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Das Ich, das Über-Ich und die Spielesammlung

In der englischsprachigen Welt der Brettspielmedien erschien vor einigen Tagen ein interessantes Video der bekannten YouTuberin Tiffany Caires (TheOneTAR).  Der

Der typische Sammlerblick beim ersten Besuch auf der Spiel

Darin sprach sie über die Gründe weshalb sie sich die nächsten sechs Monate kein Spiel mehr kaufen will. Es mag hier ein wenig Marie Kondo anklingen, aber sie drückt damit auch ein gewisses Bedürfnis aus, das der eine oder andere Spielesammler oder Vielspieler, wie der Fachjargon das euphemistisch nennt, auch schon hatte.

Das Gefühl, man komme nicht mehr hinterher alle Spiele zu spielen, die man spielen will. Aber dennoch kauft man weiterhin Spiele, in der Hoffnung, dass die Zukunft Gelegenheiten bieten wird, den Spielstau aufzuholen, der sich im eigenen Schrank ansammelt. Das Spielregal der Schande (oder shelf of shame, für die Leute, die mit der deutschen Sprache hadern) ist unter Hobbyisten beinahe schon ein geflügeltes Wort, um die Errungenschaften zu umschreiben, welche noch ungespielt in der Sammlung liegen. Ungespielte Spiele bewirken ein gewisses Unbehagen bei vielen. Es stellt sich die Frage, warum wir Spiele kaufen, wenn ein solches Unwohlsein die Folge ist.

Eine der Reaktionen auf das Video überraschte mich durch den hohen Grad an Selbstreflektion und tiefgehender Analyse. Es sprach ein Zuschauer davon, dass er die Freude ein neues Spiel zu besitzen lange Zeit als Ersatzhandlung genutzt hat. Statt sich den unangenehmen Seiten seiner derzeitigen Lebenssituation zu stellen, nutzte er das Hobby und den Kauf von Spielen, um sich davon abzulenken. Dabei stellten Brettspiele keine Zuflucht oder einen Rückzugsort dar, wie es Leute gerne vermuten, die Eskapismus als großes, soziales Übel sehe. Vielmehr war Kaufen eine Ersatzbefriedigung, um unliebsamen Wahrheiten aus dem Weg zu gehen. So ein Verhaltensmuster ist mit Sicherheit nicht allein in unserem Hobby vorhanden. Konsum, gerade der zweck-entbundenen und ungezügelten Art, wird in allen Schichten der Gesellschaft als Ausweichmittel genutzt, um sich besser zu fühlen. Das ist weder Kritik, noch Vorwurf, sondern lediglich eine Feststellung. Manchmal wird nur gekauft, um sich danach besser zu fühlen.

Allerdings denke ich nicht, dass dieses Verhalten unter Brettspielern so viel stärker verbreitet ist als in anderen Bereichen. Die Folgen springen einem nur deshalb ins Auge, da sie unsere Regale so schnell füllen. Eine derart selbstkritische Analyse seines eigenen Verhaltens durchzuführen, finde ich lobenswert. Diese auch noch öffentlich zu machen, ist beeindruckend. Um es gleich vorweg zu nehmen, ich werde so etwas hier nicht tun. Allerdings werde ich gerne etwas weiter ausführen was meine Kaufentscheidungen (und gelegentlich Tauschentscheidungen) vorantreibt, wenn es um neue Spiele geht.

Soweit ich mich erinnern kann, habe ich noch nie ein Spiel gekauft, wenn es mir nicht gut ging. Ich kaufe auch selten Spiele, weil ich weiß, dass meine reguläre Spielgruppe sie mögen wird. Das habe ich in Einzelfällen durchaus schon mal gemacht, aber ein Großteil der Spiele in meiner Sammlung sind aus einem anderen Grund dort gelandet. Die Phase, in der ich Spiele gekauft habe, um vermeintliche “Lücken” in meiner Spielesammlung zu füllen, war glücklicherweise sehr kurz. Überhaupt scheint mir das nur zu Beginn einer Sammlung Sinn zu ergeben. Ab einer gewissen Größe, ist es lediglich eine vermeintlich vernunftsbasierte Rechtfertigung, um den eigenen Kaufwiderstand zu überwinden. Auch das soll nicht wertend gemeint sein, schließlich ist man bei Spielkäufen niemandem Rechenschaft schuldig, außer sich selbst. (Auch nicht dem eigenen Partner.)

Ein neues Spiel kommt vor allem – und fast schon ausschließlich – deshalb in meine Sammlung, weil ich neugierig geworden bin, wie es sich spielt. Ich kaufe die meisten Spiele nicht, um sie zu besitzen. Am ehesten geht es mir um den einfachen Zugang zu Spielen, die ich interessant finde. In diesem Sinne bin ich durchaus anfällig für “Buzz”, also der auffälligen Begeisterung, welche sich um ein Spiel bildet. Mehr noch als ungewöhnliche Mechanismen, eine schöne Aufmachung oder ein außergewöhnliches Thema, hat mich bisher immer die Reaktion anderer auf bestimmte Spiele dazu gebracht, sie mir näher ansehen zu wollen.

Es ist wohl sicherlich nicht von der Hand zu weisen, dass es nicht allein pragmatische und zielgerichtete Gründe gibt, weshalb eine Spielesammlung schon mal ausufert. Auch muss man nicht gleich Suchtverhalten oder eine Form der Vermeidungsstrategie als Ursache dafür suchen. Meine Vermutung ist, dass eine große Spielesammlung für die meisten Menschen ein harmloser Ausdruck von Leidenschaft und Spielbegeisterung ist. Dem passionierten Buchleser (und -sammler) wird bei Anblick seines Regals oft und gerne Kultiviertheit und Intellektualität unterstellt. Zumindest wenn das Regal außer Genreliteratur und Geschichtsbüchern, weitere Facetten besitzt. Derartig fokussierte Sammlungen lassen sich in etwa mit Spielregalen vergleichen, die außer massiven Kickstarter-Spielen lediglich eine Reihe Co-Sims vorzuweisen haben. Es ist meist der Moment in dem ich respektvoll einen Schritt zurücktrete. Die Leidenschaft des Besitzers steht für mich völlig außer Frage. Nur ist es auch ein Zeichen dafür, dass unsere Wertschätzung des Mediums Spiel wohl nur wenig Überschneidungen haben wird. Das positive Pendant wäre vermutlich ein Spielregal, in dem sowohl eine kleine Auswahl an Knizia-Spielen, wie auch Vertreter des kooperativen Spielart zu finden sind. Hier hätte der Besitzer sicherlich einen Stein bei mir im Brett.

Noch ein Spiel wird bestimmt nicht schaden…

Unter diesem Gesichtspunkt, liest sich eine Spielesammlung auch immer wie eine Spiegelung der Persönlichkeit über den Umweg der eigenen Vorlieben. Da ist es doch durchaus interessant was unsere Sammlung da über uns aussagt. Kaufen wir Spiele für uns selbst, oder für unsere Gruppe? Ziehen wir die opulente Aufmachung eines gigantischen Kickstarter-Erfolg den kauzigen, kleinen Kartenspielen vor? Versuchen wir unsere Sammlung zu perfektionieren, in dem wir sämtliche “Lücken” darin ausfüllen? Oder setzen wir unsere Sammlung wie einen Flickenteppich zusammen aus Schnäppchen und Gelegenheitskäufen? Anders gesagt, wer sind wir, wenn man uns nach unserer Spielesammlung beurteilt?

Schlagen wir den Bogen zurück zum Anfang, stellt sich auch die Frage warum wir uns nach einer Verkleinerung unserer Sammlung sehnen. Es gibt offensichtlich praktische Vorteile. Man hat mehr Platz im Regel oder sogar der Wohnung. Die Auswahl am Spieleabend ist übersichtlicher, und vielleicht kann man endlich den Spielen Aufmerksamkeit schenken, die so lange hinten anstanden. Vielleicht ist der für seine Tristheit bekannte Februar auch einfach der richtige Monat, um ein kritisches Auge auf das eigene Hobbyschaffen zu richten, und sich zu überlegen welche Schwerpunkte man sich dieses Jahr eigentlich setzen will.

So ein Frühjahrsputz muss ja nicht nur an den Dingen um uns herum stattfinden.

Georgios Panagiotidis
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Georgios Panagiotidis

Als Podcaster unterwegs, schreibe ich aber auch oft und gerne über meine liebste Beschäftigung: Brettspielen in all seinen Variationen, Facetten und Eigenarten.