nicht nur im Plenum des Bundestags, auf Parteitagungen oder hinter den verschlossenen Türen irgendwelcher Konferenzen in Potsdam zu begreifen. Politik erwächst aus unserem Zusammenleben. Es ist immer eine Folge der kulturellen Narrativen, mit denen wir uns beschäftigen und identifizieren. Entsprechend ist das Spiel, zumindest für jene die daran teilnehmen, alles andere als folgenlos. Wir setzen uns darin bestimmten Narrativen aus. Wir akzeptieren und normalisieren sie durch unser gemeinsames und oft wiederholtes Spielen.

Georgios Panagiotidis
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