spielbar.com

Alle Wege führen zum Sieg

Wenn man Spiele entwirft, über sie schreibt oder einfach versucht sie zu verstehen, um sie im Anschluß seiner Spielgruppe zu erklären, muss man sich irgendwann die Frage stellen was Spieler eigentlich beim Spielen motiviert. Genauer gesagt, welches Ziel muss man verfolgen, um die Ansammlung an Regeln und Spielmaterial in Gang zu bekommen? Was genau treibt einen zum Spielerlebnis, welches das Design einem verspricht?

Für die meisten Spiele gilt eine einfache und offensichtliche Antwort: Sieg. Man will das Spiel gewinnen. Das ist alles. Das ist der Grund weshalb man spielt. Zumindest ist es der einzige Grund, den das Design eines Spiels offen zu benennen bereit ist. Anreize und Entscheidungspunkte werden mit der Grundannahme gelegt, dass die Spieler vor allem eine Frage beschäftigt: was muss ich tun, um meinen Gegner zu schlagen? Aus diesem Antrieb können vielfältige Strategien entwickelt werden. Man kann mehr Siegpunkte als der Gegner sammeln. Man kann versuchen seinen Gegenspieler zu verlangsamen. In Nullsummenspielen geht es darum die Position des Gegenspielers zu dezimieren. Wer besonders ehrgeizig ist, übernimmt diesen Ansatz für generell alle Spiele. Sogar solche, die man genausogut auch unabhängig voneinander zum Ende führen kann.

Auf Sieg zu Spielen macht Spaß. Um den Sieg zu ringen ist etwas was einer großen Menge an Spielern Freude macht. Insbesondere Spieler, die schon lange mit dem Hobby tun haben, schätzen diesen Wettstreit-Gedanken und erfreuen sich daran.

Aber es ist kein Zufall, dass das Brettspiel nicht mit der Erfindung von Diplomacy eine derart weite Verbreitung erfahren hat, wie es derzeit der Fall ist. Das goldene Zeitalter des modernen Brettspiels fing nicht mit Risiko, Monopoly oder irgendeinem anderen Spiel, in dem alles auf den reinen Wettkampf herunterdestilliert wurde.

Soll das wirklich alles sein?

Es gibt einen Grund, weshalb ein Spiel, das den Ehrgeiz der Spielenden als zwingend erforderlich voraussetzt, mit hoher Wahrscheinlichkeit nur eingeschränkt weiterempfohlen wird. Je essentieller der Wettkampf für das Spiel ist, umso kleiner das Publikum, welches das Spiel mit offenen Armen empfangen wird. Der Grund lautet, dass der Wettbewerbsantrieb eben nicht das Wesen des Menschen ausmacht. Der Sieg ist nicht der goldene Kelch, dem jeder instinktiv hinterherläuft, wenn er sich zum Spielen an den Tisch setzt.

Als ich 2019 auf der Spiel in Essen war, probierte ich auf Empfehlung eines begeisterten Kommentars auf Twitter eines der Spiele dort aus. Es wurde uns präsentiert als ein Spiel in dem man kurzfristig Bündnisse eingeht, um Kartenstapel zu erobern und die Punkte untereinander aufzuteilen. Theoretisch – und vom Design so beabsichtigt – sollte es ein Spiel voller spannender Verhandlungen, Bluffs und argwöhnischen Punktetaufteilungen sein.

Praktisch kam es zu nichts davon in unserem Spiel. Wir haben zusammengearbeitet, wenn wir es konnten. Wir haben uns gefreut, wenn es gelang Punkte zu holen. Als dann ein Spieler am Ende gewann – wie es die Regeln es uns auferlegt hatten – bestanden der Spielspaß und die erinnerungswürdigen Momente aus unserer Zusammenarbeit.

Nun könnte man sagen, dass wir das Spiel falsch gespielt haben; dass wir unseren Spaß abseits vom Spiel selbst gemacht haben. Aber ich würde dagegen halten, dass das Spiel einfach zu fest am Designdogma das Siegen-Über-Alles festgehalten hat. So kam es, dass die interessanteste aus dem Spiel entstehende Dynamik vom restlichen Regelwerk einfach ignoriert wurde. Unser Verhalten entwickelte sich – wie es bei Menschen nun mal so üblich ist – in eine prosoziale Richtung.

Wir wollten uns helfen. Wir erfreuten uns daran, wenn uns gemeinsam etwas gelang. Wir wollten uns nicht gegenseitig der Punkte beneiden, uns wegen Einzelerfolgen hintergehen oder uns gegenseitig ein Schnippchen schlagen.

Dabei ist es sicherlich kein Geheimnis, dass man sich beim Spielen an mehr erfreuen kann, als an etwas so banalem wie einem Sieg. Kooperative Spiele im Stile von Pandemie leben von der Zusammenarbeit zwischen den Spielern. Partyspiele funktionieren oft, weil die zentrale Aktivität Freude bereitet. Bei Spielen wie etwa Concept, Just One oder auch Perfect Match kommt es oft vor, dass die Punktewertungen ignoriert werden und der Spielakt selbst für Freude sorgt.

Denn neben dem einfachen Sieg, gibt es eben viele andere Ziele, die das Spiel vorantreiben können. In diesem Hobby werden so feinste Unterschiede gemacht, wenn es um darum geht wie ein Spieler seine nächste Aktion wählt. Es gibt Worker Placement, Rondelmechanismen, Aktionskarten, Punktekauf, Würfelergebnisse usw. usf. … ist es da nicht an der Zeit auch mal unsere Spielziele präziser voneinander zu unterscheiden?

Siegen bedeutet auch immer einen anderen Spieler geschlagen zu haben. Man holt bei einem Rennen nicht den Sieg, weil man eine neue Bestzeit gelaufen ist. Man besiegt ein Puzzle nicht, weil man es gelöst hat. Man nennt sich erst dann Sieger, wenn man einen Gegner bezwungen hat. Das ist etwas anderes als eine Herausforderungen in einem kooperativen Spiel zu bewältigen, oder eine Aufgabe in einem Partyspiel zu erfüllen.

Ein Doppelsieg heißt ja auch doppelt Spaß

Der Unterschied wird deutlich, wenn wir darauf achten wie wir auf diese Zielsetzungen reagieren. Ein spielerischer Wettkampf lässt uns unsere Eitelkeit ausleben und auf unser dargebotenes Können stolz sein. Das ist kein Vorwurf, sondern eine Erklärung für die intensiven Gefühle, die wir durchleben, wenn wir ein besonders hitziges Spiel gewonnen oder verloren haben. Obwohl uns die begrenzte Bedeutung des Spiels bewusst ist, reagieren wir auf den Ausgang emotional.

Betrachten wir das Spiel als das Lösen einer Aufgabe oder das Überwinden eines Herausforderung, so verschiebt sich unser Erlebnisspektrum ein klein wenig. Etwas nicht zum Abschluß bringen zu können, oder an einem Problem zu scheitern, fühlt sich anders an. Es färbt nicht nur den Ausgang eines Spiels anders ein, sondern ändert auch unsere Herangehensweise an dieses Spiel. Wir ziehen andere Fragen in Erwägung, wenn nicht mehr das Bezwingen eines Gegners im Mittelpunkt steht.

Für Spieler ist nichts davon wirklich neu. Ich habe schon viele getroffen, die mir erklärten, dass sie sich andere Ziele suchen, wenn der Sieg für sie schon frühzeitig nicht mehr in Frage kommt. Es würde mich auch überhaupt nicht wundern, wenn so manche derzeit erscheinenden Spiele die Siegbedingungen, die einen Spieler über alle anderen heben, eher aus Traditionsbewusstsein und Verpflichtung eingefügt haben. Vielleicht ist es an der Zeit den Sieg nicht nur im eigenen Spielverhalten unterschiedlich stark zu gewichten, sondern auch von Designerperspektive alte Bräuche und Gepflogenheiten öfter in Frage zu stellen.

Georgios Panagiotidis
Letzte Artikel von Georgios Panagiotidis (Alle anzeigen)