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Für mehr Herz und Verstand

Wenn man sich auf die Suche nach Fotos von Spielen macht, findet man fast ausschließlich Bilder vom Spielmaterial, gelegentlich den Illustrationen des Spiels und in der Regel von der Spieleschachtel selbst. Wenn man sich hingegen ein Bild vom Spielen machen will, tauchen oft mehr oder minder ernst blickende Gestalten auf auf diesen Fotos auf. Manche wirken besorgt, andere verbissen und wieder andere nahezu freudlos in ihrer Anstrengung. Das Bild welches Brettspielen in Bildern von sich zeichnet ist das einer emotional unterkühlten, intellektuell höchst anspruchsvollen Tätigkeit.

Diese falsche Außenwirkung ist dabei selbst verschuldet. Zum einen unterstreicht diese Ernsthaftigkeit, dass Spielen eine angemessene Beschäftigung für Menschen ist, die keine Kinder mehr sind. Zum anderen schmeichelt sie auch dem Selbstbild von Personen, die Spielen gerne als Auseinandersetzung mit der Geschichte verstehen oder zumindest als gediegenen Geistesstreit, an dem nur eine gepflegte Auswahl an Spieler*innen Gefallen findet. Spielen vornehmlich als Geistessport zu begreifen, als eine aus strategischen und taktischen Abwägungen gefällte Sammlung an Entscheidungen, rückt nicht nur die Aktivität, sondern auch jene die sie betreiben, in ein höchst ansehnliches Licht.

Ohne Frage sind diese Dinge Teil des Spektrums an Spielarten und Spielerlebnissen. Aber sie sind meiner Erfahrung und Wahrnehmung nach weder repräsentativ, noch bilden sie die Stärke des Spielens ab. Diese findet sich in den erlebten Emotionen am Spieltisch, und beim gemeinsamen Spiel zusätzlich auch in der Performanz eben dieser Emotionen. Ein Spiel kann einen packen. Es kann begeistern. Es kann Anspannung in uns auslösen, wenn unsere Ziele in Gefahr sind. Es kann ein wohltuendes Gefühl der Genugtuung in uns wecken, wenn es uns gelungen ist eine besonders große Herausforderung zu meistern. Es sind diese Emotionen, die uns zu Spieler*innen machen, statt nur zu Menschen, die an einem Spiel teilnehmen.

Man könnte hier besonnen und berechnend bleiben, aber warum sollte man das tun?

In Gegenwart von Mitspielenden können wir dieses Bouquet an Emotionen noch um eine weitere Facette erweitern. Das gemeinsame Spiel bietet uns eine Bühne, um unsere Emotionen nicht nur zu fühlen, sondern sie auch zur eigenen Unterhaltung und der Unterhaltung der Anwesenden zu inszenieren. Wir können in blumiger Sprache über unsere Kartenhand schimpfen. Das gemeinsame Spielen bietet uns den sicheren Raum, um uns über die Züge unserer Kontrahenten in lauter, wilder und in manchen Runden auch von Kraftausdrücken verzierter Sprache zu empören. Die Prise aufrichtig empfundenen Ärgers oder Frust kann in ihrer bis ins Groteske überzeichneten Darbietung ein Ventil finden, welches nicht nur uns selbst besänftigt aber auch die anderen unterhält. Die so ausgelebten Emotionen können sich so entladen und uns allen von Nutzen sein.

Das ist in meinen Augen eine der prägnantesten Stärken des Spielens. Es weckt mit Hilfe seiner fiktiven Szenarien wie ein Kinofilm Emotionen in uns. Wenn Spiele irgendeine Form von Eskapismus bieten, dann findet er sich darin, dass wir Emotionen intensiv erleben dürfen und andere Spieler*innen (so vorhanden) daran teilhaben lassen können. Und es ist gerade die ironische Distanz zwischen dem was wir empfinden und dem was wir nach außen kommunizieren, welches den ureigenen Humor von Spielen auszeichnet. Es ist wie ein ganz spezieller Witz, in den nur die eingeweiht sind, die auch am Spieltisch sitzen. Aus diesem ausgewählten, manche nennen ihn sogar magischen, Kreis entsteht Vertrautheit und erwachsen Freundschaften – sogar oder gerade unter Männern.

Was das Spielen lebendig macht ist der Raum, der unseren Emotionen hier eröffnet wird. Je mehr wir diese aus unserem Spielerlebnis und auch der Außendarstellung verdrängen, umso mehr entsagen wir den Dingen, die Spielen überhaupt erst wertvoll machen. Emotionen sind das Herzblut großartiger Spiele und großartiger Spielrunden. Das kann man weder oft genug betonen, noch deutlich genug nach außen tragen.

Die uneingeschränkte Verkopfung des Spielakts, die Reduktion des Spielens auf Fragen logischer Kausalitäten und Aufteilung in Wahrscheinlichkeiten ist – unabhängig davon wie viel individuelle Spielfreude man daraus ziehen kann – in letzter Konsequenz ein verlässlicher Weg um das Spielerlebnis zu demontieren. Ist ein Spiel erst mal derart in seine Einzelteile zerlegt, bleiben lediglich Anreize, Belohnungen und Einschränkungen übrig. So wie von einem geliebten Haustier nur Fell, Muskeln und Knochen übrig bleiben, statt einem treuen Freund, der einen jahrelang begleitet hat.

Spiele und auch das Spielen selbst muss zwingend mit seiner gesamten Emotionalität gedacht, verstanden und erlebt werden.

Aber ein Spiel zu spielen und es zu erleben ist etwas anderes als darüber zu schreiben oder zu sprechen. So unverzichtbar Gefühle und ihr Ausdruck für das Spielerlebnis selbst sind, so irreführend und hinderlich können sie in der Kritik sein. Seitdem wir Klickzahlen und Engagement als objektive Messlatte für Qualität erachten, hat sich eine durch Gefühle gekennzeichnete Auseinandersetzung mit Spielen normalisiert. Diese Erkenntnis ist weder neu, noch bahnbrechend. Vor allem ist damit kein Vorwurf verbunden. Es ist ein Trend wie jeder andere auch.

Zumindest sollte man meiner Meinung nach diese Betonung des Gefühlten als eine stilistische Vorliebe betrachten. Es ist eine Art die kritische Auseinandersetzung aufzubereiten, damit sie zu den gängigen Hör- und Lesegewohnheiten passt. Eine rein sachliche, auf Neutralität bedachte Besprechung eines Spiels hat keinen Unterhaltungswert und ist damit auch kaum von Interesse für die meisten Spieler*innen.

Aber nur über das Gefühlte zu sprechen oder zu schreiben ist vor allem eine Fortführung des Spielerlebnis. Wir versuchen unsere Empfindung während des Spielens wieder einzufangen und anderen zu vermitteln. So wie ein Spiel uns in den Mittelpunkt des Geschehens stellt, rückt auch eine solche Nacherzählung uns selbst in den Fokus der Aufmerksamkeit. Was dabei unter den Tisch fallen kann, ist die eigentliche kritische Auseinandersetzung mit dem Spiel.

Spaß kann manchmal auch nur Mittel zum Zweck sein

Diese findet eben nicht in der Nacherzählung ausgewählter Erlebnisse statt, sondern indem wir das Erlebte reflektieren und kontextualisieren. Die Besprechung eines Spiels kann aus mehr bestehen als einer Erklärung des Spielablaufs und der Erwähnung einzelner Momente. Mit dem Feigenblatt der abschließenden „eigenen Meinung“ mag man zwar die formalen Bedingungen einer Spielkritik erfüllt haben, aber auch nicht mehr.

Wie zu Beginn umschrieben, halte ich es für eine unnötige Einschränkung des Spielens, wenn wir einen derart hohen Wert darauf legen es auf eine rein intellektuelle Beschäftigung zu reduzieren. Emotionen am Spieltisch sind eine großartige Sache. Sie sind eine Bereicherung für einzelne Spieler*innen, aber auch für die Gruppen in denen sie spielen. Ich wünschte mir, dass dieser Aspekt als ein selbstverständlicher Teil des Spielens gesehen und behandelt wird.

Gleichzeitig scheint mir die Betonung des Gefühlten oder der gefühlten Wahrheiten in der Kritik eine gegenläufige Wirkung zu haben. Statt die kritische Auseinandersetzung mit Spielen zu bereichern und zu erweitern, nimmt die Inszenierung dieser Gefühle oder des Spielthemas immer mehr Raum ein. Ich würde gerne mehr kritische Besprechungen von Spielen sehen, in denen die persönlichen Empfindungen nicht nur thematisiert werden, sondern auch hinterfragt. Es würde mich freuen, wenn auch Fragen jenseits von „Hatte ich Spaß?“ zum Standardrepertoire einer jeden Spielbesprechung gehören.

Und da wir schon beim Wunschdenken sind, hätte ich gerne eine Switch 2 zu Weihnachten.

Georgios Panagiotidis
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