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Über den Atlantic

Vor wenigen Tagen erschien im amerikanischen Magazin The Atlantic ein Artikel in dem es um Brettspiele und ihre befremdliche Faszination mit dem Thema Kolonialismus ging. In diesem Zusammenhang wurden unter anderem drei Spiele genannt, die alle auf ihre Art im Umgang mit diesem Sujet scheitern: Puerto Rico, Mombasa und Archipelago.

Interessant ist dabei wie diese Spiele den Anforderungen eines aufgeklärten Publikums nicht gerecht werden. So wird an Mombasa kritisiert, dass die Darstellung des afrikanischen Kontinents als Ressourcen produzierende Landschaft ohne eigene Bevölkerung, Geschichte oder Kultur eine unbequem euphemistische Inszenierung der europäischen Kolonialgeschichte darstellt. Anders gesagt, Mombasa wird vorgeworfen, dass es sich zwar entfernt an den exotischen Bildern und einem fremden Ambiente eines afrikanischen Landes bedient, aber sämtliche Abgründe ausblendet. Eine Auseinandersetzung mit dem Thema wird unterbunden, um – wie die Anleitung erklärt – das wohlige Gefühl beim Spielen nicht zu beeinträchtigen.

Puerto Rico wird eigentlich bereits seit seiner Veröffentlichung mit seinem Umgang mit dem Thema Kolonialismus konfrontiert. Heute gilt es als das Paradebeispiel für die taktlose und geschmacksverirrte Art mit der man anspruchsvolle Spielinteraktion in einen eher gleichgültigen Umgang mit dem Thema Sklaverei verpackt. Im Artikel wird erwähnt, dass das Spiel lange Zeit auf der Boardgame Geek Bestenliste auf Platz 1 thronte. Augenscheinlich weil sich nur wenige Brettspieler daran störten, dass man Plantagenarbeiter mit dem Boot nach Puerto Rico holt. Als wäre das eine völlig normale, unproblematische wirtschaftliche Transaktion, die jenseits irgendwelcher ethischen oder moralischen Dimension existiert. Puerto Rico trivialisiert sein Thema, weil es lediglich als stimmungsvolle und exotische Verkleidung für augenscheinlich interessante Spielmechanismen dient.

Das letzte Spiel, welches ich in diesem Zusammenhang für erwähnenswert halte – und welches auch im Artikel genannt wird – ist Archipelago. Das Thema Kolonialismus wird hier nicht ausgeblendet, sondern stellt – anders als bei Mombasa – ein Kernelement des Spielkonzepts dar. Auch wird das Vertreiben und Ausbeuten der indigenen Bevölkerung nicht als wertneutrale Handlung in das Spiel eingebettet – wie etwa bei Puerto Rico – sondern hat greifbare Folgen, welche die Spielgruppe nicht ignorieren kann. Die Illustrationen des Spiels können jedoch den kulturellen Hintergrund der Spieleschaffenden nicht ganz abstreifen. So ist nicht nur der Blick auf die indigene Bevölkerung von europäischem Imperialismus geprägt; auch die Auswahl der kulturellen Verweise wirkt beliebig und ohne die Sorgfalt und das Feingefühl, welches man den Verweisen auf europäische Kulturen widmet. So heißt die Währung im Spiel zwar historisch gerecht „Florin“, die indigenen Völker auf die man im Spiel stößt sind dafür aber eine krude Mischung verschiedener Quellen. Spiele müssen zwar immer mit groben Umrissen, Stereotypen und Klischees arbeiten; aber wenn für eine Gruppe sorgfältig differenziert und recherchiert wird und für die andere nicht, trägt dieses Argument nicht mehr.

Sämtliche dieser Beispiele haben gemein, dass ihre Existenz und auch ihre Spielbarkeit deutlich an das Unwissen und die Ignoranz der Schaffenden und Spielenden gekoppelt ist. Wer nichts über die europäische Kolonialgeschichte in Afrika weiß, dem fällt es leicht über die Auslassungen in Mombasa hinwegzusehen. Wer Sklaverei – und seine Folgen – für ein längst abgeschlossenes Kapitel der Geschichte hält, das grob im gleichen Dunst der Vergangenheit existiert wie „Pirates of the Carribean“, der kann sich auch ohne weiteres auf die Spielmechanismen von Puerto Rico konzentrieren. Wer die abgebildeten Kulturen und Bräuche in Archipelago nur als ahistorische und von einer eigenen Kultur losgelösten ästhetischen Mittel kennt, beschäftigt sich beim Spiel nicht mit dem was man sieht, sondern was man tut.

Unwissenheit wird damit – absichtlich oder nicht – als Grundvoraussetzung für ein schönes Spielerlebnis notwendig gemacht. Das hat in manchen Kreisen gut funktioniert (und tut es vielleicht immer noch), aber je breiter die Spielerschaft gefächert ist, je aufgeklärter und auch kritischer sie wird, umso weniger können sich Spielemacher derartige Anspruchslosigkeit erlauben oder voraussetzen.

Denn sobald man etwas über die historischen Hintergründe des Kolonialismus weiß, ist die Themenwahl solcher Spiele in vielen Fällen kaum zumutbar. Gerade weil sie Eindrücke, Erinnerungen und in manchen Fällen Bilder im Kopf hervorrufen, die bestenfalls rassistisch sind und schlimmstenfalls brutal, gewalttätig und grausam. Wie im Artikel im Atlantic bereits erwähnt wird, ist man als Spielgruppe aufgefordert ein unmenschliches Kapitel der Geschichte zumindest im Kopf nachzuahmen.

Das mag sich im einen oder anderen Fall dadurch rechtfertigen lassen, dass der Spielakt auch eine tiefere Auseinandersetzung mit dem Thema mit sich bringt. Gewissermaßen kann man das über Archipelago sagen. Hier manipuliert man gezielt eine indigene Bevölkerung und Arbeiterschaft, um den eigenen Profit zu stärken. Ähnlichkeiten zu realen wirtschaftlichen Strukturen und Verhaltensmustern sind vermutlich nicht zufällig. Man ist eingeladen sich der Ausbeutung und der Gewalt, die man über Einwohner ausübt, bewusst zu werden.

Leider wird diesem hehren Anspruch der Boden unter den Füssen genommen, sobald man beachtet auf was für ein Spielerlebnis bzw. Erkenntniszuwachs die Spielmechanismen ausgelegt sind. Weder leben wir Kolonialismus in angemessener Fülle nach; noch erarbeiten wir uns ein umfassenderes Verständnis über historische Vorgänge. Die vermeintliche Intention der Spieleschaffenden und Spielabsicht der Spielenden gehen in den meisten Fällen getrennte Wege.

Die übliche Herangehensweise an schwierige Themen

Wir spielen ein Brettspiel nicht, um über Kolonialismus aufgeklärt zu werden oder darüber zu lernen. Die Mechanismen artikulieren ihr Ziel deutlich (z.B. Mehrheit an Siegpunkten sammeln). Spielende gehen in den meisten Fällen mit dem Selbstverständnis an den Tisch sich auf unterhaltsame und gelegentlich anspruchsvolle Art einen Wettstreit zu liefern. Die Einbettung in annähernd reale Geschichte ist hier höchstens eine ästhetische Aufwertung des Spielerlebnis. Es wird aber nicht als Ziel und Zweck des Spiels verstanden.

Die Regeln werden nicht angewendet, um mehr über die Geschichte zu lernen, sondern um das Spiel zu gewinnen. Erzählungen können wir als Spielende im Nachhinein erdichten, um dann über diese lang zu reflektieren und klug klingende Dinge zu konstatieren. Gerade in der modernen Spielkritik wird dieser Ansatz gerade sehr zelebriert. Aber der Spielverlauf ist nur selten davon geprägt welche Bedeutung unsere (nach-)erzählten Geschichten haben. Wir entscheiden nach realen Parametern, nicht nach einer vermeintlichen Aussage, die unsere Handlungen über das Thema fällen.

Das heißt nicht, dass eine kritische Auseinandersetzung mit einem Thema durch das Medium des Spiels nicht möglich oder vorstellbar wäre. Es ließe sich sicherlich ein „ernstes“ Spielgenre etablieren, welches ausdrücklich das Ziel hat Sinnzusammenhänge zu vermitteln. Aber die im üblichen Handel erhältlichen Spiele, werben ja gerade nicht mit Wissenszuwachs, sondern mit Spielfreude. Eine Spielfreude, die von Spielgruppen selten kritisch hinterfragt wird, weshalb man eine solche Herangehensweise auch nicht voraussetzen kann.

Womit die Abkehr von solchen Themen für Unterhaltungsspiele absolut folgerichtig und notwendig ist.

Im Folgeschluß kommt dann die Frage auf, ob Spiele nicht auch um weitere Inhalte einen Bogen machen müssten? Wenn es unmoralisch ist ein Spiel über Kolonialismus zu machen, ist es dann ein Spiel über Krieg oder wirtschaftliche Ausbeutung nicht genauso unmoralisch?

Diese Frage fußt aber auf dem grundlegenden Irrtum, dass Spiele wie Filme, Bücher oder TV als Kulturobjekte auf uns als Publikum wirken und Einfluss nehmen. Aber Spiele sind keine passive Kulturform. Als Spielende werden wir direkt in das Geschehen eingebunden. Wir führen durch unsere Aktionen einen wichtigen Teil des Spielinhalts aus. Wir bringen die Zusammenhänge zwischen Hintergrund und Spielmechanismen erst zur Geltung.

Das Problem an Spielen mit diesen Inhalten ist, dass wir ihre Themen in der Regel unkritisch und ohne sie zu hinterfragen als Teil der Spielwelt akzeptieren. Wir abstrahieren unangenehme und abstoßende Aspekte willentlich und oft vorsätzlich aus unserem Spielerlebnis hinaus, damit wir uns auf den Spaß konzentrieren können. Dann holt man halt Arbeiter aus einem fremden Land mit einem Schiff, damit diese auf der eigenen Plantage arbeiten. Dann gibt es halt niemanden auf dem afrikanischen Kontinent, dem man durch den wirtschaftlichen Abbau von Rohstoffen die Lebensgrundlage nimmt. Die Vergangenheit ist gar nicht so furchtbar und schrecklich. Wir Europäer haben nur ganz gewöhnliche und vernünftige Entscheidungen getroffen, um wirtschaftliche Ziele zu erreichen. Was soll daran so schlimm sein?

Es ist eben diese Normalisierung der Vorstellung, dass die Vergangenheit eine idyllische, romantische und von ethischen und moralischen Fragen befreite Zeit war, die so gefährlich ist. Es ist eine Verklärung der Geschichte zu einer einfacheren Zeit, einem Zuflucht in eine Welt in der alles noch in Ordnung war. Eine Welt in der kluge wirtschaftliche Entscheidungen, nur die Konkurrenten ärgerten, und sonst keine Schäden nach sich zogen. Eine Zeit, in der jeder seinen Platz hatte, die Gesellschaft noch nach Siegern und Verlieren sortiert war und man diese Rollen ganz meritokratisch ermitteln konnte. Kurz: es macht den kontrafaktischen und realitätsfernen Gedanken salonfähig, dass es früher irgendwie doch besser war. Für Männer und Frauen. Für weiß und schwarz. Für alle und jeden.

Um es deutlich zu sagen, das Problem mit Brettspielen, die Kolonialismus behandeln liegt nicht darin, dass Kolonialismus „falsch“ dargestellt wird. Das Problem liegt darin, dass eine kritische Betrachtung dieser Inhalte und eine Ablehnung verklärender Darstellungen eben noch Randgruppenmeinung und nicht vollkommen selbstverständlich ist.

Wer in einem Film die Geschichte der Autobahn erzählt und dabei sämtliche Beteiligung der Nazis daran als respektable und schwer arbeitende Gruppe hinstellt, würde zu Recht Prügel beziehen. Egal wie unterhaltsam, witzig oder spannend die Geschichte um den Bau der Autobahn auch erzählt sein mag; wer die Nazis hier positiv darstellt, kommt nicht weit. Weil wir das Medium Film eben durchaus kritisch zu hinterfragen bereit sind.

Der kritische Umgang mit Brettspielen hat dieses Niveau noch nicht erreicht. So lange wir (als ganze Szene) nicht gewillt sind Brettspiele aufgrund ihrer unzureichenden Darstellung der gewählten Themen zu bewerten und auch mal abzulehnen, können wir solche Inhalte nicht in einem Spiel umsetzen. In der Kritik darf eine Trennung von Spielmechanismen und Thema nicht mehr zulässig sein. Die Aufarbeitung des Spielhintergrundes muss genauso kritisch und wertend betrachtet werden, wie es mit Spielmechanismen und Spielgefühl der Fall ist.

So lange Kolonialismus in einem Spiel von den Spielenden nicht als solcher verstanden, gesehen und beurteilt wird, ist das Spiel zum Scheitern verurteilt. Kein Spiel mit derartigen Inhalten sollte darauf ausgelegt sein familienfreundlichen Spaß zu machen, oder so verstanden werden. Das wird den realen Hintergründen dieser Spiele nicht gerecht. Aber auch die Spielgemeinschaft sollte mehr Selbstachtung besitzen als sich mit einer solchen Darstellung in Spielen zufrieden zu geben. Wir werden dem Medium Spiel nicht gerecht, wenn wir das Präsentierte kommentarlos hinnehmen, unangenehme Implikationen ausblenden oder umdeuten, weil wir uns unseren „Spaß“ nicht dadurch verderben lassen wollen.

Vielleicht ist die einzige falsche Art solche Themen in ein Spiel zu legen, zu glauben, dass Spielende in ihrem unkritischen, gutgelaunten Spielgenuß ja nicht gestört werden wollen. Folgerichtig ist die einzige falsche Art solche Spiele zu spielen, wenn man diese Abgründe und Schattenseiten willentlich und wissentlich ignoriert, damit man das „eigentliche“ Spiel genießen kann.

Aber vielleicht ist gerade das zutiefst Europäisch.


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Artikelbild (Affen) von Joao Tzanno on Unsplash

Georgios Panagiotidis
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