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Namhafte Probleme

„Quarterbacking“, „Bash the Leader“ und „Kingmaker“ sind praktische Bezeichnungen für Probleme. Vielleicht sind es auch die bekanntesten Bezeichnungen für Probleme? Außer „Funktioniert nicht“?

Ich habe einmal die Theorie aufgestellt, dass die „Hungerstrategie“ bei Stone Age deswegen so beliebt ist, weil sie einen Namen hat (anders als etwa die „Viele Äxte im Wald – Strategie“ etwa). Ein bisschen habe ich den Verdacht, dass die Sachlage bei den oben genannten Problemen ähnlich gelagert ist. Es sind jedenfalls mit Sicherheit nicht die problematischten Probleme oder auch nur die häufigsten. Wie heißt es, wenn man im Spiel mehr administrativ tätig ist, als aktiv? Wie wenn man Züge nicht direkt ausführen kann, sondern erst quasi Formulare ausfüllen muss?

Versteht mich nicht falsch, es ist praktisch, dass es diese Bezeichnungen gibt, denn damit wird ein Scheinwerfer auf potentielle Kritikpunkte gerichtet und kann sie als Autor so besser adressieren. Sie sind aber alle drei im allgemeinen keine Dealbreaker, die immer unter allen Umständen zu vermeiden sind, auch wenn Diskussionen auf den einschlägigen Seiten einen anderen Eindruck vermitteln dürften.

Über das Quarterbacking habe ich bereits in der Vergangenheit geschrieben: Kurz: Es ist das Phänomen, dass in einem kooperativen Spiel ein Spieler alles an sich reißt und die anderen nichts zu entscheiden haben. Das ist aber eigentlich ein Problem der Spielegruppe, nicht des Spieles. Ich würde eher sagen, dass kooperative Spiele deswegen bei manchem unbeliebt sind, weil einige Leute lieber selbst Pläne schmieden wollen, ohne Hilfe der Gruppe. Das ist aber auch kein Problem des Spieles, das ist Geschmackssache. Natürlich kann man versuchen diese Leute anzusprechen, in dem den Einzelnen durch diverse Tricks (wie geheime Informationen oder Geschwindigkeits oder Geschicklichkeitselemente) mehr Autonomie zugesteht – aber wenn ein Spiel das nicht macht, ist es dadurch nicht ein weniger gutes Spiel. Pandemie Legacy ist hier vielleicht das beste Beispiel.

Bash-The-Leader heißt, dass jeder auf den Führenden einprügelt, bis dieser nicht mehr führt. Das ist zum einen frustrierend für den Führenden und hat zum anderen oft den Effekt, dass nicht gewinnt, wer gut spielt, sondern, wer in dem Moment führt, wo die anderen ihre Magazine leergeschossen haben. Allerdings ist die Bezeichnung in meinen Augen komplett irreführend, denn das Problem ist eigentlich nicht so sehr, dass man den Führenden angreift (Ich frag mich immer, wen man sonst angreifen soll – denn Hintenliegenden?), sondern dass man einem Mitspieler so schaden kann, dass es a) frustrierend für den Angegriffenen ist und/oder b) dass die Spieler das Gefühl haben, der Gewinner wird ziemlich willkürlich bestimmt: Wird der Führende immer klein gehalten, liegen alle potentiell immer auf demselben Niveau, egal wie man spielt. Das Wiederspricht dem Reiz des Spieles als geistige Herausforderung. Ein absolut gleichmacherisches Spiel ist langweilig da Entscheidungen keine Auswirkungen haben, die Spieler nicht das Gefühl haben, etwas beeinflussen zu können. Die beim Spielen erzählte Geschichte ist vorhersehbar und flach.

Wer das Bash-The-Leader-Problem in den Griff bekommen will, muss in erster LInie dafür sorgen, dass die negative Interaktion (angreifen, schwächen, wegnehmen etc.) nicht so stark ist, dass es frustrierend wird, dass ein Spieler komplett zurückgeworfen wird. Damit meine ich nicht, dass man auf negative Interaktion verzichten sollte – aber es muss etwa Möglichkeiten geben, sich gegen Angriffe effektiv zu schützen oder auf Alternativen umzuschwenken, wenn die MItspieler die Pläne durchkreuzen. Statt einen Spieler zurückzuwerfen, wirft man ihn dann auf einen anderen Pfad. Das ist nebenbei gemerkt auch interessanter, als wenn er dasselbe zum fünften Mal machen muss, weil man ihm viermal den benötigten Gegenstand geklaut hat oder ähnlich anders. Wer dieses Problem direkt angehen will, wird also durch dessen Bezeichnung in die Irre geführt. Dadurch besteht die Gefahr, dass erst größere Probleme geschaffen werden – ein typisches Beispiel ist Small World, bei dem das „Bash-the Leader“-problem aus Vinci ersetzt wurde durch ein „Bash the person whoever think you are in the lead, but probably isnt“, was viel frustrierender sein kann (Ich habe das hier deutlich ausgeführt, aber tatsächlich hat Small World Möglichkeiten entfernt, sich gegen ein „Bashing“ jedlicher Art zu schützen, so dass in meinen Augen alles viel willkürlicher geworden ist – das Gegenteil der ursprünglichen Intention). Es gibt durchaus einige Gründe Siegpunkte zumindest partiell geheim zu halten, aber das „Bash-The-Lader-Problem“ gehört nun gerade nicht dazu.

Von den drei hier genanten Problemen ist Kingmaking tatsächlich dasjenige, dass ich selbst als kritisch ansehe. Allerdings nur in der sehr engen Bedeutung: „Ein Spieler muss am Ende willkürlich entscheiden ob Mitspieler A  oder Mitspieler B gewinnt, ohne selbst von dieser Wahl zu profitieren“. Kann der Entscheider seine Position durch eine Handlung verbessern? Dann ist es kein Kingmaking. Ist das Spiel ein Verhandlungsspiel und/oder lebt generell von der Meta-Ebene der Spieler, sind also Entscheidungen nach Sympathie Teil des Konzepts? Kein Kingmaking, da nicht wirklich willkürlich, sondern Ergebnis der Interaktionen davor. Selbst wenn Spieler A normalerweise gewinnt, außer der Kingmaker muss einen sehr elaborierten, schwer zu sehenden Plan durchführen, damit B gewinnt und der Kingmaker sieht den Plan nicht: Kein Kingmaking, da nicht willkürlich. Bei letzteres bin ich aber durchaus bereit Grauzonen zu akzeptieren.

Was ist an Kingmaking schlecht? Es geht beim Spielen doch nicht ums gewinnen? Das ist richtig, aber Entscheidungen müssen sich (in der Regel) auch bedeutungsvoll anfühlen, damit ein Spiel nicht frustriert. Wenn es am Ende zwischen einer rein willkürlichen Entscheidung herausläuft, hat der Unterlegende das berechtigte Gefühl des Kontrollverlustes. Früher wurden Fussballspiele in der KO-Phase großer Turniere durch Münzwurf entschieden. Das Elfmeterschießen wurde erfunden, weil da zumindest das Gefühl der Willkür geringer wird (Ja, ich weiß. Elfmeter sind aber zumindest wohl gefühlt besser als wortwörtlich eine Münze zu werfen) . Ähnliches gilt fürs Kingmaking. Auch ist der Kingmaker selbst in einer sehr unangenehmen Position. Ich habe schon häufiger erlebt, dass dieser die finale Wahl nicht treffen wollte, man sich auf Unentschieden einigte. Kann man mal so machen, tritt der Effekt bei einem Spiel aber häufiger auf, ist das Spiel unfertig – Man sollte nicht von den Spielern verlangen, regelmäßig auftretende Probleme in der Meta-Ebene zu lösen.

Mein Problem mit der Diskussion ums Kingmaking ist allerdings, dass oft bereits sehr verwässerte Versionen als „Kingmaking“ abgestempelt werden – etwa wenn ein Spieler auf Platz spielt und dabei einen anderen ganz oben aufs treppchen hilft – womöglich noch unbeabsichtigt. Man darf an dieser Stelle nicht vergessen, dass auch das „Lesen“ des Gegners zum Spiel gehört. Wenn ich als Spieler A den Kingmaker so aufstelle, dass er immerhin noch an Spieler B vorneiziehen kann, wenn er mich zum König macht, habe ich das Spiel gut gespielt – und das Spiel ist deswegen nicht schlechter. Auch wenn Spieler B anderes behaupten mag. Wer jegliche Anzeichen von Kingmaking verhindern will,  muss aufpassen, dass er damit nicht das Kinde mit dem Bade ausschüttet und ein Spiel kreiert, bei dem die Spieler gar nicht mehr interagieren oder keine Entscheidungen mehr treffen, bei denen sie sich gegenseitig beeinflussen. Verdeckte Siegpunkte sind übrigens eine mögliche Lösung für dieses Problem… denn wenn der Kingmaker seine Züge durchführt, ohne bewusst zwischen zwei alternativen Königen zu entscheiden, ist das kein Kingmaking. Zumindest keines, dass für Frust sorgen dürfte.

ciao

peer

Peer Sylvester
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