spielbar.com

Fällt er in den Graben, fressen ihn die Raben…

„Ja wo reiten sie denn? Ach ist der Rasen schon grün.“ Mit solchen alten Loriot-Zitaten habe ich auch gedanklich reagiert, als ich davon gelesen habe, dass wir die Vorreiterrolle in Deutschland verlieren. Das war aber noch bevor Peer letzte Woche dadrüber schrieb oder Christwart in der letzten Spielbox, was interessanterweise war nachdem er in Frankreich war. Ich las dies schon auf TricTrac Frankreich, in einem schönen Leitartikel (in gebrochenem Google-Translator-Deutsch), den mir Guido weitergeleitet hatte. Die Franzosen denken eigentlich darüber gar nicht mehr nach, sondern sind überzeugt, dass sie Deutschland abgelöst haben. Ein Eindruck, den ein Blick auf Cannes erwecken kann oder ein Blick auf die vielen französischen Spiele, die von der Jury nominiert wurden.

Ja, die guten Spiele kommen inzwischen zu einem gefühlt größeren Teil aus unserem Nachbarland als aus Deutschland. Aber in Wahrheit waren auch früher viele Spiele nicht aus Deutschland. Wieviele der Autoren des Spiel des Jahres von 1979 bis 1994 kommen aus Deutschland? Nach gewonnenen Spielen etwa die Hälfte. Alleine Teuber hatte dreimal gewonnen und Kramer auch zweimal. Wir haben die Highlights, aber die Autoren waren auch damals aus anderen Ländern und zum Teil nur nach Deutschland gebracht worden. Der Aufbruch kam spürbar 1995 mit Catan. Wie mit vielen Dingen kann man versuchen immer die Nummer 1 zu bleiben oder akzeptieren, dass andere an einem vorbeiziehen. Um auch das Gefühl dafür zu haben, muss man nur den Anfang von The Newsroom sehen, welcher mich auch heute, vier Jahre später, beschäftigt.

Aber reden wir mal nicht von den Autoren, sondern von anderen Elementen. Ich glaube, dass gerade Deutschland durch den Spiel des Jahres-Pöppel und dessen Akzeptanz in der Bevölkerung eine Vorreiterrolle aufgebaut hat, welche die Menge an Spielen erst möglich gemacht hat. Wenn wir von einer Rolle reden, dann von der, dass es in Deutschland viele Verlage gibt. Die Menge an Spielverlagen in anderen Ländern, die Autorenspiele machen, war Mitte der 90er sehr klein. Zum Teil so klein, dass man nur eine halbe Hand brauchte, um sie von einem Land aufzuzählen. Wenn Frankreich heute eine starke Rolle einnimmt, dann weil es dort die Verlage inzwischen gibt. Wenn ich in Cannes bin und sehe wieviele Verlage dort sind, dann ist das toll und erfreulich. Aber viele von denen sind immer noch angewiesen auf Deutschland und den Absatzmarkt oder die Werbung hier und auch auf den US-Markt.

Immer noch erscheinen viele Spiele zu Essen und nicht zu einem anderen Zeitpunkt, denn Essen ist der Fokus und mit ihm der Deutsche Markt. Noch. Und der nächste Schritt ist nicht weit. Die Verlage fangen an vorzuschieben. Auf einmal erscheinen Spiele nicht mehr zu Essen, sondern zur Gen Con in den USA. Diese Messe legt atemberaubende Wachstumszahlen hin und ist von einigen Zahlen schon größer als Essen. Verlage planen für eine Veröffentlichung vor Ort, wie Portal aus Polen. In den USA ist noch Wachstum zu holen. Deutschland ist gesätigt. Zum Teil sprießen neue Verlage aus dem Boden und Kickstarter gibt seinen Teil dazu, dass die Leute miteifern können. Deutschland ist nicht mehr das Vorreiterland bezüglich der Absatzzahlen. Wenn man wiederum das Ganze umrechnet auf die Bevölkerungsgröße, auf das Verkaufsvolumen pro Kopf, wer ist dann die Nummer 1? Und wenn die üblichen Hasbro-Titel wie Monopoly rausgenommen werden?

Es ist schwer von einer Vorreiterrolle zu reden. Man kann die Menge an Autoren betrachten, die Menge an Autoren die davon leben können, die Zahl der Verlage, die Verkaufszahlen, die Größe der Veranstaltungen, die Zahl der aktiven Spieler, die Menge an Bloggern, die Zahl der YouTube-Videos, der wirtschaftliche Einfluss eines Spielepreises und etwa 50 andere Metriken. Von jedem Gesichtspunkt aus sieht es anders aus und mal ist Deutschland die Nummer 1 und mal in den Top 3 oder auch mal Schlusslicht (Gewinnmarge am Spieler, echt brutal der Markt hier).

Und wie sieht es aus mit Kinderspielen? Als ich bei der Kinderspiel des Jahres-Verleihung war, dachte ich, dass wir da schon sehr führend sind. Der Siegerautor hielt noch ein Rede wie wichtig dieser Preis doch weltweit sei. Wenn man auf BGG nachfragt, wie viele Kinderspielverlage die kennen, kommt meist nur HABA USA. Und das ist eigentlich nur die US-Tochter eines deutschen Verlages. Ein Super-Rhino verkauft sich auch in Japan. Ich will anderen Ländern diesen Markt nicht absprechen, und 2014 war neben einem deutschen auch ein österreichischer und eine amerikanischer Verlag für das Kinderspiel des Jahres nominiert. Doch was in diesem Bereich auf Deutsch rauskommt ist vergleichsweise viel mehr als in anderen Ländern. Und dieser Markt, der Kinderspielmarkt, ist wichtig. Denn wenn wir uns keine neuen Spieler anerziehen, dann bricht das Gerüst wieder ein. Neue Spieler hingegen, sorgen dafür, das wir uns auch in 20, 30, 50, und 100 Jahren streiten können, welches Land eine Vorreiterrolle hat. Und das ist mir wichtiger als welches Land es nun konkret ist.

Matthias Nagy
Letzte Artikel von Matthias Nagy (Alle anzeigen)