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Langweilige Siegpunkte

Auf Unknowns ist Ende letzten Jahres eine kleine Diskussion darüber ausgebrochen, ob Siegpunkte nicht langweilig seien. Als Beispiel diente Concordia. Dort geht es um Siegpunkte, die aus vielerlei Quellen stammen können und erst am Ende berechnet werden, so dass niemand zwischendrin so richtig weiß, wo er steht.

Nun, ich habe Concordia nur ein einziges Mal gespielt, bin dort also kein Experte. Gefallen hat es mir übrigens durchaus (ich mag diese schönen kurzen Züge), allerdings kann ich die Kritik zum Teil nachvollziehen. Mich hat die Endwertung auch etwas gestört, aber aus anderen Gründen (z.B. habe ich auf der Bahnfahrt nach Hause gemerkt, dass ich -hätte ich mir so etwa 20 Minuten Zeit genommen, alles durchzurechnen – gewonnen hätte, wenn ich doch statt Aktion A  Aktion B gemacht hätte. Solche Berechnungsorgien sind mir zuwieder, insbesondere wenn sie vom Spiel ermöglicht werden). Aber im Folgenden soll es nicht um Concordia, sondern um die Siegpunkte gehen. Sind die langweilig?

Natürlich hängt das vom konkreten Fall ab. Zunächst erst einmal eine Begrifflichkeit: Siegpunkte im engeren Sinne sind Dinge, die dem Spieler in seinem Spiel nicht helfen, aber den Sieger bestimmen. So sehe ich das Geld bei Monopoly nicht als Siegpunkte an: Zwar gewinnt der reichste, aber das Geld wird auch zwischendurch gebraucht. Siegpunkte sind also zu nix nütze. Zwar kann man natürlich alles, was einem den Sieg bringt, als Siegpunkte definieren (Für das Mattsetzen beim Schach gibt es einen Siegpunkt), aber diese größere Definition ist nicht hilfreich,  wenn man untersuchen möchte, wann Siegpunkte gut sind und wann nicht.

Damit ist schon einmal der erste große Vorteil von Siegpunkten definiert: Siegpunkte können dann ihre Stärke ausspielen, wenn sie dem Spieler zwingen etwas eigentlich kontraproduktives zu tun. Primus ist für mich immer das Spiel Die Händler: Hier muss ein Status (im Prinzip eine Siegpunktleiter) erklommen werden. Das bringt nichts ein, kostet aber Ressourcen. Die Spieler müssen sich sehr genau überlegen, wieviel sie da investieren wollen, denn während des Spieles fehlt  jeder Taler, der in den Status investiert wurde – aber ohne Investition verliert man eben. Ein aktuelleres Beispiel ist Abyss, bei dem die Spieler dauerhafte Vorteile abwerfen müssen, um neue Siegpunktquellen zu erschließen. Diese Art von Siegpunkterwerb sorgt eigentlich immer für schwierige Entscheidungen und damit für Spannung. Leider verschenken viele Spiele diesen Vorteil und vergeben stattdessen Siegpunkte für Dinge, welche die Spieler sowieso machen wollen (manchmal kann das sinnvoll sein – Siehe nächster Punkt – aber eben längst nicht immer und schon gar nicht in dem Maße, wie dies z.T. bei aktuelleren Spielen praktiziert wird) Eine etwas abgeschwächte Variante sind die zahlreichen Spiele, in denen die Spieler starke Vorteile mit wenig Siegpunkten oder schwache Vorteile mit vielen Siegpunkten erwerben können

Und damit sind wir beim nächsten Punkt: Siegpunkte erlauben es verschiedene Quellen anzugehen. Dadurch erlaube ich einerseits verschiedene Strategien (Viele Gebäude oder viele Eigenschaften oder viel Land oder…) und ich belohne unterschiedliche Spielweise und ermögliche eben Entscheidungen wie „Welchen Vorteil nehme ich?“ parallel zu „Wieviel Land sollte ich erobern“. Weiterhin erlauben sie es mir Strategien oder Aufträge zu gewichten. Für schwieriger zu erreichende Ziele kann es mehr Punkte geben als für leicht zu erreichende.

Langweilig werden die Siegpunkte dann, wenn die Siegpunktquellen zu zahlreich und/oder zu diffus sind. Gibt es für alles irgendwie Siegpunkte, so wird die Entscheidung „Mache ich Aktion A, die mir jetzt wirklich, wirklich helfen würde oder lieber B, die mir eine Tonne Siegpunkte einbringt und riskiere, dass A anschließend weg ist und mein Königreich implodiert?“ abgewertet zu: „Mache ich Aktion A, die mir später 6  SP einbringen könnte oder vielleicht nur 4, wenn ich Pech habe oder Aktion B, die mir 3 SP sofort einbringt aber 5 gibt , wenn ich später den dreiköpfigen Affen auf die Hand bekomme?“ – maW: Die Entscheidungen wiegen weniger schwer, sind abstrakter (und damit auch weniger emotional) und letztlich auch beliebiger.

Beliebigkeit ist hier für mich das größte Problem: Wenn ich das Gefühl habe, dass es keinen nennenswerten Unterschied macht, ob ich Aktion A oder B wähle – weil beides in etwa gleich viele Punkte bringt oder weil ich bei beiden den Ertrag eh nicht abschätzen kann – dann ist die Entscheidung selbst auch nicht interessant. Und wie ich bereits ca. 500x hier schrieb, stehen und fallen Spiele mit den Entscheidungen, die sie bieten (exemplarisch seien diese zwei Artikel genannt).

Ein weiteres Problem bei den Siegpunktsalaten ist natürlich auch, dass bei Concordia kritisierte Gefühl, seine eigene Position nicht einschätzen zu können und dass daher bei Spielen ein starkes Solitärelement bekommen. Doch das muss nichts schlimmes per se sein – Die Kehrseiten von „Immer wissen wie es steht“ sind Königsmacher- und Bash-the-Leader-Probleme und (gerade bei komplexen Siegpunktbedingungen) rechenintensive Optimierereien. Diese Dinge sind aber keine Siegpunkt-immanenten Probleme, sondern können z.B. gut durch versteckte Elemente umgangen werden – als Beispiele seien hier z.B. Knizia-Spiele wie Samurai oder Euphrat & Tigris genannt, bei denen man zwar auch nicht weiß, wo man steht, aber gerade dadurch eine Spannung erzeugt wird. Problematischer ist eher, das durch die zunehmende Abstraktion ein Teil Emotionalität verloren geht. Nicht umsonst baut Stefan Feld in viele seine Spiele ein großes negatives Element ein, dass eine gewisse Angst erzeugt. Dadurch gewinnt er die Emotionalität wieder zurück. Menschen fühlen eben wenig Emotion, wenn es um pure Zahlenoptimiererei geht, aber um so mehr, wenn es um konkrete Dinge geht, die verloren oder gewonnen werden.

Zusammengefasst würde ich sagen, dass Siegpunkte dann gut sind, wenn sie

– mir Entscheidungen erschweren

– mir Schwerpunktbildungen und unterschiedliche Strategien erlauben

und dann langweilig sind, wenn

– inflationär und/oder für zu viele Dinge vergeben  werden

– es kaum zählbare Unterschiede zwischen „Mittlerem“ und „Gutem“ Spiel gibt, weil die Siegpunkte sich am Ende im Vergleich zur Gesamtsumme zu wenig unterscheiden.

– sie Entscheidungen leichter oder gar beliebig machen oder sie auf eine Optimierungsrechnung reduzieren

– sie intransparent vergeben werden.

So, das war mein Liter Senf dazu.

ciao

peer

Peer Sylvester
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4 Kommentare

  • Danke, ein sehr lobenswerter Post. Bei Concordia und Rokoko finde ich es auch schade, dass man erst am Ende sieht, wo man wirklich steht, ist bei Five Tribes ähnlich. Ich bin ein großer Fan von Spielen mit wenig Siegpunkten wie Istanbukl und Euphoria, insbesondere wenn man die Punkte auf verschiedene Arten erwerben kann.

  • Danke für das Lob :-)
    Was mir noch einfiel: Warum mir Euphorias Wertung besser gefällt als die von Concordia (um bei denen Beispielen zu bleiben): Es ist nicht nur so, dass ich besser einschätzen kann WO ich stehe, ich kann auch besser einschätzen WARUM ich dort stehe. Bei Euphoria weiß ich, was falsch lief oder was die anderen besser gemacht haben (zumindest bis zu einem gewissen Grad). Bei Concordia macht A irgendwas und B irgendwas anderes und C noch was anderes… und am Ende bin ich zweite, mit 10 Punkten Vorsprung vor C und fünf Punkte hinter A und ich weiß nicht was ich anders machen kann, außer vielleicht „noch besser Punkte optimieren“, was jetzt total unkonkret ist. Genauso wenig weiß ich, was A jetzt besser gemacht hat – oder ob er mehr Glück hatte, oder ob ich einen Fehler gemacht habe… Da bekommt man überhaupt kein Feedback vom Spiel und das ist letztlich für mich irgendwo unbefriedigend.