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Das Spielen ist schön!

Wer über längere Zeit ein Hobby betreibt, der neigt dazu, das Jetzt mit dem Was-War zu vergleichen. Dabei ist die Konstante, an der man Veränderungen misst, ganz zwangsläufig man selbst. Menschen sind nicht gerade gut daran, Veränderungen an sich selbst festzuhalten, obgleich kaum einer noch die Überzeugungen aus beispielsweise der achten Klasse unterzeichnen würde. Daher ist die Veränderung die man wahrnimmt in erster Linie eine Veränderung der Außenwelt. Und ganz allgemein neigen Menschen dazu, Veränderungen der Außenwelt eher als unbequem wahrzunehmen, zumindest wenn diese Änderungen ohne Erlaubnis stattfanden.

Mit anderen Worten: Früher war alles besser. Der Zeitpunkt dieses „früher“ ist dabei recht flexibel, je nachdem, über was man spricht und wie genau man über das „Früher“ nachdenkt.

Wer regelmäßig über Spiele schreibt, hebt nicht nur aus diesem Punkt vor allem die Dinge hervor, die missfallen. Da nehme ich mich nicht aus. Natürlich immer auch in der Hoffnung, Dinge mögen sich ändern. Prinzipiell kommen daher positive Entwicklungen eher zu kurz. Ich versuche da einmal gegenzusteuern und einmal über positive Dinge schreiben, die ich über „Brettspiele“ noch sagen wollte. Gerade in diesen Zeiten sind positive Gedanken sehr wichtig für die geistige Gesundheit.

Die Spiele: Nichts wundert mich so sehr, wie wenn jemand schreibt, dass die Spiele früher besser waren. Sicherlich: Viele tolle Spiele sind in der Vergangenheit erschienen. Doch nicht alle auf einmal. Fakt ist: Niemals -und ich wiederhole das gerne! – NIEMALS war die Spannweite an Spielen und auch die generell Qualität höher als jetzt. Es ist noch nicht so lange her, da dominierte der eine oder andere Spielstil. In der Anfangszeit der Spielbar habe ich die Öffnung der Schere zwischen Vielspielerspielen und Familienspielen kritisiert. In den 90er Jahren gab es in Deutschland praktisch nur Euros. Und in jenen 90er Jahren musste man gerade bei Kleinverlagen tatsächlich aufpassen, dass Spielanleitung verständlich und vollständig war, ja dass die Spiele überhaupt funktionierten. Und wenn man zeitlich weiter zurück geht, war das selbst bei großen Verlagen keinesfalls garantiert. Spielerezensenten waren damals tatsächlich noch Spieletester, weil manches gar nicht oder nur so gerade eben funktionierte. Wir hatten damals mehrere Spiele, bei denen zentrale Regeln nicht klar waren oder für die es eine absolute Gewinnstrategie gab. Heute muss man schon ziemloch suchen, um deartiges zu finden. Aber auch wenn man die Latte höher hängt, stellt man fest: Ein durchschnittliches Spiel mag heutzutage niemanden vor den Ofen vorlocken, aber man vergisst leicht, was „Mittelmaß“ noch vor 20 Jahren bedeutete. Ich empfehle jeden, der einen Abgesang auf die heutigen, angeblich nicht mehr so sauber designten, Spiele anstimmt, mal auf einem Flohmarkt Spiele von vor 10, 20 Jahren zu kaufen oder vielleicht einfach mal in alten Spielboxen zu blättern. Mittelmaß bleibt per Definition nicht im Gedächtnis, an was man sich erinnert sind die Highlights.

Mag man über Geschmack noch streiten, so ist es doch unstrittig, dass die Spannbreite an Spielen schon alleine durch die Internationalisierung gestiegen ist. Autoren und Verlage aus aller Welt produzieren Spiele für wirklich jeden Geschmack. Wer meint, sein präferiertes Genre würde vernachlässigt, sucht nicht richtig. Allenfalls kann kritisiert werden, dass es nicht in Deutschland produziert wird, aber selbst wenn man sich die hierzulande produzierten Spiele anschauen würde, findet man eine gehörige Bandbreite: Solospiele, Partyspiele, Eurogames, Narrative Spiele, Kartenspiele, Würfelspiele, Denkspiele, Rollenspiele… Natürlich wird keiner alle diese Genres mögen – jeder hat seine Präferenzen und das ist in Ordnung. Es beschwert sich ja auch keiner darüber, dass es zu viele Kinderspiele gäbe. Warum sich also etwa über narrative oder Solospiele beschweren? Natürlich darf jeder bedauern, dass sein präferiertes Genre nicht im Mittelpunkt steht, aber es muss einem schon klar sein, dass dies ein sehr egozentrisches Weltbild ist. Spielen bedeutet Gemeinschaft, da sollte man so sozial sein, sich zu freuen, dass mehr Geschmäcker angesprochen werden. Vor allem, weil eben Bandbreite und Qualität durchweg so gestiegen sind.

 Die Leute: Beim Spielen reizt mich der Wettkampf, die geistige Herausforderung, das Entdecken von Neuem, der Umgang mit Emotionen und sicherlich noch einiges mehr. Aber dass ich selbst meine „Vielspielerzeit“ schon in Dekaden messen kann, hat einen einfachen Grund: Die Mitspieler. Spielen gibt einen die beste Ausrede, um sich zu regelmäßig treffen. „Brettspiele“ sind im entsprechenden Kreis immer ein Thema, über das zumindest ich stundenlang reden könnte (siehe auch die entsprechende Podcast-Reihe). Ich habe noch drei Freunde aus Schulzeiten, einige aus Seglerkreisen, einige aus Beruf und Umfeld, aber mit Abstand die meisten meiner Freunde kommen aus dem Spielehobby. Auch gerade online habe ich eine unglaublich hohe Anzahl an tollen Menschen getroffen, denen ich sonst niemals begegnet wäre.

Natürlich gibt es auch im Brettspielbereich problematische Menschen. Die gibt es überall. Doch Spielen ist ein soziales Hobbys und daher sind auch gefühlt besonders viele Menschen hier sozial. Vielleicht fallen deswegen die weniger sozialen Mitspieler mehr auf? Ich will nicht sagen, dass ich nur positive Erfahrungen gemacht habe, aber im Vergleich sind es doch überwältigend viel mehr positive.

Nun bin ich allerdings ein weißer Mann und PoCs und/oder Frauen haben sicherlich anderes zu berichten. Ich sage nicht, dass unser Hobby perfekt ist. Es gibt noch viel in Sachen „Inklusion“ zu tun. Ich sehe aber einen sehr positiven Trend – was auch mit der Internationalisierung und Diversität der produzierten Spiele zu tun hat. Mehr verschiedene Leute die spielen, erhöhen zwangsläufig die Akzeptanz. Wer das negativ sieht, hat am Spieltisch nichts verloren.

Die Themen: In der Pöppel Revue gab es einmal eine Karikatur von Christoph Tisch: Sein Pöppel gründete einen Verein gegen die Vereinnahmung ägyptischer Götter für irgendwelchen abstrakten Spiele. Das ist über 20 Jahre her – Ägypten war damals in Spielen omnipräsent. Dann kam das Mittelalter und dieser Trend hält bis heute an. Dennoch ist die Bandbreite an Themen so hoch wie nie zuvor. Neben dem Mittelalter kann man Flugzeuge oder Kinos befüllen, in so ziemlichen jedem Zeitalter der Menscheitsgeschichte kleinere Menschengruppen führen, den Mars besiedeln, Kriminalfälle lösen oder Eisenbahnlinien bauen. Und das sind noch nicht einmal die originelleren Spiele. Ich habe im letzten Jahr  unter anderem Toiletten beschmutzt, die Weltwirtschaft zugrunde gerichtet, Deiche gebaut, Vögel beobachtet, Nessi  gesucht, Geangelt, Kühe gestohlen, mit Dinosauriern am Teetisch gesessen, Riesen mit Steinen beworfen, einen Selbstmord verhindert, mit einer Stoffpuppe im Müll gegraben und mit einem Delphin Müll am Strand weggeräumt und ein Brettspielcafe geführt. Trotz Häufungen entdecken Spieleautoren und Verlage doch immer mehr, dass ein gutes Thema neugierig macht, sich aus dem Spieleangebot absetzt.

Gleichzeitig wird auch immer mehr über kritische Themen diskutiert. Auch wenn die Diskussionen mitunter hitzig sind: Das ist eine gute Entwicklung. Es zeigt, dass Themen wichtig sind, dass Menschen von Themen bewegt werden und dass ein Thema wie „Kolonialismus“ von Betroffenen eben auch als Thema wahrgenommen wird. Es zeigt, dass die internationale Szene und die Diversifität innerhalb der Szene wächst. Was in dem einen Land akzetabel ist (z.B. 2. Weltkriegs-Themen in den USA) , mag im anderen Land ein Tabu sein (z.B. in 2. Weltkriegsthemen in Deutschland). Dies wird erst jetzt so richtig wahrgenommen, so richtig diskutiert. Wir sind da am Anfang eines Weges, aber wir sind auf dem Weg. Es gibt noch viele spannende Themen zu entdecken und manchmal ist ein bisschen Zwang, wie eben eine verstärkt sensibilisierte Wahrnehmung da hilfreich. Auch sehe ich dies absolut als Zeichen, dass das Spielen eben mehr ist als eine „Kinderei“, sondern sich auf dem Weg zum Kulturgut befindet. Wer das Spiel dort sehen will, der muss verstehen, dass Themen mehr sein müssen, als nur Bezeichnungen für Gebäude- eine Erkenntnis, die sich immer mehr durchsetzt.

Die Verlage: Ich weiß nicht, wie Verlage durch die Krise kommen, insofern kann ich mich nur auf den Prä-Corona-Zustand beziehen. Und da stelle ich fest: Das Verlagskarussell dreht sich wie eh und je. Verlage werden aufgekauft, fusionieren, werden selbstständig oder änderen ihre Ausrichtung. Neue Verlage werden gegründet. Ich sehe die Lage nicht schlechter als vor 20 Jahren. Nur anders. Kleinverlage produzieren professioneller. Verlage arbeiten mehr zusammen. Und auch wenn ich einer der größeren Kritiker der hiesigen Verlagsszene bin, sehe ich auch hier, dass Verlage wie Heidelbär, Spielworxx, Frosted Games (und damit indirekt auch Pegasus) oder Spielfaible die Spielelandschaft in alle Richtungen erweitern. Habe ich vor 20 Jahren noch kritisiert, dass gerade die kleinen Verlage oft wenig eigenständiges Profil besitzen und nicht selten ein ähnlcihes Programm haben, wie die „großen“, ist dies jetzt anders geworden. Auch hier ist der Wandel, der m.E, wünschenswert ist, noch nicht 100%ig vollzogen, aber ich sehe einen Markt, der mir gesund erscheint.

Das Internet… ist natürlich großartig. Die Spieleszene wäre weder so international noch so familiär ohne es. Es ist aber auch ein gewisser Gleichmacher: Jeder kann Spiele erfolgreich über das Internet vertreiben (Siehe Skyjo). Und jeder kann seine Meinung sagen. Es wird gerne vergessen, dass dies eine grundsätzlich gute Sache ist; Gatekeeper versuchen nur die „richtigen“ Meinungen und Formate zuzulassen, andere dissen Mitbewerber, als wären sie Gangs, die New York unter sich aufteilen . Und ich kenne mindestens einen Journalisten der quasi als Blogwart auf allen möglichen Seiten den Betreibern in deren Kommentaren mitgeteilt hat, was sie alles falsch machen. Doch es wäre ein Fehler diese Störgeräusche als „Fazit“ wahrzunehmen. Erstens einmal ist die Meinungsvielfalt zu begrüßen; Ich als User kann aus vielen unterschiedlichsten Kanälen diejenigen herauspicken, die den Content liefern, der mir behagt. Ich als nicht-profesioneller Content erzeugender kann guten Gewissens produzieren, wozu ich lust habe, mit der Sicherheit, dass, wenn ordentlich gemacht, sich auch Gleichgesinnte finden. Vor allem aber hat jeder das Recht zu lernen. Diskussionen, wie gute Rezensionen aussehen können, die über das pure Nennen von möglichst beeindruckenden Zahlen hinausgehen, helfen die Qualität aller zu verbessern. Positive, konstruktive Beiträge helfen mehr, als Gatekeeping. Wer Linien zieht, wird früher oder später einfach ignoriert – und kann sich dann nicht mehr beschweren. Wer andere belehrt, erreicht meist nichts weiter als verhärtete Fronten. Der Beeple-Kodex wurde ausgerechnet dafür angegriffen, dass wir öffentliches Anzählen von Mitbewerbern ausschließen. Das ist befremdlich, zum einen weil die Spieleszene so als Konglumerat von Bewerbern angesehen wird, statt als gemeinsames Hobby. Zum anderen aber auch aufgrund eines falschen Verständnisses dafür, wie man Kritik äußern sollte. Kritik ist auch mit dem Kodex möglich – wie dieser Absatz zeigt. Persönliche Gespräche nützen mehr als öffentliche Rants. Und Veranstaltungen wie der Tag der Brettspielkritik oder Blogeinträge über modern Boardgame Journalism erreichen eine breitere Basis und vor allem diejenigen, die ihren Content auch verändern wollen. Gegen die anderen Windmühlen braucht man sowieso nicht ankämpfen. Doch auch hier noch einmal der Satz, der hier schon oft gefallen ist: Diversität ist gut. Die Bloggerspähre (und da schließe ich Videos, Podcats etc. mit ein) ist breit aufgestellt mit mehr spannenden Content als ich konsummieren kann. Da sollte es leicht fallen, die Angebote zu ignorieren, die einen konzeptuell oder qualittativ nicht ansprechen. Und wer nichts findet, kann selbst tätig werden. Und wird gehört werden.

Fazit: Es ist ein schönes Hobby, das wir haben.Geht euren Weg!

ciao

peer

Peer Sylvester
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