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Wen?

Vor fast genau 15 Jahren hatte Days of Wonder die tolle Idee, ein Quiz in einer Schachtel zu präsentieren, die optisch an eine Zigarettenschachtel angelehnt war. Durchgesetzt hat sich diese Idee seltsamerweise nicht (Ich finde es schon witzig, Schachteldesigns an andere Produkte anzupassen – aber Zigaretten?). Auch heute sterben die Ideen nicht aus, bei denen ich mich ernsthaft Frage: Für wen ist das? Es mag sein, dass ich einfach nicht am Puls des Marktes sitze, aber ein Spiel transportiert durch Graphik und Titel nun einmal bereits vor dem Spielen Erwartungen. Werden diese Erwartungen nicht erfüllt, ist das entweder enttäuschend oder man fragt sich, ob ein anderen Thema besser gewesen wäre.

Zwei Spiele wurden von dem Verlagsäquivalent von Clickbait (Awaken Realms) angekündigt, bei denen ich mich schon frage, was sich die Marketingabteilung dabei gedacht hat. Wobei ich hier den Disclaimer ziehen muss, dass die Spiele vor den erratischen Zöllen Trumps angekündigt worden sind und somit deren Entstehung alles andere als gesichert ist

Das erste Spiel ist Agricola:Dead Harvest. Das ist Agricola mit Zombies. Ich habe nicht gegen Zombies. Spätestens seit Stolz und Vorurteil und Zombies sind popkulturelle Remixe von klassischen Werken mit Zombies als Satire oder zumindest “witzige Idee” etabliert. Zumindest die Titelgraphik von Dead Harvest lässt aber nicht allzu viel Humor vermuten (Zudem hatte ich bei bisherigen Spielen des Verlages -sofern bekannt – bislang nicht gerade das Gefühl gehabt, hier wären begabte Gagschreiber am Werk). Aber die wichtigste Narrative ist ja ohnehin die, die von den Spielenden kommt. Und da frage ich mich schon sehr viel mehr, wie ein Euro wie Agricola mit dem Zombie-Genre zusammenpasst. Mit dem Zombiegenre, das auf dem Titelbild angekündigt wird, verbindet man doch eher mehr (Zombicide) oder minder (Dead of Winter) glücksbetonte Prügelspiele. Das kann ich nicht mit einem Agricola zusammenführen. Das einzige was passt, ist dass von Zombies eine Gefahr ausgeht, eben ein Hindernis mehr, dass es zu beachten gilt. Die buchhalterische Version von Zombies quasi. So als zusätzliche Variable können Zombies recht problemlos in Agricola eingegliedert werden, daher vermute ich dass das auch geschieht.

Nur für wen ist es dann? Primär würde das die Agricolafans ansprechen, die eine neue Variante kennenlernen wollen. Ob sich die Zielgruppe mit der ausstattungslastigen Designphilosophie von Awaken Realms verträgt, wird abzusehen sein und vermutlich vom Preis abhängen. Ob Agricola-Fans Awaken-Realms-Preise für eine Variante auszugeben bereit sind, kann ich nicht beurteilen (bei BuBu hats geklappt). Aber was weiß ich schon? Umgekehrt bezweifle ich aber schlicht, dass allzu viele Awaken-Realms-Monsterfans von einer Agricola-Variante begeistert sein werden. Builders of Gloomhaven hatte ja ein ähnliches Problem: Wer Gloomhaven spielt – und Gloomhavenprodukte kauft – assoziiert mit Gloomhaven Fantasy, Monsterkämpfe, Dungeons… alles mögliche, aber nicht unbedingt einen Euro mit eher geringem Bezug zum Setting. Anders ausgedrückt: Die Narrativen, die beim Spielen von Builders of Gloomhaven enstehen, sind gänzlich andere als die Narrativen Gloomhavens. Spielende nehmen einen solchen Bezug aufgrund der Narrativen war, nicht aufgrund von Settings. Wenn Narrative und Setting nicht zusammenpassen, wirkt das Thema “aufgeklatscht” und Bezüge zu einer IP wirken gekünstelt, unecht, enttäuschend. Das angekündigte Builders of Baldurs Gate wird da ebenfalls Probleme haben (was nicht heißt, dass das Spiel nicht erfolgreich sein kann).

Tonal noch weiter auseinander ist allerdings Labyrinth Chronicles. Darunter verbirgt sich eine Legacy-Variante für Das verrückte Labyrinth. OK, das ist erst einmal eine gute Idee – Ähnliche wie bei Machio Koro Legacy, ist es gar nicht so schlecht, in einem kurzen Spiel ein Legacyelement einzuführen, denn sofern es gelingt, die stetig wachsenden Regeln in den Gruff zu bekommen, sorgen kurze Partien dafür, dass man schneller mehrere Partien sieht und so schneller und besser die Veränderungen zwischen diesen wahrnehmen kann. Etwas was vor allem Zombie Kidz gut hinbekommen hat. Wenn es gelingt etwas ähnliches hinzubekommen, meinethalben auch mit 3D-Elementen, ist das eine gute Idee mit Zielgruppe. Allerdings ist die Tonalität der Schachtel auch hier überraschend düster. Es ist kein Dead Harvest, aber es ist auch meilenweit von der originalen Graphik des Ravensburger Klassikers entfernt. Auch hier werden aus meiner Sicht gemischte Signale ausgesendet: Einerseits ist das Verrückte Labyrinth ein Familienspiel, dass wunderbar auch mit jüngeren Kindern funktioniert. Andererseits transportiert Material und Graphik eher “HeroQuest-inspirierter Dungeon Crawler”. Auch dafür gibt es eine Zielgruppe, aber es ist eine gänzlich andere als beim Verrückten Labyrinth. Auf welcher Seite das Spiel jetzt am Ende auch landet, es wird eine der beiden Gruppen enttäuschen.

Nun könnte man sagen, dass ich hier über Spiele urteile, die noch nicht einmal erschienen sind. Äh, Ja. Das heißt: Ich urteile nur über den Eindruck, den diese Spiele bei mir hinterlassen. Es ist eben falsch, dass Spiele auf Personen treffen, die keinerlei Erwartungshaltung mitbringen und die für alle Erlebnisse gleichermaßen offen und objektiv wären – das Gegenteil ist der Fall. Wie ich oben schrieb: Spiele transportieren Erwartungen. Und diese Erwartungen bezüglich Tonalität und spielerisch konstruierter Narrative sollte man durchaus als Spieleschaffende Person (oder als Verlag) im Blick haben. Sonst bringt man schnell einmal Spiele auf den Markt, die in Schachteln daherkommen, die wie Zigarettenschachteln aussehen.

ciao

peer

Peer Sylvester
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