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Jenga ohne Siegpunkte

Auch die Spielbar hat es ins neue Jahr geschafft und anfangen möchte ich gleich mit einem Buch-Hinweis: Ich habe über die Feiertage das Buch „Jenga“ von Leslie Scott durchgelesen. Leslie Scott ist die Autorin von Jenga und das Buch ist eigentlich mehr eine Autobiographie als ein Buch über Jenga… Die Rezension (das Buch ist übrigens bislang nur auf englisch erhältlich) ist hier. Interessant vor allem, dass die Autorin von 2 Agenten wohl ziemlich über den Tisch gezogen wurde und nun 80% ihres Autorengehalts an ihre Agenten zahlt (immer noch), reich dürfte sie -bedenkt man den Erfolg ihres Spieles – dennoch geworden sein. Zwei persönliche Anekdoten die sich nicht in der Amazon-Kurzrezi finden:

– Eines der anderen Spielen, die Leslie Scott erfunden hat ist Sailors Knot, ein Spiel, dass so funktioniert wie Alle Neune/Das Klappenspiel/Shut the Box, nur mit dem Unterschied dass man für jede Zahl einen bestimmten Knoten machen muss. Da man die Knoten aber entweder kennt oder nicht, kann man das Spiel lösen oder nicht… Wer keine Knoten kann, kann keine Punkte machen… Dieses Kleinod ist also weniger als Spiel sondern mehr als Geschenk für Segler geeignet – und so kam es in meinen Besitz! Ich habs immer noch, mehr aber als Kuriosität.

– Das Spiel Ex Libris, dass in meinem Jam Dudel beschrieben ist, ist auch von ihr (bzw. eine professionelle Variante davon). Damals hatte ich die Bodleian Library um Erlaubnis für den Abdruck gebeten. Die Antwort kam von Leslie Scott, der Name sagte mir aber nichts – ich hatte also tatsächlich Kontakt mit der Jenga-Autorin! Leider hab ich die Email nicht mehr (damals war die Postfachgröße noch sehr viel mehr begrenzt und beim Sichern ist sie mir irgendwie verloren gegangen).

Ansonsten habe ich endlich mal wieder Zeit, an einem alten Spiel von mir zu arbeiten: Das Rennen zum Südpol. Ich hatte schon mal ein Spiel dieses Titels, dass ich (wegen des Themas) ganz gut fand, aber es war eigentlich noch viel zu mechanisch und es klapperte beim spielen ein wenig. Aber wie das so ist: Manchmal ist man betriebsblind und ich schickte es denoch einem Verlag. Der verriss das Spiel so ordentlich (und gerechtfertigt), dass ich froh war, das mittlerweile König von Siam erschienen war, so dass ich zumindest irgendwie zeigen konnte, dass ich kein komplett nutzloser Autor bin… :-)  Jedenfalls packte ich das Spiel erstmal in den Schrank. Jetzt habe ich es komplett neu begonnen und abgesehen von einem kleinen Nebenmechanismus hat das Spiel rein gar nichts mehr mit dem Urspiel zu tun (außer dem Thema). Bei der Neubearbeitung sind mir wieder zwei Dinge aufgefallen

1.) Siegpunkte sind Gefahrgüter.

2.) Der Variablenmix machts!

Zu 1: Siegpunkte sind eine tolle Erfindung, denn sie ermöglichen auf einfache Weise die Schwerpunktsetzung auf verschiedene Bereiche: Gibt es für Größe und für Schönheit Siegpunkte kann man sich auf jeweils eines davon konzentrieren. Multipliziert man die miteinander muss man sich auf beides konzentrieren. Usw. Schön und Einfach.

Aber sie bergen zwei Gefahren: Zum einen machen sie es einem zu einfach: Groß ist die Versuchung diese Schwerpunktbildung einfach auf alle Bereiche auszudehnen und damit erzeugt man einen Wertungswirrwarr, bei dem sich schlechtestenfalls viel nivelliert. Beispiele sind die ansonsten hervorragenden Il Principe und Dungeon Lords. Vermeiden kann man dies, in dem man bestimmte Siegpunktquellen an Bedingungen verknüpft: Brauche ich z.B. Kakao um Siegpunkterzeugende Schokolade zu erzeugen, dann brauche ich normalerweise nicht auch noch Kakao mit Siegpunkten zu entlohnen (kommt natürlich auf das konkrete Spiel an, ist ja nur eine Richtlinie). In meinem Fall ist die Sachlage aber sogar noch anders: Hier haben mich die Siegpunkte verführt. Hintergrund: Ich hätte gerne Gesteinsproben eingebaut, die zwar Siegpunkte bringen, den Schlitten aber langsamer machen. Nur: Das bedeutet, dass der Sieger letztlich über Siegpunkte entschieden wird. Und das passt in meinen Augen nicht zu einem Rennspiel: Das sollte doch vom schnellsten gewonnen werden, oder nicht? Also sind die Steine erstmal raus (vielleicht fällt mir noch was passendes ein).

Zu 2.) Variablen sind die verschiedenen Dinge, die ich beim Spiel brauche. Bei Dominion sind das z.B. Geld, Kartenhand, Siegpunkte, Käufe und Aktionen.  Karten oder Gebäude oder Sonderfunktionen manipulieren nun diese Variablen. Bei Dominion sieht man das besonders schön, da die Karten ja direkt aufeinander wirken und die Variablen nicht versteckt sind (ein anderes sehr transparentes Beispiel ist Die Tore der Welt). Macht man nun ein Spiel, bei dem sich Variablen aufeinander beziehen, so ist die Anzahl der Variabeln sehr wichtig: Zu wenige und man hat (als Autor) zu wenig Spielraum, diese zu manipulieren. Zu viele und das Netzwerk der miteinander zusammenhängenden Effekte ist zu unübersichtlich oder aber viele Variablen hängen nicht wirklich miteinander zusammen, was einige Variablen überflüssigt macht (die dann durch aufgepfropfte Regeln wie „Du musst das oder das tun!“) am Leben erhalten wird.  Beispiel: Gäbe es bei Dominion kein Geld, sonder man könnte jede Karte einfach so nehmen, fehlt die Motivation Aktionskarten zu nehmen. Wäre die Anzahl der Käufe oder Aktionen fix, fehlt die Motivation was anderes als Gold oder Siegpunkte zu nehmen. Ohne Siegpunkte würde Gold (oder ein anderer Kartentyp) über den Sieg entscheiden und wir wären beim ersten Fall. Die Kartenhand ist relativ fix, aber da andere Karten diese negativ beeinflussen (durch Abwurfzwang oder Flüche) gibt es eine Interaktionsmöglichkeit. Auf keine Variable kann verzichtet werden. Weitere Variablen würden das Spiel aber komplizierter machen, ohne es besser zu machen, denn dann fehlt die Intuitivität, die Dominion auszeichnet. Weitere Variablen können nur dann eingeführt machen, wenn sie irgendeinen neuen Zweck erfüllen – wie z.B. bei Thunderstone, dass noch die Variablen Erfahrung, Kampfkraft, Licht, Stärke (bei helden), Gewicht (bei Waffen) und Lebenspunkte (bei Monstern) beeinhaltet, weil außer dem Kauf noch das Kämpfen gegen Monster und das Aufwerten von Helden eine Rolle spielt.

Tatsächlich ist das Verstricken von Variablen gerade das, an dem ich im Moment am meisten Arbeit bin: Reichen die Variablen aus oder wird die Strategie zu einseitig? Brauche ich noch eine Hilfsvariable? Ist die Variable „Kosten“ wirklich notwendig? Ändert sich das Spiel negativ ohne sie? Die optimale Mindestzahl an Variablen zu erreichen ist die Kunst, denn wenig Variablen bedeutet einfache Regeln, und ein Rennspiel sollte doch einigermaßen intuitiv sein…

ciao

peer

Peer Sylvester
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