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Storyplaying

Letztes Jahr traf sich eine Gruppe amerikanischer Spieleautoren in Texas um über die Herausforderungen im Spieledesign zu diskutieren. Warum niemand in der Szene davon weiß? Weil es Computerspielautoren waren. Nichtsdestotrotz habe ich mir einen Bericht über das Treffen auf Gamasutra durchgelesen und werde hier kurz davon berichten. Als Thema des Symposiums wurde „Story“ gewählt.

Der Bericht beginnt sinngemäß: Seit Jahrhunderten werden Geschichten auf unterschiedlichste Art erzählt (Direkt, als Bücher,Comics, Filme…). Frühe (Computer-)Spiele wurden als Geschichte erzählt. Die Frage des modernen Spieldesigns ist: „Wie interagiert das Spiel mit der Rahmenhandlung (der Story)?“

Doch vielleicht ist das die falsche Frage.

Die Autoren kamen zum Schluß, dass moderne Spiele keine Geschichte erzählen sollen, sondern dem Benutzer erlauben, seine ganz persönliche Geschichte zu entwickeln und erleben, wobei das Spiel selbst nur das Werkzeug dazu ist. Damit der Spieler seine eigene Geschichte erleben kann, muss das Spiel echte Emotionen auslösen: Statt vom Horror zu erzählen, muss der Spieler Horror erleben. Dadurch wird die Geschichte persönlich und bleibt dem Spieler in Erinnerung.

Kommentar: Ich hab schon über die Probleme von Brettspielen und die von ihnen erzählten Geschichten berichtet. Eine persönliche Geschichte wird immer erzählt – schon durch die Interaktion. Nicht alle Emotionen können aber von Brettspielen erzeugt werden – gerade Furcht oder Horror sind wohl kaum möglich zu erzeugen – bestenfalls Spannung.

Im weiteren Text werden verschiedene Techniken zur Erzeugung von Spannung, und deren Wirkung diskutiert. Hier fällt vor allem auf, dass bei konkreten Auswirkungen Computerspiele und Brettspiele strukturell sehr unterschiedlich sind: So sind Überraschungen, Schockeffekte, plötzliche Regeländerungen u.ä. in Computerspielen problemlos möglich, in Brettspielen dagegen nur mit sehr viel Aufwand (wenn überhaupt) zu erreichen (mit Überraschungen meine ich plötzliche Wendungen in der Story, Perspektivenwechsel etc.). Dagegen behandelt ein großer Teil des Artikels die Frage, wie man dafür sorgt, dass der Spieler seine Persönlichkeit einbringt und sich persönlich identifziert. DAS ist kein Problem bei einem Brettspiel, dafür sorgt schon der direkte Kontakt zwischen den Spielern. Ein Brettspieler kann eigentlich gar nicht anders, als seine Persönlichkeit irgendwie einzubringen, während man sich selbst in den Multiplayerwelten (oder Foren ;-) ) hinter einem Pseudonym verstecken kann.

Ein Problem, dass alle Rollenspieler kennen, aber auch alle anderen Spieltypen betrifft ist die Frage: Soll die Freiheit oder die Geschichte im Vordergrund stehen? Je mehr Freiheiten man dem Spieler lässt, desto überaschender kann die Geschichte sein, desto mehr Möglichkeiten zum entdecken gibt es. Aber die Kehrseite ist: Der Spieler kann auch ziemlich allein gelassen werden. Das Problem berührt sogar Brettspiele: Ein Spiel, dass die Spieler zu sehr an die Hand nimmt, verläuft zu gleichförmig (die Partien ähneln sich sehr), ein Spiel, dass zu viele Freiräume lässt, hat eine hohe Einstiegshürde, weil die Spieler anfangs nicht wissen, was sinnvoll ist. Leider sind alle vorgeschlagenen Lösungen nur für Computerspiele zu gebrauchen. Allerdings gibt es den Hinweis, dass durch deutliche graphische Elemente (z.B. ein Schloss) ein deutliches Ziel geschaffen werden kann, welches der Story (und den Spielfluss) anfangs eine Richtung gibt.

Auch durch klassische „Plots“ kann eine erste Orientierung gegeben werden. Dafür möchte ich das Beispiel „Betrayal at House on the Hill“ anführen: Die Guten wissen nicht, was das Ziel des „Verräters“ ist, aber durch die klassische Szenarien (z.B. Drakula) können die Spieler zumindest sinnvolle Theorien entwickeln und können so eine erste Taktik entwickeln.

Diese beiden Hinweise werde ich in Zukunft im Gedächnis behalten!

Abschließend wurde die Frage aufgeworfen, ob Spieleautoren einen eigenen erkennbaren Stil haben. Auf diese Frage werde ich in einem zukünftigen Blog eingehen – dieses Posting ist schon lang genug!

Letzte Woche konnte ich zwei Spiele der neuen Schmidt-Reihe „Simple Play“ spielen: Finito und Big Points. Ausgehend von diesen beiden Spielen scheint das Konzept der Reihe „einfache, trickreiche Spiel in unglaublich hässlichen Schachteln mit Spielmaterial im  80er-Jahre-Design“ zu sein. Immerhin sind sie günstig – aber auch ein Zehner ist zu viel Geld, wenn das Spiel nix taugt. Also: Wie siehts bei den beiden Testkandidaten aus?

Big Points ist von Wolfgang und Brigitte Ditt. Die Idee ist einfach, aber reizvoll: Wer an der Reihe ist bewegt einen der 5 Pöppel zum nächsten gleichfarbigen Feld und entfernt anschließend das Feld vor oder hinter der neuen Position (die Felder sind Scheiben). Am Ende zählen die Scheiben Punkte. Die Punktzahl richtet sich danach ob der Pöppel früh (wenig bis keine Punkte) oder spät (viele Punkte) ins Ziel kam. Abgesehen von zwei Kleinigkeiten wars das fast schon! Und die Regeln sind elegant: Eine Farbe, die viel gesammelt wird hat wenig Felder bis zum Ziel, wird schnell „daheim“ sein und wenig Punkte bringen. Das sorgt für ein schönes Dilemma! Zumindest mit wenig Spielern also ein wirklich nettes, schnelles (10-15 Minuten) Spiel, bei dem man bei dem Preis eigentlich nix falsch machen kann. Nur das Design könnte besser sein, aber immerhin wurde dem abstrakten Spiel kein Thema übergestülpt.

Leider kann Finito da nicht mithalten. Hier müssen die Zahlenchips die von 1-12 reichen in nummerischer Reihenfolge aufs Tableau gebracht werden. Dabei wird mit einem Zwanzigseiter gewürfelt und ein Chip muss auf das entsprechende Feld gesetzt werden. Sind alle Chips platziert darf umgesetzt werden. Ist das Feld besetzt darf das nächsthöhere oder niedrigere gewält werden. Die Regeln sind also fast noch einfacher. Vom Spielgefühl her liegt es irgenwo zwischen Racko/Europatour und Würfelbingo, ohne jedoch die Qualität dieser Spiele zu erreichen. Zu zufällig ist der Würfelwurf, zu wenig „Spiel“ im Spiel. Nicht schlecht, aber auch nicht gut. Vielleicht wäre es auch besser wenn man bei Beginn die zu platzierenden Spielchips frei wählen dürfte, anstelle immer nur die Auswahl zwischen 3 Stück zu haben. Muss nicht sein – Sorry, Hartmut!

ciao

peer

Peer Sylvester
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3 Kommentare

  • Lewis Pulsipher (Autor u.a. des Spiels „Britannia“) hat vor einem knappen Jahr im BGG einen Thread zum Thema „Storytelling“ und Brettspiele angeschubst …

    http://www.boardgamegeek.com/article/1332879

    … in dem auch auf diesen Artikel hingewiesen wurde:

    http://www.thegamesjournal.com/articles/GameTheory1.shtml

    Insgesamt sehr anregegende Lektüre.

    Ich (mal wieder als Drehbuchautor) kann da nur sagen: Der grobe Ablauf – also Spannungsbogen – sollte schon vernünftig aufgebaut sein, damit das Ganze funktioniert. Die Schwierigkeit beim Brettspiel ist natürlich, dass schlechte Spieler nicht einmal Eröffnung, Mittelspiel und Endspiel beim Schach „einhalten“, sondern sich irgendwie verknoten und das ganze schöne Spiel im Eimer ist. Moderne Spiele-Entwickler müssen schon sehr genau abklopfen, wie die Gesamtheit des Spieles abgesichert werden kann, ohne zu sehr das Gefühl zu vermitteln, die Spieler komplett festzulegen.

    Ich glaube, nichts ist ärgerlicher als ein fulminanter Start und ein repeptitives Spielgefühl, bis eben „irgendwann“ jemand gewonnen hat. Gibt es selten, aber bei „Monopoly“ ging es mir früher schon so, dass die Spannung am Anfang am größten war. ;-)

    Was wirklich story-bedingte Gefühle angeht, die sind wohl eher selten. Der Unterschied ist ja, dass man bei Brettspielen eben etwas TUT, d.h., die Emotionen rühren aus der Realität her (und die ist eben in diesem Moment: EIn Spiel zu spielen), während man z.B. beim Lesen oder Filmschauen eigentlich nur dasitzt und keinerlei Entscheidunf trifft, sondern sich hineinziehen lässt. In einer Diskussion über Wargames stieß ich allerdings auf eine Ausnahmesituation, die ein Spieler während einer Session des Wargames „Soldiers“ (Thema 1. Weltkrieg) erlebte (hier seine Schilderung im Kommentar zum Spiel):
    „Great game on a neglected subject. Very bloody – very very bloody. Had an emotional moment with this one – playing the ‚Massacre of the Innocents‘ scenario – a whole division of German students marching across a vast expanse of open ground while a couple of British battalions simply mowed them down. The Germans kept on marching & the Bristish kept on mowing & watching this began to upset both myself & my opponent. It just went on until the miniscule remnants of the German unit neared their objective hex. By this stage the chances of German victory were zero but we continued on in horrified fascination. Finally one German company remained & my opponent had the choice of actually killing a British unit for the first time in the game, or moving into the objective hex despite the fact that he had no chance of holding it. He chose the latter, summing up the whole war really. Not a dry eye in the house.“

  • Danke für die Links. Der Spannungsbogen eines Spieles richtig aufzubauen ist in der Tat eines der wichtigsten Aufgaben eines Spieleautoren. Ich werde sicherlich demnächst noch dazu schreiben :-) Wolfgang Kramer hatte einmal einen sehr interessanten Artikel zu dieser Thematik verfasst, mal sehen, ob ich den wiederfinde…

    Den Spielbericht finde ich insofern interessant, weil er schön aufzeigt, dass ein bestimmter Typos Spieler sich eben auf die Geschichte des Spieles einlassen kann (andere können dies nicht). Eines der Hauptkritikpunkte an Eurogames ist wohl, dass sie diesen Spielertypus i.A. vernachlässigt.