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Sicherheit und Kontrolle

The Manifold ist eine Art englischsprachiges Webzine, bei dem jede Woche ein Essay über Brettspiele erscheint. Vorletzte Woche erschien ein Artikel von Omari Akil über die Entwicklung seines Spieles Rap Godz. Dort schreibt er, dass viele Playtester sich über die „Beef“-Mechanik beschwert haben, sie als ungerecht empfanden. Dies ist wohl eine Möglichkeit des Angriffes der Spieler gegeneinander und der Kampf wird per einfachen Würfelwurf entschieden. Das erschien den Testspielern zu zufällig und zudem begünstigt es eine Mechanik, die Leute, die anfangs Glück hatten, später weiter bevorteilt. Omari hat sich dieses Feedback notiert, aber er hat die Kritikpunkte nicht geändert, da genau diese Punkte so abgebildet sind, wie er als Autor sein Spiel haben wollte. Zudem meinte er, dass er als Schwarzer in den USA gewohnt ist, dass es nicht fair zugeht, und dass er einen Nachteil gegenüber anderen hat und so eine größere Frusttoleranz entwickeln konnte. In diesem kurzen Essay stehen also gleich mehrere interessante Punkte:

Als erstes fällt unabhängig vom eigentlichen Kern auf, dass Omari hier das Urteil der Testspieler ignoriert. Das überrascht auf den ersten Blick, zumindest wenn man nicht selber Autor ist. Tatsächlich ist es eine der wichtigeren Fähigkeiten eines Autoren entscheiden zu können, wann auf die Testspieler gehört wird und wann nicht. Natürlich gibt es Kritikpunkte, die valide sind, natürlich haben Testspieler oft auch gute Vorschläge. Ich höre mir immer alles Geäußerte an und notiere mir das oft auch. Aber die Gewichtung liegt allein bei mir. Wie Omari schon sagte: Manchmal habe ich einfach ein anderes Spiel „im Kopf“ als die Testspieler, oft weiß ich was ich mit einem Spiel erreichen will und das muss nicht dasselbe sein, wie die Testspieler. Testspiele sind aber natürlich wichtig – eben auch um herauszufinden, ob man das Ziel schon erreicht hat oder noch nicht.

In diesem Fall wollte Omari die Unfairness abbilden, die im richtigen Leben ja allgegenwärtig ist, insbesondere für PoC, inbsesondere in den USA. Dass die Testspieler sich hier beschweren, hat mehrere Ebenen: Einmal, die gesellschaftliche, die Omari selbst beschreibt: Fairness zu erwarten ist eine kulturelle Erfahrung, ja ein Privileg. Auch und gerade im Brettspielbereich gilt Fairness als integraler Bestandteil eines „guten“ Designs. Zumindest im Brettspiel möchte man selbst die Kontrolle haben, möchte die Früchte seiner Arbeit ernten, der „Bessere“ soll gewinnen, ganz objektiv. Alles andere ist unfair; Wenn ein Spiel einen Glücksfaktor hat, so muss dieser ausrechenbar sein, sich hinterher vorwerfen lassen zu müssen, man hätte ja nur Glück gehabt, kann einem das Spielen verleiden. Umgekehrt ist man frustriert, wenn man aufgrund von Glück oder Pech gewinnt. All dies ist die Brettspielkultur, die sich in den letzten 40 Jahren, spätestens aber seit den German Games der 90er, herausgebildet hat.

Doch es ist „unsere“ Brettspielkultur, es ist nicht „die“ Brettspielkultur. Andere Blickwinkel sind absolut möglich, auch wenn uns dieser Ansatz erst einmal fremd erscheint. Das ist in anderen Kulturbereichen nicht anders: Unsere Tonleiter ist nicht universell, in Asien wird in der traditionellen Musik eine andere verwendet und die Musik hört sich daher bisweilen ungewohnt, ja sogar dissonant an – doch dabei muss man sich vor Augen halten, dass dies eben keine universelle Wahrheit, sondern nur unsere kulturelle Prägung darstellt.

Genauso muss man sich vor Augen halten, dass auch das Gut „Wir haben unser Schicksal in unserer Hand“ in einem Brettspiel  keine universelle Wahrheit, sondern unsere kulturelle Prägung darstellt. Sicherlich stammt diese Prägung zum Teil aus dem Eskapismusgedanken, nämlich, dass wir wenigstens im Brettspiel Fairness (er-)leben wollen, wenn nicht schon in der „wirklichen“ Welt. Auf der anderen Seite ist der Gedanke älter als das moderne Brettspiel, es ist die ewige Rechtfertigung aller Herrscher, aller Mächtigen und aller Reichen aller Zeiten, dass sie eben verdient „da oben“ stehen und alle anderen verdient eben nicht. Gerade in den USA ist der „Amerikanische Traum“ genau diese Propaganda, die angesichts der Realität  (über 99% der lebenden Amerikanischen Superreichen stammen aus reichen Familien)  eigentlich hätte zur Farce verkommen sollen. Ein Brettspiel, dass diesen Gedanken nicht blind kopiert, liegt daher nicht per se falsch, sondern kann erfrischend eine neue Persepektive aufzeigen. Das mag ungewohnt sein, aber genau das bedeutet „Kulturgut“, das ist der Unterschied zwischen Kunst und Handwerk und  umso größer sollte den Respekt sein, den man Omari dafür entgegenbringen sollte, dass er diese Perspektive nicht nur thematisch sondern auch mechanisch in sein Spiel integriert hat.

ciao

peer

Peer Sylvester
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