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Fiese Spiele, fette Feten

Vor kurzem hatte ich Gelegenheit The Estates mehrmals zu spielen. Es ist ein Versteigerungsspiel, welches von dem von mir sehr geschätzten YouTube Rezensenten Alas Board Games als „one mean bastard“ (zu dt. „ein fieser Mistkerl eines Spiels) umschrieben wurde. Es stellte sich heraus, dass diese Einschätzung bei meinen Mitspielern durchaus Zustimmung fand. Daraufhin stellte ich mir die Frage: Was genau macht ein Spiel eigentlich fies?

Die meisten, denen ich diese Frage gestellt habe, erwähnten in diesem Zusammenhang die Spielregeln. Insbesondere die Art der Spielerinteraktion, die diese Regeln ermöglichten. Oft war die Rede von destruktiver Interaktion, Ärgermechanismen und gelegentlich auch (praktischem) Spielerausscheiden. Anders gesagt, Spiele wurden als fies bezeichnet, weil sie es möglich machten andere Spieler vom Spiel auszuschließen bzw. sie daran zu hindern Spaß zu haben. In diesem Zusammenhang wurde auch oft die Spielsituation erwähnt, in der man mit wenig Mühe die schwer erarbeiteten Erfolge eines Mitspielers zunichtemachen konnte. Diese Spiele waren fies, so wie das Zertrampeln einer Sandburg fies ist. Mit viel Mühe und Aufwand erbaut man die für einen selbst bestmögliche Sandburg und dann kommt jemand daher und zertrampelt sie mit Leichtigkeit.

Der typische Vielspieler neigt dazu so ein Verhalten damit zu rechtfertigen, dass es strategisch klug ist die Sandburg kaputt zu machen. Oder dass das Spiel ein solches Verhalten mit Siegpunkten schmackhaft macht. Oder dass es ein kompetitives Spiel ein Wettkampf ist und das Zertrampeln von Sandburgen damit legitim wird. Ich habe wenig Interesse daran herauszufinden welche Gründe wir warum herbeirufen, damit wir uns nicht schlecht fühlen müssen jemand anderen fies behandelt zu haben. Ich finde es weit spannender herauszufinden was genau ein Spiel eigentlich zu einem „fiesen“ Spiel macht.

Es reicht nämlich nicht, dass unsere Erfolge uns schnell wieder genommen werden. Sicherlich ist der eigene Stolz etwas gekränkt, wenn unser Aufwand und unsere Mühe so schnell wertlos gemacht werden. Aber wenn es die Folge eines zufälligen Effekts ist, dann ist das Spiel eben sinnlos oder schlicht unfair. Aber um wirklich fies zu sein, muss hinter diesem Rückschlag eine böse Absicht stecken.

Damit müssen wir also über die Sachen bei Brettspielen sprechen, die mir am meisten gefallen: andere Leute. Ein Spiel wird nicht durch seine Regeln oder seine Spieldynamik fies. Es wird als fies empfunden, weil Regeln, welche von Menschen angewandt werden, unweigerlich etwas kommunizieren. Keine (Spiel-)Handlung existiert für sich allein. Sie ist immer fest in den sozialen Rahmen eingebunden in dem sie ausgeführt wird. Dieser erlaubt es uns Rückschlüsse über die Beweggründe einer Person zu schließen und ihre Handlung als großherzig oder egoistisch einzuordnen, als freundlich oder fies.

Freunde, die zusammen Spaß haben wollen, ist der soziale Rahmen, den jedes Spiel als gegeben voraussetzt. Einem fiesen Spiel gelingt es diesen Rahmen so zu verwandeln, dass die Handlungen anderer Leute auch als böswillig, kleinlich oder gehässig gedeutet werden können. Es ist interessant herauszufinden wie eine Zusammenstellung an Regeln, Spielmaterial und gelegentlich auch einem Spielbrett so etwas leisten kann.

Ein Brettspiel zu spielen, bedeutet immer sich im Spannungsfeld zwischen Einflußnahme und Hilflosigkeit zurechtzufinden. Wir streben in diesen Spielen nach immer mehr Selbstbestimmung, wir feiern Spielerfreiheit. Darum suchen wir in diesen Spielen gezielt nach Gelegenheiten Zufall und Risiko zu minimieren, um damit auch Misserfolge zu vermeiden. Je „besser“ wir in einem Spiel sind, umso eher können wir lernen es zu meistern. Wenn uns das gelingt, können wir uns vom Zufall und der Einflussnahme durch andere Spieler lossagen. Wir können uns unabhängig machen.

In kompetitiven Spielen sind wir darauf ausgerichtet, Situationen zu vermeiden, die wir nicht kontrollieren können. Oft ist das einer der Hauptgründe, weshalb wir die bestmögliche Strategie entwickeln wollen. Es ist uns ein Bedürfnis weder angreifbar noch verletzbar zu sein. Die Kontrolle in einem Spiel zu haben bedeutet, nicht mehr die Enttäuschung und Frustration zu spüren, nicht zu bekommen was man will.

Ein Spiel wie The Estates untergräbt diese mögliche Kontrolle und Einflußnahme auf den Spielausgang unentwegt. Es ist ein Bietspiel, bei dem alle Spielerentscheidungen auf vielfältige Weise miteinander verknüpft sind. Erst das Zusammenspiel der Entscheidungen aller Spieler gibt den Ausschlag, ob jemand Punkte macht oder verliert. Es gibt durchaus auch Wege sich im Spiel so zu positionieren, dass man den so stark gewünschten Einfluss besitzt. Aber es gibt ebenso viele Wege, wie die Aktionen anderer Spieler Dominoeffekte nach sich ziehen, mit der unsere Wirkungsmacht auf den finalen Punktestand ausgehöhlt wird.

Hinzu kommt, dass Spieler in derartigen Spielen es oft als Erfolg ansehen, wenn sie einem schaden können. Denn wenn der Punktestand eines Konkurrenten runter geht, erhöht sich damit auch die Wahrscheinlichkeit selbst gewinnen zu können. Die daraus resultierende Freude und Begeisterung über so eine Entwicklung im Spiel sollte daher niemanden überraschen.

Wenn man jedoch Ziel einer solchen Aktion geworden ist, kommt man nicht umhin den Eindruck zu gewinnen, dass sich die eigenen Freunde daran erfreuen, dass es einem schlecht geht und man hilflos ist. Wenn die Absicht hinter einer Spielhandlung nicht ausdrücklich erläutert wird, bleibt uns nichts anderes übrig als zu spekulieren. Wir müssen unsere Schlüsse an Hand des sozialen Rahmens ziehen, in dem das Spiel stattfindet.

Und plötzlich springen unsere emotionalen Schutzreflexe an.

In einem fiesen Spiel wird wiederholt ein ausgeprägtes Machtungleichgewicht herbeigerufen, das ein Gefühl der Hilflosigkeit und Schutzlosigkeit in uns auslöst. Es ist eine Emotion, die wir oft sehr intensiv empfinden. Menschen entwickeln unterschiedliche Techniken, um sich aus unangenehmen Situationen zu befreien. Einige regen sich auf, andere schmollen. Manche suchen den Fehler im Spiel, andere beschweren sich über schlechte Strategien ihrer Mitspieler. Manche überkommt eine tiefe Gleichgültigkeit für das Spiel, andere treibt nun das Bedürfnis diese Schmach heimzuzahlen.

Es steht außer Frage, dass fiese Spiele das Potential haben erinnerungswürdige und positive Spielerfahrungen zu schaffen. Es sind Spiele die spannende Spielrunden mit hohen Einsätzen versprechen, welche voller Überraschungen und plötzlicher Wendungen stecken. So attraktiv und reizvoll das auch klingen mag, denke ich nicht, dass man einfach nur solche Spiele nach den Regeln spielen muss, um derart positive Spielerfahrungen zu machen. Vor allem bin ich nicht der Meinung, dass man dafür nur Freunde braucht, die das Spiel „nicht persönlich“ oder „nicht zu ernst“ nehmen. Ganz im Gegenteil. Ich denke, dass solche Spiele am Besten funktionieren, wenn man sich auf die wilde, emotionale Achterbahnfahrt einlässt, die sie sein können. Ein fieses Spiel funktioniert vor allem dann als positives Spielerlebnis, wenn unsere Gruppen, bzw. Spielgemeinschaften, uns das Gefühl geben so sicher zu sein, dass unsere Schutzreflexe nicht mehr anspringen.

Georgios Panagiotidis
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