Man sagt mir manchmal nach, dass meine Blogartikel mit heißer Nadel gestrickt seien. Das will ich nicht verneinen, auf jeden Fall aber ist es bedeutend schwieriger IRGENDETWAS kohärentes zu schreiben, wenn die Temperaturmarke von 30° überschritten wurde (die Marke der Außentemperatur, nicht die Temperatur der Nadel). Zum Glück habe ich gerade Tim Hartfords „How to make the world add up“ fertig gelesen und eine der vielen interessanten Dingen aus dem Buch habe ich einmal direkt auf Brettspiele bezogen.
Aber als erstes einmal eine Richtigstellung. Hier hatte ich über das Marmeladenparadoxon geschrieben. Kurz gesagt gibg es um eine Untersuchung ob eine größere Auswahl an Marmeladen den Kaufimpuls steigern würde – überraschenderweise war dies nicht der Fall; Der Kaufimpuls nahm ab, wenn mehr als sechs Sorten Marmelade angeboten wurden. Mittlerweile gab es eine ganze Reihe von Folgestudien und dieser Effekt wurde NICHT bestätigt. Offenkundig war diese Studie ein zufälliger Ausreißer. Wie so oft, wurde über das Überraschende berichtet, die weniger überraschenden Korrekturen aber nicht. Mit anderen Worten: Mehr Auswahlmöglichkeiten erhöhen die Chance, dass etwas gekauft wird. Das ist gut für Brettspiele, wo die Auswahl ja doch konsequent zunimmt.
Ein Grund für diese Art der Information (Original wird groß verbreitet, die Korrektur kaum) ist, dass wir dazu neigen, uns für überraschende Dinge zu interessieren. Wie Hartford schreibt beeinflusst dies auch unseren Nachrichtenkonsum. Da überraschende und plötzliche Nachrichten eher negativ als positiv sind, nehmen wir die Weltlage auch eher negativ war. Um das zu verdeutlichen macht er ein kleines Gedankenexperiment: Was wäre wenn eine Zeitung nur einmal pro Jahr herauskäme? Oder einmal pro Jahrzehnt? Einmal pro Jahrhundert? Plötzlich gäbe es überwiegend positive Nachrichten, z.B. Dass die globale Armut halbiert wurde oder die Kindersterblichkeit um 80-90% (je nachdem ab wann man misst) heruntergegangen ist.
Wie sieht es in dieser Hinsicht mit Brettspielmedien aus? Ich glaube, ich lehne mich nicht allzu sehr aus dem Fenster, wenn ich schreibe, dass Brettspielmedien fast ausschließlich über das „Jetzt“ berichten: Aktuelle Spiele, aktuelle Ankündigungen beherrschen die Blogosphäre. Wenn auch einmal über älteres berichtet wird, dann in einer expliziten Oldieecke (falls es die tatsächlich irgendwo gibt) oder -häufiger – in einer Top-Ten-Liste, wobei auch da Titel aus den letzten 2 Jahren dominieren dürften. Längerfristige Meldungen sind weitestgehend Fehlanzeige. Das liegt vor allem natürlich an der Ausrichtung der meisten Medien als mehr oder minder reine Rezensionsseiten. Natürlich wollen Verlage, dass aktuelle Spiele rezensiert werden. Wer auf Rezensionsexemplare angewiesen ist, hat kaum eine Chance hier etwas anderes zu machen. Aber auch wer gerne einmal Rezensionen über älteres einstreut bemerkt, dass die Klickzahlen vor allem von der Aktualität einer Rezension abhängen; Wer das Glück hat, als erstes eine Rezension eines nachgefragten Titels anzubieten, wird mit einer hohen Anzahl von „Interaktionen“ belohnt.
Das ist m.E. aber ein selbst verstärkendes System: Weil Brettspielmedien sich selbst hauptsächlich als Lieferanten für Produktrezensionen sehen, werden sie auch derart wahrgenommen. Und als solche ist eben Aktualität ein wichtiger Maßstab, gerade um neue Leser:innen zu ködern (Die Qualität hält dann hoffentlich die Personen fest). Dies ist aber kein unmöglich zu beseitigendes Hindernis. Sicherlich würde eine Seite, die sehr viel langfristiger denkt, sich sehr viel mehr auf langfristige Trends konzentriert erst einmal länger brauchen, bis sie „entdeckt“ worden würde, weil Google-Suchen nach den aktuellen Knallern eben keine Treffer abwerfen. Sie hat aber mit entsprechender Qualität auch ein großes Alleinerstellungsmerkmal und damit das Potential Leser:innen langfristig zu binden. Vielleicht sehe ich das zu sehr mit meiner Brille, aber Spielegeschichte z.B. interessiert mich ungemein – insbesondere auch und gerade moderne Spielegeschichte und ich glaube dass viele Leute, die gerade beginnen sich für das Hobby zu interessieren, da ebenfalls interessiert sein könnten.
Ja, dieser Artikel ist vielleicht wirklich nicht mehr als ein Ausdruck nach mehr Vielfalt in der Brettspielmedienwelt. Ich hoffe, dass die steigende Quantität nicht nur in Qualität, sondern auch in inhaltlicher Vielfalt niederschlägt. Es sei mir angesichts der Temperaturen hoffentliuch erlaubt.
ciao
peer
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