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Ist ein kooperatives Diplomacy möglich?

In einem Video sprechen People make games über den Video-Brettspielhybdrid Tank Turn Tactics, das nicht nur nicht auf den Markt gebracht wurde, sondern sich so negativ auf das Betriebsklima ausgewirkt hatte, dass er komplett aus dem Büro verbannt werden musste. Der Knackpunkt in dem Spiel war das Formen von Allianzen, die aber auf einem gewissen Vertrauen basieren mussten. Da werden sofort Assoziationen mit Diplomacy geweckt. Meine Frage ist jetzt etwas komplexer als in der Überschrift angedeutet: Spiele wie Diplomacy, aber auch Subterfuge oder eben jenes unveröffentliches Spiel schaffen ein ganz bestimmtes, einzigartiges Spielgefühl. Dieses Spielgefühl stützt sich auf starke Emotionen, die jedoch sehr vom negativen Ende des Spektrums stammen: Angst vor Verrat, ja Paranoia, der Schmerz, der sich einstellt, wenn sich Verrat einstellt, Frust, wenn man sich in einer Abwärtsspirale befindet sowie Schadenfreude, wenn man dies nicht tut. Selbst das Gemeinschaftsgefühl, wenn man innerhalb einer Allianz einen Gegner besiegt, wird durch die Angst, man könnte der nächste sein, überschattet. All diese Emotionen sind negativ, dennoch ist das Commitment bei den Spielen extrem hoch – wie gesagt legte TTT das Büro lahm, weil ständig gespielt wurde.

Als Autor frage ich mich da, ob es möglich ist, ein ähnlich intensives Spielerlebnis, wie es Diplomacy, Tank Turn Tactics oder Subterfuge bieten, auf positiveren Emotionen zu basieren. Spiele, die statt auf Verrat auf Kooperation setzen, statt auf Ausscheiden auf gemeinsames Erleben. Ist das möglich?

Als erstes muss man dazu näher untersuchen, was dieses intensive Spielgefühl genau hervorruft, aber eben auch das Commitment, das für soclhe Spiele typisch ist – Bei Tank Turn Tactics wurden Außenstehende von Mitspielenden bezahlt, um gegnerische Aktivitäten zu überwachen. Das kann man als Psychopathentun einzelner abtun, aber auch der Kommentator von People make games meinte, er merkte, wie Subterfuge sein normales Spielverhalten in einen Bereich verschob, in dem er sich normalerweise so gar nicht wiederfindet (und was ihm anschließend auch unangenehm war). Diese Spiele machen etwas mit einen, zumindest wenn man nicht übervorsichtig mit großen Vorbehalten an sie herantritt. Woran liegt das?

Alle diese Spiele, aber natürlich insbesondere Diplomacy, haben ein Verhandlungsmoment inne. Wenn es dieses alleine wäre, wäre die oben stehende Frage geklärt.

Eine Spirit Island – Spielgruppe wägt ihre Überlegungen gegen die Preussen ab.

Diplomacy ist kein sehr diplomatisches Spiel; Wie ein Diplomat in der Trump-Ära erklärte, funktioniert die „Vertrauensbruch-Taktik“ in der Realität nicht – man verlässt sich darauf, dass alle zumindest bekannt geben, was sie tun wollen, einfach weil man sich Verhandlungen sonst sparen kann. Dieser Aspekt von Diplomatie udn Verhandlungen wird in Spielen wie Pandemie (insbesondere auch das erste Legacy) oder Spirit Island besser umgesetzt: Alle haben unterschiedliche Fähigkeiten und vielleicht auch leicht unterschiedliche Schwerpunkte, aber ein gemeinsames Interesse (das Spiel zu gewinnen), für dessen Lösung alle ihre Möglichkeiten auf den Tisch bringen. Das Ergebnis ist -besonders im Erfolgsfall – ausgesprochen positiv… aber es ist in keinster Weise mit der Intensität eines der beschriebenen Spiele vergleichbar.

Ein weiterer Baustein ist das Fiese. Verrat und Boshaftigkeit wecken starke Emotionen, wie Georgios hier ausführlich dargestellt hat. Aber auch innerhalb der fiesen Spiele haben die Diplomacy-Subterfuge-Spiele eine Sonderstellung. Wegen eines fiesen Zuges bei The Estates wird vielleicht gegrummelt, vielleicht sogar das Spiel abgebrochen – a

Ein erfolgreicher Diplomacy-Spieler

ber es wird kaum jemand Geld ausgeben, um dort zu gewinnen. Da muss noch mehr sein!

Zwei Bausteine sind noch charakteristisch für dieses Genre: Ein Bestandteil ist der hohe Anteil des Meta-Spieles (Damit meine ich alle Aspekte, die jenseits der reinen Spieleebene stattfinden, es ist ein weit gefasster Begriff): Anders als etwa bei Spirit Island, gehen die Verhandlungen sehr aus der reinen Spielebene hinaus. Nichtangriffspakts oder Werwolf-ähnliches beschuldigen betrifft eben nicht nur unmittelbar die Spieleebende. Bei den Videospielen im Genre (aber auch beim reinen, Hausregellosen Diplomacy) spielen auch Dinge wie Erreichbarkeit, Müdigkeit oder Präsenz eine Rolle – Bin ich zu jeder Zeit erreichbar? Kann ich auch nachts auf Aktionen meiner Kontrahenten eingehen? Wie weit schaue ich,mit wem die anderen verhandeln, bzw. kann ich das überhaupt überblicken? Diese Spiele ermöglichen das Meta nicht nur, sie belohnen es auch. Ein solcher Aspekt fehlt bei Spirit Island & Co – eine Spielgruppe kann nur mit Spielhandlungen gewinnen, Metaspiel wie „Im Internet effiziente Strategien nachschlagen“ werden als Schummeln wahrgenommen und nicht als clevere Spiel. Die Agency der Diplomacy-Spiele schließt dagegen das Meta ein (Allenfalls einige Krimispiele nutzen für einige Rätsel Meta-Elemente – etwa Google-suchen nach Informationen – aber dieser Level liegt weit unter den von Diplomacy-Spielen und sind zudem fest von den Machern installiert, während das Meta der Diplomacy-Spiele gerade durch einen hohen Grad an Flexibilität gekennzeichnet ist – es ist regeltechnisch z.B. nicht fest gelegt, wie man andere überzeugt, einige Methoden werden allerdings durch das Strafrecht eingeschränkt).

Der zweite Baustein ist doppelter Natur: Die Spiele haben eine lange Spielzeit und die Möglichkeit auszuscheiden. Die Spieldauer sorgt für einen hohen Einsatz – man muss sich für eine gewisse Zeit für verpflichten – und eine entsprechend hohe Fallhöhe: Man kann bei diesen Spielen ausscheiden und kann nicht länger am Spiel teilnehmen. „Ausscheiden“ ist die größte Strafe, die in einem Spiel verhängt werden kann und sie wird umso größer, je mehr man verpasst. Entsprechend ist die angst vorm ausscheiden oft größer als die Angst einfach nur zu verlieren: Bei letzterem ist das Spiel ja zu Ende und der „Wert“ des (Nicht-)Gewinnes, der während des Spieles im „magischen Zirkel“ hoch gehalten wird, sinkt wieder auf Null. Scheidet man aus, hat man „echte“ Konsequenzen, nicht nur welche im Spiel – man wird vom gemeinsamen Gruppenerlebnis weitestgehend ausgeschlossen.

Diese beiden Bausteine verstärken sich jetzt deswegen gegenseitig, denn es ist nicht nur das Gewinnen, das durch gutes Meta ermöglicht wird, es ist nicht zuletzt das Ausscheiden, das durch gutes Meta verhindert wird. Das Resultat ist eine Art Aufrüsten: A und B verhindern nicht nur durch ihre Meta-Allianz ein Ausscheiden ihrerseits, sie vergrößern die Chance des Ausscheidens für alle anderen – die deswegen schon aus Furcht ihr Meta erhöhen usw. Begründet wird das dann oft damit, dass das Spiel sie gewissermaßen dazu zwingt – das Spiel wird als Autorität vorgeschoben und so kann es zu den moralischen Verschiebungen kommen, die in dem Video von TTT angesprochen werden (und natürlich grundsätzlich zu vermeiden sind). Ein weiterer Tropfen ist die gruppenpädagogische Erkenntnis, dass eine Gruppe sich stärker verbunden fühlt, wenn es gegen einen „Feind“ geht.  Auch hier wirkt das Meta gleich doppelt: Erst einmal stärkt das meta die Bande innerhalb der Gruppe und dann ist das Gefühl des Verrates um so größer, wenn man selbst aus der Gruppe ausgestoßen wird.

Das klingt erst einmal so, als müsste meine Eingangsfrage verneint werden, da zu viel insbesondere auf das Ausscheiden wert gelegt wird. Doch ich denke, die Lage ist nicht hoffnungslos: Es muss eine Möglichkeit gefunden werden ähnlich hohe emotionale Einsätze aufzubauen und das Meta muss verstärkt werden. Ich würde argumentieren, dass dies z.B. Rollen- und Erzählspielen gelingen kann, wenn die Geschichte/Charaktere von den Spielenden entsprechend viel emotionales Investment bekommen, wenn das Abenteuer auch über die Rollenspielsession hinaus beschäftigt und sich ein Austausch jenseits der Spielerunde zu nicht-Spielzeiten lohnt. Aber auch im Brettspielbereich wäre es möglich, wenn ein Koopspiel etwa es auch ermöglich ins Meta zu gehen, z.B. sich zu opfern und Auszuscheiden, um die Gruppe am Laufen zu erhalten (was aber ein zweischneidiges Schwert ist, da das Spiel lang genug sein müsste, um das wirklich als Opfer zu begreifen und für den Ausgeschiedenen aber involviert genug, dass er auch als Ausgeschiedener nicht das Interesse verliert. Und es darf halt nicht nur „Regeloptimiererei“ sein) oder es erlauben für seine Figur ein alternatives Ende zu gewinnen, das losgelöst vom Rest der Gruppe ist – aber auch hier muss das emotionale Investment für den vollen Effekt erst eingezahlt werden. Inwieweit das gelingen kann, bin ich mir unsicher – ausschließen möchte ich es nicht.

ciao

peer

 

Peer Sylvester
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