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Der letzte Weihnachtstag

Nein, spielerischen „Content“ habe ich diesmal nicht zu bieten. Ist ja Weihnachten! Und da ich gerade in meinem Computer geblättert habe, fand ich eine nette Weihnachtskurzgeschichte die ich mit meinem guten Freund Jörn Willhöft vor anderthalb Jahrzehnten verfasst habe, als wir noch dachten, wir könnten mal Schriftsteller werden.

Sie ist aber imho nett genug um mal den Weg ins lange Internetgedächtnis zu finden…

Viel Spaß damit und Frohe Weihnachten!

Peer

Der letzte Weihnachtstag

In der großen Weihnachtsstadt, in der Nähe von Osterhasien, herrschte, wie üblich, geschäftiges Treiben. Wie an jedem anderen Tag des Jahres, schneite es auch an diesem. Alles deutete darauf hin, daß dieser Tag ganz normal verlaufen würde, die Weihnachtsmänner kauften Geschenke ein, die Engelchen reparierten die Schlitten (Sie schimpften dabei, wie üblich, über die Weihnachtsmänner, die die Schlitten nicht mit der erforderlichen Sorgfalt behandelten) und die Rentiere streikten mal wieder.

Doch für heute war die große Weihnachtssitzung angesagt. Alle waren sie eingeladen, die Weihnachtsmänner, die Engelchen, die Rentiere, die heiligen drei Könige und sogar der Schulleiter der Tannenbaumschule.

Im Hörsaal der großen Weihnachtsuniversität herrschte schon eifriges Gemurmel und Gekicher von Seiten der Engelchen, als der Leiter des heutigen Abends, Professor Dr. Rauschebart, die Bühne bestieg. „Heute, meine lieben Weihnachtsmänner, Engelchen, Rentiere, Könige und Schulleiter, stehen folgende Punkte auf dem Programm: 1. Morgen ist Weihnachten“.

Überraschtes Gemurmel breitete sich im Saal aus. „Sollten wir da nicht irgend etwas tun?“, fragte ein unerkannter Weihnachtsmann aus der fünften Reihe. „Wieso? Was denn?“ entgegnete der völlig aus dem Konzept gebrachte Vorsitzende. „Nun, zum Beispiel Menschen mit Geschenken beschmeißen oder Walnüsse mit Strümpfen stopfen oder so“, kam es –etwas unsicherer diesmal  wieder aus der fünften Reihe.

Empört riefen die Engelchen durcheinander: „Das ist doch viel zu teuer! Wer soll das denn bezahlen?“ und die Rentiere riefen: „Wie sollen wir da denn hinkommen? Etwa laufen?“ Dr. Rauschebart versuchte, die Ordnung wiederherzustellen. „Gehen wir zu Punkt zwei über… „. „Sind Sie sicher, daß wir nicht irgend etwas tun sollten?“, unterbrach ihn wieder der Weihnachtsmann. „Was haben wir denn sonst immer an Weihnachten gemacht?“, fragte der Schulleiter im diplomatischen Ton. „Ähh, mmhh …“ warf der Vorsitzende ein, der gerade bemerkte, daß ihm die Situation etwas entglitt. „Es müssen doch irgendwo Aufzeichnungen existieren“, meinte einer der Könige, immer bemüht, etwas Produktives beizutragen. „Holt den Bibliothekar, holt den Bibliothekar!“, forderten die Engel, die nie eine Gelegenheit ausließen, den armen Gnom zu necken und zu ärgern. Nachdem die Mehrheit der Versammelten sich dem Chor anschlossen, fügte sich der Professor lieber: „Man hole den Bibliothekar!“

Und nach einer Viertelstunde traten dann schließlich einige Universitätswachen mit dem gnubbligen, buckligen, großnasigen Gnom auf die Bühne. In seinen Armen lag ein riesiges, in Leder gebundenes Buch, aus dem hunderte von Lesezeichen und Eselsohren herauslugten. Er knallte es direkt auf das Rednerpult des Vorsitzenden, welches zwar bedrohlich ächzte, aber dennoch hielt. Seine riesige Brille auf der Nase zurechtrückend, blätterte er flink zwischen den vergilbten Seiten hin und her. „Hier steht’s!“, rief er triumphierend, „Weihnachten“. Die um ihn herum Versammelten warfen ihm neugierige Blicke über die Schulter. „Am Weihnachtstag fliegt der Weihnachtsmann mit seinem Rentierschlitten um die ganze Welt, um allen braven Kindern Geschenke durch den Schornstein zu bringen.“

Eine bedrohliche Stille senkte sich über den gesamten Saal. „Fliegen?!“ fragten schließlich fast alle Rentiere gleichzeitig. „Geschenke für ALLE braven Kinder?!“ wollten die Weihnachtsmänner wissen. „Und was ist mit uns?“, kam es von den Königen. „Wer ist heutzutage schon brav?“, riefen einige Engel. „Und wer hat heute denn noch einen Schornstein?“, ergänzten die anderen. „DAS geht nun wirklich nicht!“, meinte Professor Rauschebart mit einem triumphierenden Blick auf die fünfte Reihe „Und nun zu Punkt zwei…“

Ende

© 1995 Peer Sylvester & Jörn Willhöft

Peer Sylvester
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