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Der Mythos der Herausforderung

Es hat etwa ein halbes Dutzend Partien gedauert bis es mir gelang, Endeavor Die Tiefsee im kooperativen Modus zu gewinnen. Ich hatte das Spiel zu diesem Zeitpunkt in jeder Besetzung probiert und auch immer wieder neuen Spieler*innen vorgestellt. Dennoch amüsierte es mich sehr, dass es mir auch nach mehreren Anläufen nicht gelingen wollte, das Spiel regelkonform zu gewinnen. Im Gegensatz dazu, habe ich vor kurzem The Great Evening Banquet (das neuste Spiel von Saashi) spielen können. Bereits bei meiner zweiten Partie gelang es mir die Punkteleiste fast bis zum Limit auszureizen.

Ein Spiel, welches uns herausfordert, weckt unseren Ehrgeiz. Wir fühlen uns vom Design herausgefordert, fast schon in unserer Eitelkeit gekränkt, wenn uns eine hohe Punktzahl bei der Endabrechnung verwehrt bleibt. Unser Interesse an einem Spiel kann von einem solchen Ergebnis durchaus geweckt werden. Aber ich finde es ist keine schöne Motivation, um ein Spiel zu spielen. Es fühlt sich eher wie eine Pflicht an; eine Frage der „Ehre“ sich vor diesem Spiel nicht unterkriegen zu lassen. Dementsprechend habe ich auch oft und wiederholt Endeavor gespielt.

Diese Verbissenheit ein Spiel wiederholt spielen zu wollen, bis man es endlich bezwungen hat, ist mir nicht fremd. Das kenne ich nur zu gut aus meiner Teenager-Zeit als Videospieler. Da hat mich ein schwieriges Level (oder auch nur ein langes Spiel) oft angetrieben durchzuhalten; mich durch zu beißen, um irgendwann M. Bison endlich K.O. zu schlagen oder eben Andross in die Luft zu sprengen, usw.. Die Erleichterung und das Gefühl des Triumphs, wenn es mir endlich gelungen war, war entsprechend groß. Da ist der Frust, die Empörung und auch die Schimpftiraden, die ich auf dem Weg dorthin durchlaufen habe, schnell vergessen.

Mittlerweile bin ich älter, entspannter und in Spielen im Vergleich zu meiner Schulzeit auch besonnener. Ich ärgere mich nicht mehr so sehr. Wenn ich es doch tue, habe ich mich schnell genug beruhigt und die Ereignisse des Spiels schnell vergessen.

Aber mir fällt auch auf, dass Spiele die mich dennoch derart „ärgern“ bzw. mir ein schönes Ende verwehren, zwar motivieren, aber nicht unbedingt mit Spielfreude füllen. Ich empfinde es eher als negativ geprägte Motivation das Spiel wiederholt zu spielen, bis ich den Bogen raus habe. Was jedoch viel schwerer wiegt: diese Motivation verpufft in dem Moment, da ich mein Ziel erreicht habe. Wenn ich das Spiel erst einmal „bezwungen“ habe, fehlt mir die Motivation und auch das Interesse mich weiter mit dem Spiel zu beschäftigen.

Das es nicht so sein muss, wurde mir in dem Moment deutlich als ich The Great Evening Banquet einige Male gespielt hatte. Der Solo-Modus bietet für erfahrene Spieler*innen (oder auch nur solche mit einem glücklichen Händchen), eine deutlich niederschwellige Herausforderung. Man knobelt einfach auf einen hohen Punktewert. Manchmal klappt das und manchmal nicht. Genauer gesagt, gelang es mir schon bei meinem zweiten Versuch in der höchsten Kategorie der Punkteabrechnung zu landen. Aber anders als etwa bei Endeavor, habe ich nicht das Gefühl, dass meine Motivation das Spiel zu spielen abgeflaut war.

Im Gegenteil, ich fühle mich beim Spielen nicht mehr unter Druck gesetzt mich gegen Regelhürden und knifflige Situationen zu behaupten. Ich genieße einfach das Spielen selbst. Ich erfreue mich an Knobeln, Tüfteln und Abwägen. Nicht weil ich mich gezwungen fühle einen High Score zu erreichen, sondern weil mir der Spielakt selbst gut gefällt. Ich habe Spaß daran meine Hirnmuskeln in Bewegung zu bringen ohne gleich Höchstleistung von ihnen einzufordern. Ich genieße die sanfte Spannung, ob ich als nächstes die Plättchen ziehen kann, die ich benötige oder ob ich einen anderen Weg einschlagen muss, um zu punkten.

Das heißt nicht, dass ich herausfordernde Spiele nicht mag. Oder dass diese Spiele irgendwie besser oder schlechter wären. Aber es wird mir wieder deutlich, dass gerade bei herausfordernden und schweren Spielen die Beschäftigung auf einen natürlichen Endpunkt hinsteuert. Irgendwann ist der Berg erklommen, der Rekord gebrochen und der Safe geknackt. Das Spiel fühlt sich ausgespielt an. Das Puzzle ist gelöst. Was bleibt da noch anderes als zum nächsten Spiel, zum nächsten Puzzle oder eben zur nächsten Herausforderung zu ziehen?

Vermutlich ist das der Grund weshalb in manchen Kreisen hohe Variabilität ein wichtiges Qualitätsmerkmal ist. Wenn der Spielaufbau jedes Mal anders ist, lässt sich das drohende Ende der Spielbeschäftigung immer weiter aufschieben und verzögern. Damit hat das Spiel seine Daseinsberechtigung in der eigenen Sammlung noch einmal verlängern können. Es ist noch nicht „gelöst“.

Wenn ich alle Spiele aus meiner Spielesammlung entfernen würde, die ich „bezwungen“ habe; hätte ich ein halb leeres Regal vor mir. Welches Spiel ich empfehle oder auf den Tisch bringen möchte, ist meistens eine Bauchentscheidung. Es ist eine Frage der Stimmung und der „vibes“ an diesem Abend. Manchmal habe ich Mitspieler am Tisch, die gekommen sind um mentale Höchstleistungen zu erreichen und sich (unabhängig vom Spiel selbst) das Ziel gesetzt haben, das absolute Maximum an Punkten für sich herauszuholen. Alles andere ist ein Affront gegen die eigene Spielerehre. Aber genauso oft habe ich Mitspieler*innen am Tisch, die einfach einen netten Spieleabend miteinander verbringen wollen. Es sind Spielabende bei denen das gemeinsame Spielerlebnis als wertvoller empfunden wird, als die persönliche Genugtuung besonders gut gespielt zu haben.

Für mich sind das genug Indizien, um daraus zu schließen, dass Spiele nicht allein dadurch Begeisterung und Interesse wecken, weil sie so schwer zu meistern sind. Unsere Spielfreude wird nicht dadurch entfacht, dass uns ein Spiel auf dem „richtigen“ Niveau fordert. Es ist das Spielgefühl, welches uns anspricht. Es sind die „vibes“, die ein Spiel besonders machen. Es ist nicht das Ringen mit der spielerischen Herausforderung, welches uns an den Tisch holt. Das mag den gängigen Annahmen über Spieler*innen-Verhalten widersprechen, aber ich denke es ist etwas dran.

Georgios Panagiotidis
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