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Hätt ich Dich heut erwartet, hätt ich Kuchen da!

Ende des Monats sollte mein Let the eat cake bei Osprey games bestellbar sein. Grund genug, etwas über die Entstehungsgeschichte und das Spiel zu erzählen!

Ich hole mal ganz weit aus: Es muss irgendwann Anfang der 90er Jahre gewesen sein, als im Besenbinder Hof ein Rollenspielcon stattfand (Vielleicht weiß da jemand eine genauere Jahreszahl). Ich war damals bei Cons gerne Spielleiter für Paranoia, denn die Abenteuer waren immer leicht vorzubereiten, lustig und kurz. Länger als zwei Stunden brauchte man eigentlich nie, bis sich alle gegenseitig umgebracht haben. Aber ich schweife ab… Nach der Runde spielte ich zwei Brettspiele, die ich später auch zum Geburtstag bekam: Junta und Illuminati. Beiden war gemein, dass die Partien lustig waren. Beide enttäuschten aber bei den nächsten Partien in heimischer Runde. Und während Illuminati noch ganz ordentlich ist, gefiel mir Junta mit jeder Partie immer weniger. Ein Grund war die (nicht zuletzt durch das Mini-Cosim) ausufernde Spieldauer, aber der Hauptgrund war, dass man Kartenglück brauchte, um überhaupt Verhandlungsmasse zu haben – wer keine Stimmkarten zog, war eben auch kein gefragter Verhandlungspartner. Oder wie es ein Mitspieler vormulierte: Ja, das war lustig, aber nur weil wir lustig sind. Das Spiel hat eher wenig dazu beigetragen.

In einer Nacht, in der ich nun partou nicht schlafen konnte, überlegte ich, wie ich ein Abstimmungsspiel machen würde: Wichtig wäre, dass alle mit derselben Ausgangsituation starten würden – gleiche Anzahl Stimmen, gleiches Geld etc. Dann fand ich es eine witzige Idee, wenn jeder für jeden anderen (nicht für sich selbst) einmal abstimmen müsste, bevor er die Stimmkarten zurückbekommen würde. Das sollte auch die Grundidee werden.

Ein paar Tage später am Schreibtisch wurde der Rahmen abgesteckt: Um was soll es gehen? Natürlich um Geld! Das sollte auch die Verhandlungsmasse darstellen. Was soll abgestimmt werden? Wie geht man mit Gleichständen um (Gleichstände sind immer fast das erste über das ich mir Gedanken mache – siehe auch King is dead/ König von Siam!)? Damit hatte ich die erste Rolle schon! Der Kopf der Revolution (als Thema habe ich mich an Junta orientiert) entscheidet bei Gleichständen und ist die erste Rolle. Als nächstes soll jemand exekutiert werden, denn dann gibt es eine gewisse Bedrohung. Damit das funktioniert haben die Spieler drei Leute, also quasi drei „Leben“. Zudem hat jeder eine Stimme, wer exekutieret wird, verliert also etwas an Einfluss. Auch das sollte abgestimmt werden. Und jemand muss den armen Menschen ja exekutieren und darf entscheiden, ob der wird sterben muss – gleich eine Verhandlungsmasse mit eingebaut! Dritte Rolle war fertig. Aber das reicht nicht – wie kommen die Spieler an Geld? Und da sind wir bei den letzten beiden Rollen: Die erste zieht für jeden Spieler Geldkarten und verteilt diese. Die letzte Rolle entscheidet, ob diese Karten tatsächlich auch in den Besitz der Spieler gelangen oder abgeworfen werden müssen!

Wie gesagt für alle Rollen wird abgestimmt und zwar mit einem festen Satz Stimmkarten (ich bin ein Fan von festen Sätzen, merkt man das?). Die ersten Tests verliefen sehr vielversprechend, es wurde nur die fehlende Progression kritisiert: Jede Runde verläuft mehr oder minder gleich.

Daher kamen Orden und Generäle ins Spiel: Letztere werden mit in den Stapel der Punktekarten eingemischt. Sie können ausgegeben werden, um z.B. eine Abstimmung wiederholen zu lassen (Wir packen das Militär in „Militärcoup“!). Außerdem schützt die Mehrheit an Generälen vor der Exekution. Die Orden bestimmen wer exekutiert werden muss: Der mit den wenigsten (nur bei Gleichstand wird abgestimmt). Der Kopf der Revolution darf als erste Amtshandlung Orden vergeben oder wegnehmen und man verliert Orden, wenn man seinen Job nicht macht. Dadurch wird das erste Amt etwas interessanter und man muss sich eher überlegen, ob man z.B. auf eine Exekution verzichtet (und der Exekutierte bekommt ein paar Orden als Kompensation).

Das ist im wesentlichen auch der heutige Stand. Angepasst wurde ein bisschen das Spielende (Entweder bis einer alle seine Leute verliert oder bis jemand eine bestimmte Menge Geld hat) aber das Spiel lief so gut in allen Testrunden, dass es nicht wirklich viel zu tun gab – selbst zu dritt oder zu viert funktioniert es. Kaum ein Spiel kam durchgehend so gut bei allen Testrunden an, wie dieses.

Um so erstaunlicher der lange Weg zur Veröffentlichung: Der erste Verlag behielt das Spiel 3 Jahre, ohne es zu testen! Der Redakteur wollte es unbedingt zuerst in einer Sechserrunde testen, bekam aber wohl keine zusammen. Dann stieg er aus und ich forderte das Spiel zurück. Der nächste Verlag war ganz begeistert von der Idee, schickte mir das Spiel aber zurück: Man wollte ein reines Kartenspiel und hier gab es zusätzliches Material. Das haben die allerdings erst nach einem Jahr bemerkt! Der nächste Verlag war ebenfalls begeistert, wollte aber ein anderes Thema. OK, kein problem. Zusammen kamen wir auf die Idee das Spiel in einer der ehemaligen Sowjetrepubliken anzusiedeln – es war thematisch so etwas dunkler, aber immer noch cool. Die Zusammenarbeit dauerte etwa Anderthalb Jahre, dann bekam ich eine kurze Email: „Kurze Mitteilung bzgl Absurdistan: Wir sind im Moment nicht an Verhandlungsspielen interessiert.“. Soso. Alles OK, aber hätte man das nicht vorher schreiben können?

Momentaner Stand: 6 Jahre waren ins Land gegangen, drei Verlage hatten abgelehnt, aber kein Ablehnungsgrund hatte etwas mit den Qualitäten des Spieles zu tun. Ich war ziemlich verzweifelt und setzte weitere Testrunden an – aber das Spiel glänzte dort weiterhin. Ich brauchte also „nur“ Glück. Nächster Versuch: Ein Japanischer Verlag hatte Interesse, wollte aber einen Europäischen Partner. Er schlug einen Französischen Verlag vor, der bekam ein Exemplar in Essen. Und weder ich noch der Japanische Verlag bekamen jemals eine Antwort! Mein Prototyp ist weiterhin verschollen… Dann endlich: Essen 2014 traf ich mich mit Duncan Molloy von Osprey Games: Einerseits wollte ich den unterschriebenen Vertrag abgeben, andererseits ein paar prototypen zeigen. Ich zeigte zwei, darunter eben das Verhandlungsspiel – und er nahm das mit. Kleine Anekdote am Rande: Günter Cornett und ich teilten uns ein Auto und er war entsprechend ebenfalls auf dem Meeting (das fand vor der eigentlichen Messe im Hotel statt). Er zeigte sein Lo Tse und das kommt jetzt ebenfalls als Agamemnon bei Osprey heraus!

Duncan schlug auch vor, das Thema in die Französische Revolution zu verlegen, um zum einen nicht mit Junta assoziiert zu werden und zum anderen die Möglichkeit zu haben, eine kleine Papp-Guillotine mit in die Schachtel zu packen. Mir war das recht – ich mag den schwarzen Humor der Briten :-)

Und jetzt geht eine lange Wartezeit zu Ende… Let them eat cake erscheint endlich! Veröffentlichungen sind natürlich immer schön, aber bei diesem Spiel freut es mich besonders. Zum einen wegen des langen Weges, den das Spiel genommen hat. Zum anderen bin auch sehr stolz auf das Spiel: Ähnlich wie King is dead ein absolut eleganten Mehrheitenspiel ist, ist dieses ein absolut elegantes Verhandlungsspiel ohne zusätzlichen Sxhnickschnack. Ich habe noch keine einzige verkorkste Partie erlebt. Es gibt nur noch einen einzigen Prototypen, bei dem ich ähnlich stark auf eine Veröffentlichung hoffe (das erzählerische Erstkontakt) – auch wenn man sagt, dass man seine Kinder nicht ranken kann; Dies ist einer meiner absoluten Lieblingsprotos und wer auf Verhandlungsspiele steht, dser möge es sich bitte, bitte, bitte ansehen!

Danke!

:-)

ciao

peer

 

Peer Sylvester
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