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Markt as Markt can

Matthias ist noch in Göttingen, also übernehme ich heute für ihn.

In der aktuellen Spielbox befürchtet Christwart Conrad, dass die deutsche Vorreiterrolle in Sachen Brettspielen bald verspielt sein könnte. Der Grund: Die anderen Länder holen nicht nur auf, sondern seien oft origineller und die Verlage präsentieren besser. Viele SdJ-Nominierungen stammen von ausländischen Autoren, während der As dÓr keine Deutschen Autoren nennt.

Meine erste Reaktion war: „Na und?“. So lange gute Spiele produziert werden, ist es mir egal, woher die kommen. Und selbst wenn Deutschland seine Vorreiterrolle verlieren könnte (bereits hat?), werden hier doch weiterhin gute Spiele produziert.

Doch letztlich lohnt es sich, über das Thema einmal kurz nachzudenken. Warum kommt originelles zumindest gefühlt in letzter Zeit eher aus dem Ausland? Ein Grund ist sicherlich, dass das Ausland größer ist, als das Inland und daher mit einer größeren Masse an Spielen auch eine größere Masse an Originellem einschwappt. Doch das ist nicht die ganze Wahrheit.

Zunächst einmal vorweg: Ich will niemanden die Schuld geben: Wie schon einmal festgestellt, bilden Autoren, Spieler und Verlage ein dynamisches System, aus dem die landestypische Spieleszene erwächst. Daher ist es müßig, die Schuldfrage zu stellen.

Mir fallen zwei Dinge am Deutschen Markt auf: 1.) Er ist relativ konservativ und 2.) Viel- und Wenigspielerspiele sind eher getrennt. Mit 1) meine ich, dass seit der Erfindung der „German Games“ (die ja nicht mit einem bestimmten Spiel entstanden) es vergleichsweise wenig  Trends gab, die von  Deutschland ausgingen (Sammelkarten, Deckbau, Kooperative, Mikrogames…). Der einzige Wechsel ist der vom „Kniziatypischen“ Euro der 90er hin zum komplexen Euro á la Fürsten von Florenz.  Trends wie Kooperative Spiele für Erwachsene stammen überwiegend (außer Herr der Ringe, Andor und Zwerge) von Ausländischen Autoren. Ähnliches lässt sich über die Microgames sagen. Ich würde fast soweit gehen, zu sagen, dass man ein Vielspielerspiel von vor 10 Jahren nicht von einem modernen Vertreter unterscheiden kann. Das ist jetzt keine Wertung, der Markt bekommt ja, was er will. Aber es ist kein Markt, der „neue“ Spiele fördert.

Und dann sind wir bei Punkt 2. Der „komplexe Euro“ ist per Definition komplex. Wenn ein Vielspielermarkt diese Spiele wünscht und diese Spiele fast ausschließlich herausbringt, dann kommen eben fast ausschließlich  Spiele heraus, die nicht für Familienspieler geeignet sind. Die haben dann ihren eigenen Markt. Und jetzt kommts: Der Markt in Deutschland scheint in der komfortablen Situation zu sein, sich zwei mehr und mehr auseinanderdriftende Märkte leisten zu können. Das ist in anderen Ländern anders und entsprechend sind die Spiele dort anders ausgerichtet. Gibt es eher einen Vielspieler- aber kaum ein Familiensegment, werden dort eher komplexe Spiele produziert (Italien, Portugal). Ist es anders herum, gibt es mehr Hybride, so wie in Frankreich. Im Prinzip könnte man argumentieren, dass German Games entstanden sind, weil man quasi komplexere Spiele haben wollte, die aber (mangelns Markt) regeltechnisch nicht zu schwierig sein durften. Das Resultat waren Spiele wie Siedler, El Grande oder  Euphrat & Tigris. Heute entfällt der Zwang zum Kompromiss und die Spiele können es sich leisten, regeltechnisch zunehmends aufwendiger zu werden. Sie werden dennoch in großer Menge gespielt. Zwänge sorgen aber für Innovationen und ohne Zwänge gibt es einen Hang zum Status Quo. Das beste Beispiel sind die japanischen Spiele: Die Mikrogames entstanden aus dem Aufruf , Spiele für  300 Yen zu produzieren. Das Ergebnis ist bekannt (Es gibt übrigens einen neuen Aufruf: Ein Spiel mit nur zwei Sorten von Karten. Bin gespannt, was daraus wird). Vielleicht einigen sich aj mal ein paar Deutsche Verlage auf ähnliches ;-)

Sollte Deutschland seine Vorreiterrolle tatsächlich verlieren, ist das kein Drama. Dass sich Deutschland zwei Märkte leisten kann, mag nicht der beste Nährboden für Kreatrivität  sein, aber es ist  auch nicht der schlechteste Grund, was die Zukunft unseres Hobbys betrifft.

ciao

peer

Peer Sylvester
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