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Es fehlt etwas

Am vergangenen Donnerstag hatten meine Frau und ich Hochzeitstag und zur Feier des Tages waren wir gut essen. Bevor ihr jetzt das Berliner Ordnungsamt infomiert: War ganz legal: Das Sternerestaurant Cookies and Cream hat einen Lieferservice, die einzelnen Gänge wärmt man im Wasserbad auf. Gegessen haben wir also zu Hause. Das Essen war super, aber beim Hauptgang fiel uns auf, was fehlte: Da wir zwischen den Gängen den nächsten zubereiteten, fehlte die sonst übliche Wartezeit. Die Wartezeit, in der man sich normalerweise unterhält – vor allem über das Essen, was man gerade genießen durfte.

Ähnliches wird jeder im Moment beobachten, der versucht außerhalb der häuslichen Runde zu spielen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten online miteinander zu spielen, aber praktisch keine bietet tatsächlich dasselbe Spielgefühl – es fehlt an der Interaktion zwischen den Zügen, ja zwischen den Spielen. Nun wird nicht jede Runde eine große Strategiediskussion führen, aber zumindest ein kurzes „Das hat Spaß gemacht! Was spielen wir jetzt?“ wird in jeder erfolgreichen Runde in irgendeiner Form fallen. Es ist ein menschliches Bedürfnis irgendeine Form von Ritual am Ende einer gemeinsamen Aktivität durchzuführen, um anzuzeigen, dass man gemeinsam gehandelt hat. Runden, in denen nach dem letzten Zug sofort das Thema gewechselt wird, fühlen sich daher unbefriedigend an. Und ähnliches gilt auch für viele Onlineangebote.

Lange Zeit gab es bei vielen Leuten die Überzeugung, dass Brettspiele (Partyspiele einmal ausgenommen) im Prinzip keine Interaktion benötigen, die vom Spiel abgekoppelt wäre. Anders ausgedrückt: Dasselbe Spiel macht immer Spaß, egal mit wem man spielt und unter welchen Umständen. Ausnahmen wurden bestenfalls für mehr oder minder extremes negatives Verhalten von Mitspielern gemacht – „Ja, wenn jemand 10 Minuten pro Zug braucht, ist das natürlich was anderes – aber wenn alle ordentlich spielen, ist das Spiel gut!“. Und sicherlich: Bei vielen Brettspielen lassen sich Inkompabilitäten im sozialen recht gut kompensieren. Während z.B. Rollenspiele schnell ins Unangenehme oder Absurde abdriften, wenn die Spieler unterschiedliche Vorstellungen davon haben, was gutes Rollenspiel ausmacht, sind viele Brettspiele da deutlich robuster. Eine Partie lang kann ich mich in der Regel schon auf das Brettspiel konzentrieren und unangenehmes Verhalten ausblenden. Ob ich das will ist eine andere Frage.

Dennoch sieht man gerade jetzt, dass die oben genannte These kaum zu halten ist: Wenn die Mitspieler nur dazu da sind, einen schweren Gegner zu stellen und meine Beteiligung an einem Spiel zu ermöglichen, dann gäbe es keinen Unterschied zwischen einer gut umgesetzten Partie am Rechner und einer Partie am Spieltisch. Ich kenne niemanden, der das so sieht, niemanden der diese beiden Methoden ein Spiel zu erleben als „ebenbürtig“ bezeichnet. Sicherlich ist der Grad, mit dem man die virtuelle Partie als weniger befriedigend empfindet, sehr individuell und zudem auch von Platform und Spiel abhängig, aber eine Onlinepartie ist in einer Form ein Ersatz und fühlt sich durchaus auch so an. Mitspieler sind eben doch mehr als nur Gegner – man erlebt zusammen etwas und dieses Zusammenhaltsgefühl macht sich auch immer beim Spielgefühl bemerkbar. Wer gemeinsam eine Partie im Internet spielt hat dieses Zusammenhaltsgefühl wenn überhaupt nur deutlich abgespeckt.

Das Phänomen kennt jeder: In der einen Runde ist Spiel X der Hammer und in der nächsten Runde floppt es.  Warum das Spiel floppt kann dabei natürlich viele Gründe haben – eventuell präferiert ein Teil der Spieler einfach andere Spiele – aber oft genug liegt es schlicht an der Gruppendynamik, an den unsichtbaren Interaktionen untereinander. Das Spiel konnte die „Gruppe“ nicht „begeistern“ – das Vokabular zeigt deutlich, dass hier (normalerweise) nicht einfach eine negative Spielweise oder eine andere Vorstellung, wieman „ordentlich“ spielt, schuld ist. Eine Begründung ist dabei nicht immer leicht zu finden, denn psychologische Effekte sind oft subtil: Von Tellern mit großem Rand wird man satter, ebenso von roten Tellern – wohlgemerkt bei gleicher Menge Speisen darauf. Ist die Gabel mit der man ißt schwerer, wird das Essen als schmackhafter wahrgenommen.  Und (mein absoluter Liebling): Wird ein Schmerzmittel von einem Arzt verabreicht, der denkt, er verabreicht ein Placebo, so wirkt es weniger, als wenn der Arzt denkt, es ist ein gutes Schmerzmittel (wohlgemerkt, sind die Worte, mit denen er das Schmerzmittel gibt in beiden Fällen gleich!). Einzig und allein die Körpersprache des (nicht überzeugten) Arztes sind hier entscheidend – Menschen sind Herdentiere und sind schnell aufeinander eingestellt. Was das letzte Experiment über „Testgruppen“ von Rezensenten aussagt, die dasselbe Spiel in zahlreichen Gruppen spielen, aber immer mitspielen, überlasse ich als Aufgabe für den Leser…. (Bevor sich jetzt jemand beschwert: Ich sage nicht, dass das unsinn ist, aber man sollte sich dem Placeboeffektes durchaus bewusst sein. Und es ist auch die Frage, was das Ziel der Rezension -oder ist es eine statistische Untersuchung? – sein soll).

Am Ende des Tages keine große Erkenntnis: Brettspiele brauchen Mitspieler, keine Gegner. Wann diese Lücke wieder gefüllt werden kann, wird auch davon abhängen, wie viele Leute beim großen Spiel „Kontaktsperre“ mitspielen.

ciao

peer

 

Peer Sylvester
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