spielbar.com

Wieviel semi ist in semikooperativ?

„Semikooperativ“ heißt wortwörtlich „halbkooperativ“, bzw.  „teilkooperativ“. Also heißt „semikooperativ“ erst einmal nur,  dass kooperative Elemente im Spiel vorkommen, das Spiel selbst aber nicht vollkooperativ ist. Diese Bedeutung ist sehr weit gefasst und würde bedeuten, dass alle Spiele, in denen die Spielenden temporär mal zusammenarbeiten, semikooperative Spiele wären – z.B. auch Spiele wo zwei Bündnispartner:Innen temporär zusammenarbeiten, um jemand anderes zu stoppen.

Niemand benutzt den Begriff auf diese Art und Weise.

Es macht daher mehr sinn, zu untersuchen, welcher Sprachgebrauch sich in der Spieleszene durchgesetzt hat und welche Spielarten, obgleicht technisch gesehen „semikooperativ“, nicht als solche bezeichnet werden. Ich hatte als kleine Orientierung eine nicht-repräsentative Twitterumfrage gestartet, die ich als Ausgangspunkt nutzen möchte:

Ich hatte eine kleine Liste mit Spielarten, bei denen größere Teile kooperativ angelegt sind und in deren Zusammenhang ich den Begriff „Semi-kooperativ“ schon mal gehört hatte:

1. Teamgames (innerhalb des Teams kooperativ, aber nur ein Team gewinnt. Beispiel: Doppelkopf)

2.  Verräterspiele (Alle Spielen kooperativ, bis auf die Verräter, die versuchen quasi dass Spiel für alle zu verlieren. Beispiel: Schatten über Camelot)

3. Pretendergames (Eine Person ist der Betrüger/Pretender und die anderen müssen den aufspüren. Beispiel: Fake Artist goes to New York)

4. Sündenbockspiele (Alle spielen gemeinsam, aber eine Person verliert am Ende, während der Rest gemeinsam gewinnt. Beispiel: Alcatraz)

5. Spiele in denen eine Person gewinnt, außer ein bestimmtes Ereignis tritt ein, dann verlieren alle (Beispiel: Terra)

Obwohl auf alle diese Spiele der Begriff „semi-kooperativ“ im Wortsinn passen würde, waren die Abstimmungen im allgemeinen recht deutlich: 5) wurde ganz klar als „semi-kooperativ“ bezeichnet, 1, 3 und 4 waren deutlich nicht semi-kooperativ. Nur bei 2 war es etwas knapper, aber auch dort hat sich eine Mehrheit gegen den Begriff „semi kooperativ“ ausgespochen. Das entspricht auch meine Gefühl. wie dieser Begriff überwiegend verwendet wird (auch wenn es natürlich vereinzelt Ausnahmen gibt – keine der Abstimmungen war einstimmig, trotz Abstimmungszahlen zwischen 20 und 50).

Meine Hypothese ist, dass „Semi-kooperativ“ eigentlich als Genrebezeichnung wahrgenommen wird, nicht als Namen für einen Mechanismus oder eines Spielelementes. Da Teamgames, Verräterspiele, Pretenderspiele und Sündenbockspiele bereits eben diese Bezeichnungen haben und zudem die ersten mit „semi-kooperativ“ bezeichneten Spiele genau diesen Mechanismus „alle verlieren“ haben, hat sich dieser enge Sprachgebrauch durchgesetzt. Es macht insofern auch sinn, den Begriff in Zukunft so zu benutzen, denn ein kritischer Brettspieldiskurs wird durch klare Begrifflichkeiten vereinfacht.

Mit einem solchen Verständnis lassen sich auch andere Grenzfälle eher zuweisen: Sind Bündnisspiele semikooperativ? Nein, denn die sind analog zu Teamspielen, nur dass sich die Teams eben während des Spieles erst finden und nicht aus einer gleichen Anzahl von Personen bestehen müssen (inkl. 1)

Was wäre mit kooperativen Spielen, bei denen eine Einzelperson aber eine eigene Siegbedingung hat, die er unabhängig von den anderen erfüllen muss (und er gewinnt unabhängig vom Rest)? Wenn sein Sieg die Niederlage der anderen ist, dann liegt ein Verräterspiel vor. Wenn der Sieg der anderen die Niederlage des Einzelspielers bedeutet, ein Sündenbockspiel. Und wenn beides unabhängig voneinander ist würde ich für einen Sonderfall eines Teamspieles argumentieren, bei dem ,beide Teams gewinnen können. Oder aber für eine eigene Kategorie. Der Grund: Nach der aktuellen Bedeutung ist der kooperative Anteil im Spiel erst einmal klein: Das Charakteristikum ist, dass ein Einzelspieler gewinnen kann. Es  besteht lediglich die Möglichkeit einer gemeinsamen Niederlage, quasi als Ausnahme (auch wenn die Ausnahme bei einigen Semi-kooperativen Spielen  wie Terra in der Praxis recht häufig ist). Fällt eines dieser Elemente weg, ist das Charakteristikum des Genres „semikooperativ“ nicht gegeben. Anders ausgedrückt: Semikooperative Spiele sind eher kompetitive Spiele, bei denen alle gemeinsam verlieren können, und weniger kooperative Spiele, bei denen auch mal ein Einzelspieler gewinnen kann.

Damit müsste ich auch Spielen wie Kyoto das Label „semi-kooperativ“ verweigern, Spiele also, wo nicht alle verlieren sondern nur ein Teil der Spielenden (im Falle von Kyoto nur die punktbeste Person, aber es ist nicht schwierig sich andere Fälle – die besten zwei, alle bis auf eine Person, alle mit mehr Punkten als der Durchschnitt etc. – auszumalen). Dieser Fall scheint mir ein normales komparatives Spiel mit besonderer Wertung zu sein – wobei es schon einen spielerischen Unterschied zu mehrstufigen Wertungen á la Himalaya/Lords of Xybit gibt: Durch die Verknüpfung an Siegpunkte, also an genau an die Leistung der Gesamtgruppe, wird spielerisch ein ähnlicher Effekt erreicht, wie bei reinen semi-kooperativen Spielen: Die Spielenden spielen nicht ganz effizient, sondern achten immer wieder auf „die Allgemeinheit“. Ich könnte daher auch mitgehen, wenn man Kyoto als semi-kooperativ bezeichnet. Allerdings gilt dieses Ausscheiden nur, wenn eine Bedingung nicht erfüllt wird (analog zu semi-kooperativen Spielen im klassischen Sinn wie oben definert). Wäre Kyoto ein semi-kooperatives Spiel, wenn immer nur der zweite gewinnt? Auf diese Frage habe ich für mich noch keine Antwort gefunden.

,

ciao

peer

Weitere Leseangebote: Hier ein vertiefender Artikel über die Probleme vieler semikooperativer Spiele und hier ein paar Überlegungen zu Teamspielen.

Peer Sylvester
Letzte Artikel von Peer Sylvester (Alle anzeigen)