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Ein gewisses Teamgefühl

Ich hatte schon einmal darüber geschrieben, dass ein Spiel sein Genre ändert, wenn es statt kompettiv kooperativ gespielt wird – Kooperative Spiele sind ein eigenständiges Genre. Ich hatte aber nicht geschrieben, warum das so ist. Das möchte ich an dieser Stelle nachholen.

Kompetitive Spiele sind rein mechanisch gesehen kleine Wettstreite; man spielt gegen andere Personen. Selbst bei Spielen, in denen es keinerlei Interaktion gibt – etwa einem Roll and Write – vergleicht man am Ende seine Punkte. Ausgegebenes Spielziel ist es, mehr Punkte zu haben, als die anderen.

Bei kooperativen Spielen fehlt ein Gegner. Wie Georgios schon angemerkt hat, ist das Spiel eben nicht der Gegner im eigentlichen Sinne des Wortes. Zwar wird gerne gesagt, man würde „gegen das System“ spielen, doch das System ist in vielen Fällen rein passiv. Die Sichtweise „das Spiel ist der Gegner“ ist historisch bedingt: Die früheren kooperativen Spiele ersetzten die Personen, gegen die man sonst spielt, gegen einen anthropomorphisierten Mechanismus: Eine „böse Wolke“, gegen die man spielt oder ein Feuer oder Sauron (Es gab damals auch schon Ausnahmen wie etwa Das Bärenspiel, bei dem man allenfalls gegen den Wald spielt, aber da man Das Bärenspiel nicht wirklich verlieren kann, ist das eh ein Sonderfall). In den letzten Jahren ist  dieses zum Teil eher künstlich aufgebaute Feindbild  immer häufiger verschwunden und das Spiel wird dargestellt als das was es ist: Eine Aufgabe, die gelöst werden soll, eine Herausforderung eben, die man sich als Gruppe stellt: Man spielt nicht gegen „den Mörder“ sondern versucht diesen einfach zu ermitteln. Man spielt nicht „gegen die Zeit“ sondern muss einfach die Aufgabe schaffen, bevor das Spiel endet, Man spielt bei Order Overload Café nicht gegen das eigene Gedächtnis oder gegen die Gäste oder gegen das Café, sondern muss halt irgendwie versuchen, die immer schwieriger werdene Aufgabe „Merke dir die Bestellungen“ zu lösen.

Auf den ersten Blick ist das nur eine Frage des Framing, tatsächlich ist das aber ein entscheidender Unterschied: Die Zeit oder die „handelnden“ Personen in einem Krimispiel sind ja keine aktiven Antigonist:innen, sondern rein passiv. Selbst ein elaborierter Mechanismus wie etwa bei Pandemie ist eben genau das: Ein Mechanismus, der unabhängig von den Spielenende agiert. Die Mechanismen reagieren nicht auf die Aktionen der Spielenden, sie antizipieren sie nicht, sie werden nicht durch die Spielenden oder ein Meta-Spiel beeinflusst. Selbst Bots oder Dummys spielen nicht im engeren Sinne gegen die Gruppe, sondern simulieren dies nur – und die meisten Spiele tun dies nicht einmal. Dies mag auch erklären, warum die Rahmenhandlung bei epischen Fantasyspielen oft sehr getrennt vom aktuellen Spiel wahrgenommen wird. Genauso wenig, wie wir Donkey Kong im Videospiel wirklich als Antagonisten wahrnehmen (sondern eher das Ziel, das zu erreichen ist), nehmen wir „Big Bad“ als Urheber für die Monster oder die Zauberflucheinflusskathastrophenkarten wahr – wir wissen instinktiv, dass dies keine reale Person ist. Donkey Kong oder die Geister bei Pacman mögen zwar als Gegenspieler codiert sein, aber unmittelbar kämpfen wir gegen anderes -Das Spielziel ist nicht, „Donkey Kong zu besiegen“ sondern „oben anzukommen“, bzw „das Labyrinth leerzufressen“. Donkey Kong und die Geister sind Hindernisse dabei, die Aufgabe zu schaffen, keine gleichberechtigten Gegner, die wir ausspielen. Entsprechenden Platz nehmen „Big Bads“ ein: In Gloomhaven sind die Monster Hindernisse, sie zu besiegen ist wie eine Schachfigut zu schlagen – die ist ja auch kein „Gegner“ im eigentlichen Sinne. Und dass sie nomninell von einer Bösen Entität gesteuert wird, wird von Spielenden als die thematische Einkleidung begriffen, die sie ja auch ist.

Wird das „Lösen einer Aufgabe “ statt „Gewinne gegen jemanden“ als Spielziel angesehen, dann wird klar, warum sich kooperative Spiele in den meisten Fällen anders anfühlen als ihre kompetitven Verwandten. Es erklärt auch, warum es bei manchne (oft kommunikativen Spielen) diesen Wechsel im Spielgefühl oft gibt: Das Erklären eines Begriffes oder das Darstellen einer Redensart mit sehr eingeschränkten Mitteln ist bereits eine Herausforderung, der man sich stellt. Ob man sich dieser Herausforderung im Wettstreit stellt oder nicht, spielt für das Lösen der Aufgabe dann oft keine Rolle mehr.

Dem Gegenüber stehen Spiele wie Schach, deren einzige Herausforderung darin besteht, den Gegenüber zu schlagen. Die Herausforderung hängt einzig und allein von der Spielstärke der anderen Person ab. Schach ist daher rein kompetetiv und würde sich in einer kooperativen Variante am stärksten ändern. Betrachtet man diese Skala – wie stark hängt die Herausforderung von der Spielstärke der Mitspielenden ab? – bekommt man ein Gefühl dafür, wie „kooperativ“ ein Spiel tatsächlich ist. Die Frage, wie „kooperativ“ Semikooperativ ist oder ob „Eine Person gegen den Rest“ als kooperative Spiele angesehen werden können (oder sollten) bekommt eine neue, überraschende Antwort: Es hängt davon ab, worin die Herausforderung besteht.

Früher hättte ich tatsächlich eher argumentiert, dass es davon abhängt, wie gut die Spielenden kooperieren können. Doch Spiele wie Order Overload Café oder auch The Mind haben streng genommen ja keinerlei Möglichkeiten sich gegenseitig zu unterstützen. Dennoch liegt gerade in der Herausforderung die Motivation, ja das Verbindende: Wir wollen alle die Aufgabe schaffen. Wir können die Aufgabe nur gemeinsam schaffen oder eben nicht. Das sorgt für ein verbindenes Teamgefühl und das ist es, was kooperative Spiele ausmacht.

ciao

peer

 

Peer Sylvester
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