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Mit Fermi zu den Vielspielern

Ich habe nie Physik studiert. Daher weiß ich nicht ob hier zulande noch Aufgaben im Geiste von Enrico Fermi gestellt werden. Der hat nämlich in seinen Vorlesungen gerne Schätzaufgaben gestellt – die berühmteste war wohl: „Wie viele Klavierstimmer gibt es in New York?“. Um zu einer vernünftigen Schätzung zu kommen muss man verschiedene Annahmen machen (z.B.: Wie viele Klaviere gibt es schätzunsgweise in NY? Wie oft muss so ein Klavier wohl gestimmt werden? Wie viele Klaviere stimmt ein Klavierstimmer an einem Tag?“) In der Regel wird man sich bei der einen oder anderen Annahme verschätzen. Aber -und so funktioniert die Physik ;-) – die Schätzungen heben sich z.T. gegenseitig auf und am Ende wird man eine Hausnummer raushaben, die sicherlich nicht genau stimmt, aber die einen die ungefähre Größenordnung angibt. Und das ist für eine erste Einschätzung sicherlich genug.
Was hat das mit den Spielen zu tun? Nun ich möchte mit Hilfe von Fermi eine Abschätzung der Anzahl der Vielspieler in Deutschland machen. Denn diese Anzahl ist immer wieder Grund heißer Diskussionen im Forum – z.B. in der aktuellen, dank Postings von Verlagsmitarbeiter sehr interessanter, Diskussion hier.

Die erste Frage ist natürlich: Was ist überhaupt ein Vielspieler? Und allein diese Frage ist kaum scharf zu beantworten. Ich definiere meinen Vielspieler einmal so, dass er regelmäßig Brettspiele spielt und zwar nicht immer dieselben. Er interessiert sich zumindest ein wenig für die aktuellen Neuheiten und versucht zumindest ab und an mal was neues. Er spielt auch anspruchsvollere Spiele und schreckt auch von Spieldauern über 2 Stunden nicht zurück.

Nun beginnen wir mit der Abschätzung. Dazu werfe ich ein paar Zahlen in den Raum. Sicherlich wird jede einzelne Zahl angreifbar sein. Und letztlich ist alles ein wenig statistische Spielerei, mit der ich die Skeptiker kaum überzeugen dürfte – aber dennoch, das Ergebnis ist durchaus interessant!

Beginnen wir mit den Informationsquellen. Da wäre das Internet. Im Forum von der wichtigsten Portal-Seite, der Spielbox, sind 1190 User registriert, Bei hall9000 sind es deren 119. Bei Boardgamegeek konnte ich keine entsprechende Zahl finden, aber das am häufigsten bewertete Spiel, Siedler von Catan, bringt es auf 12591 Bewertungen davon 449 aus Deutschland (etwas über 13200 User aus aller Welt haben das Spiel als „owned“ markiert).
Außerhalb des Internets ist die wichtigste Zeitschrift die Spielbox. In ihrem Kommentar schreibt Edith O´Rial das die Auflage dieser wichtigsten und auflagenstärksten deutschsprachigen Brettspiel-Zeitschrift unter 16.000 liegt (hier der Link). Die Wikipedia spricht von einer Auflagenhöhe von 13.000

Aus diesen Zahlen kann man schließen dass die im Internet aktive Szene kaum vierstellige Zahlen erreicht. Dem Vielspieler sind wir noch nicht viel näher gekommen. Geht man aber davon aus, dass der sich einigermaßen regelmäßig informiert, dürfte die Anzahl nicht über (sehr optimistischen) 15.000 hinausgehen. Aber natürlich: Viele Vielspieler informieren sich im Internet nur passiv und lesen keine Zeitschrift. Wir müssen weitersuchen.

An Verkaufszahlen ist nur schwer ranzukommen. Hier die von ein paar Vielspielerspielen, die ich finden konnte:
Robo Rally (Amigo) : 18.000
Puerto Rico: 30.000 (nach 2 Jahren, dafür aber zusammen mit der USA-Ausgabe, nach Fermi gleicht sich das wohl aus…) (Bei BGG besitzen es etwas mehr als 11.100 User, das wäre ein gutes Drittel aller Besitzer, bei so einem Schnitt kämen wir bei Funkenschlag auf 18.000 Besitzer)
Antike (produzierte Spiele, nicht Verkaufszahl): 12.000 (damit eggerts meistproduziertes Spiel nach dem Würfelspiel Power-Soccer)
Puerto Rico liegt damit als einziges über den 20.000, den Einfluß von Rio Grande kontra Nachverkauf kann ich aber nicht abschätzen.

Bei „Spieler und Clubs“ auf der Spielboxseite sind z.Z. 2110 Einträge, darunter auch viele Gesuche zum Skat oder Doppelkopf spielen. Dennoch vielleicht eine interessante Zahl. Auch hier mitteln sich die Nicht-Vielspieler raus, bedenkt man dass Clubs selten nur aus einer Person bestehen.

Bei Markus Barnicks Spielerdatenbank sind rund 350 Personen aus der Szene gelistet. 

Die Spieleautorenzunft hat etwa 400 Mitglieder, von denen aber wohl weniger als die Hälfte ein Spiel veröffentlicht hat (nicht dass der Eindruck entsteht, es gäbe 400 aktive professionelle Spieleerfinder in Deutschland. Oder sonstwo ).

Insgesamt ergibt sich immer dasselbe Bild: Die Zahlen weisen darauf hin, dass etwa zwischen 15.000 und 20.000 Spieler in Deutschland auch mal was anspruchsvolles spielen , wobei die „harte Spieleszene“ (was immer das heisst) noch einmal deutlich kleiner ist und kaum die 2000 erreichen dürfte. Selbst die erfolgreicheren unter den Vielspielerspielen dürften also Probleme haben die 20.000 zu übersteigen.

Beide Zahlen sind eher optimistische Schätzungen will ich meinen, doch diese Zahlen sind angesichts SdJ-Verkaufszahlen von jenseits der 300.000 doch eher ernüchternd. Wie die Verlagsvertreter schon im Forum sagten: Die Szene ist kleiner, als sie selbst glauben will. Wieviel kleiner wird keiner wissen, doch zumindest nach etwas Statistikspielerei kann man schon sagen: Oops… :-)
Natürlich: Einige Vielspieler werden durchs Raster fallen – aber ein Vielspieler der sich nicht informiert, nicht im Netz aktiv ist und keine Vielspieler-Spiele kauft mag wohl eher die Ausnahme sein, oder?

Und: Wer weitere interessante und passende Zahlen hat: Immer her damit!
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Ein kleiner Nachsatz zum letztwöchigem Eintrag: In der Entwicklung vom Spiel zum Kunst wurde eine weitere Stufe erklommen: Die Parodie. Tatsächlich erscheint in diesem Jahr beim nicht so kleinen Verlag Z-Man Games Cleopatra´s Caboose heraus. Dieses Spiel ist als kleine Parodie auf die (Euro-)Brettspielwelt gedacht: Es ist ein Eisenbahnspiel, dass im alten Ägypten (wo sonst?) spielt, bei der Früchte zu Städten transportiert und Gebäude für Siegpunkte errichtet werden – es sollen alle Mechanismen drin vorkommen, die in Eurogames halt so vorkommen. Spieler wählen zudem in jeder Runde den Spieleerfinder aus, dessen Spezialfähigkeit sie nutzen wollen. Ich bin gespannt! Hier haben wir ganz klar ein Spiel, bei dem (Comedy-)Kunst vor den kommerziellen Interessen steht und das es geschafft hat, veröffentlicht zu werden. Das macht Mut auf mehr!

ciao
peer

Peer Sylvester
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2 Kommentare

  • Bei Boardgamegeek gibt es z.Zt. ca. 3330 registrierte deutsche User. (von den 168 000 registrierten Usern insgesamt, davon fast 100 000 US-Amerikaner)

    Davon haben sich ca. 1000 im Jahre 2008 schon mindestens einmal eigeloggt.

    Avatare (also grob gesagt, sind eher rege tätig auf der Seite) haben 170 deutsche User.

    Ich gebe dir vollkommen recht, dass die Szene wohl eher kleiner ist, als sie selber glaubt … ;-)

  • Du fragst nach weiteren Zahlen?
    Da fällt mir ein:

    – Agricola hat 4497 Punkte beim Deutschen Spielepreis bekommen (5 Punkte gibt’s für eine Nennung als 1.)
    – Bei den Deutschenbrettspielmeisterschaften nehmen in den letzten Jahren zwischen 210 und 230 Mannschaften (a 4 Spieler) teil

    Viele Grüße,
    Stephan