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Tag der Brettspielkritik – Schnappschuss im Nachgang

Wie uns der Neoliberalismus lehrt, ist Effizienz die höchste Tugend des Menschen. Darum schreibe ich dieses erste Resumé vom Tag der Brettspielkritik 2022 auf der Rückfahrt nach Berlin. Die Eindrücke sind noch frisch. Die Euphorie unter so vielen Gleichgesinnten gewesen zu sein, so viele inspirierende und enthusiastische Gespräche geführt zu haben und im gemeinsamen Spiel die ersten Annäherung an Freundschaften begonnen zu haben, klingen noch nach. Meine Laune ist gut und die Motivation über das Warum zu sprechen, ist hoch.

Für mich war die Veranstaltung vor allem von spannenden Fragen geprägt. Was ist Spielreiz? war die Eingangsfrage des Diskussionsforums, welches ich mit Udo Bartsch leiten durfte. Das Ergebnis war – wie auch schon angekündigt – von mehr Fragen als Antworten geprägt. Ich hoffte, ein paar Impulse zu setzen. Aber selbst wenn ich nicht sagen kann, ob mir das gelungen ist, sah ich in der Diskussionsbereitschaft der Teilnehmenden ein reges Interesse sich zum Thema auszutauschen: von einer Begriffsfüllung des Wortes Spielreiz bis zu seiner Relevanz für die Spielkritik. Mehr noch als den Erkenntnisgewinn schienen einige einen höheren Anspruch an sich selbst und das eigene Schaffen aus diesem Wochenende zu nehmen.

So manchen wurde klar, dass wir eigentlich mehr mit Kritiken tun könnten, warum also sollten wir nicht mehr in der Kritik versuchen? Der nüchterne Kommentar, dass viele dieser hehren Ziele weit weg von der Realität der Brettspielkritiker*innen sei, ist vielleicht nicht falsch; aber ich finde, dass das noch kein Grund ist von diesen Ambitionen abzulassen. Wenn man sich nur das Mögliche als Ziele setzt, wird man zwar seltener enttäuscht, aber wird auch nicht über sich hinauswachsen. Ich stelle auch an mir fest, dass die eigene Komfortzone manchmal die Hürde ist, die am Schwersten zu überwinden ist.

Der Versuch aus eben dieser auszubrechen, führte so manche zum Ehrfurcht gebietenden Begriff „Kulturkritik“. Eine Idee, die ähnlich bedrohlich über uns hing, wie die angekündigten Höchsttemperaturen dieses Wochenende. Am Ende war die Hitze nicht ganz zu erschlagend wie befürchtet. Ich denke, dass gilt auch für den Anspruch der Kulturkritik in unserer Szene.

Denn zuerst zwingt uns dieser Begriff eine wichtige, wenn auch nicht immer angenehme Frage an uns selbst zu stellen: welches Ziel verfolgen wir mit unseren Kritiken überhaupt? Vergrößern wir die Reichweite der Verlage, um ihre Juwelen einem breiteren Publikum zu vermitteln? Sind wir Sommeliers, die dank unseres feine Gaumens und umfassenden Kenntnis Neuankömmlinge die bunte, weite Welt des Brettspiels eröffnen? Oder sind wir die Stimmen in der Szene, die den Umgang mit dem Spiel in Worte fassen und damit auch eine Identität des Mediums erkennbar machen? (Der Zyniker mag uns einfach als Schnorrer verstehen, die gratis Spiele ergattern, um sie mit ein paar oberflächlichen Bemerkungen vor eine Kamera zu halten.)

Erst wenn wir diese Frage für uns ehrlich und ohne Eitelkeiten beantwortet haben, sind wir in der Lage zu benennen was Kulturkritik für uns bedeutet. Vielleicht ist es ein Urteil darüber, ob Spielredaktionen ausreichend Themenrecherche und kulturelle Beratung in Anspruch genommen haben, um den aktuellen Wissensstand zum Spielthema abzubilden. Allerdings stellt sich mir da die Frage, ob hier eine akademische Verhandlung des Mediums noch nah an der gelebten Spielpraxis ist. Wenn wir Spiele als Form der Sekundärliteratur verstehen, müssten wir dann nicht auch die Bestsellerliste der Unterhaltungsliteratur ähnlich einordnen? Schließlich geht es in beiden Fällen um ein Abtauchen in eine Fiktion, die zwar Reales andeutet aber keinen Anspruch auf Authentizität erhebt. Wer in den verhandelten Bilder und Anspielungen eines Spiels ein Kommunizieren von realen Fakten erkennt, liefert lediglich den Beweis für Baudrilliards Warnung über unser Unvermögen die Unterschiede zwischen Realität und Fiktion zu benennen. Aber vielleicht sind diese Vorwürfe an Spiele und ihre „problematischen“ Themen auch nur ein Symptom für unsere Ohnmacht gegenüber den Themen, die wir medial wahrnehmen und von denen wir nicht mehr sagen können wo die Wahrheit endet und die Lüge beginnt. Sei es die Klimakatastrophe, seien es Kriege, die radikalen gesellschaftlichen Veränderungen, die sich anbahnen oder die Meinungsdiktatur der „politisch korrekten“ „wokeness“. Was davon ist wahr und was davon gezielte Täuschung? Vielleicht sucht man gerade wegen dieser Verunsicherrung in der Fiktion eines Spiels einen Wahrheitsanspruch, für den es nicht geschaffen ist.

War das jetzt schon Kulturkritik? Wenn wir aus der kleinen Brettspielblase eine große Reflektion über unsere Gesellschaft herausheben? Oder ist das nur seiten-füllender Feuilleton?

Vielleicht ist Kulturkritik wortwörtlich das was der Begriff sagt: eine Kritik der Kultur. Das bedeutetet eine kritische Auseinandersetzung mit der kulturellen Brille durch die wir das Spiel sehen und verstehen. Das fängt bereits bei der Frage an, ob wir das Spiel nun als Kulturgut für die Allgemeinheit oder als Gebrauchsgegenstand für die wohl Betuchten einordnen. Ist es dann also Kulturkritik, wenn wir uns anschauen was uns ein Spiel anbietet und ermöglicht, d.h. die Interaktion und der zwischenmenschliche Austausch welche wir wegen des Spiels erfahren können? Oder sollte eine Kulturkritik sich damit befassen wie und warum der Gebrauchsgegenstand Spiel so ist wie er ist? Warum sind die Aufgaben, die das Spiel stellt und die Bilder, die das Spiel nutzt, so wie sie sind?

In der abschließenden Diskussion heute Vormittag wurde deutlich, dass ein Themenbereich wie Geschlechteridentitäten und ihre Vorkommen in den Spielen selbst – und damit auch in unserer aktiv eingesetzten Vorstellungskraft beim Spielen – in den Spielredaktionen angekommen ist. Das heißt nicht, dass es reflektiert verarbeitet und verinnerlicht wurde. Aber es ist ein Thema, welches von Redaktionen und Kritiker*innen nicht mehr so verwundert beäugt wird wie ein dreiköpfiger Affe. (VORSICHT, ER STEHT GENAU HINTER DIR!).

Eine heutige Spielveröffentlichung, welche in ihren Illustrationen nur noch weiße Männer zeigt, würde als schweres Faux-Pas der Redaktion statt als stilistische Eigenheit verstanden werden. Ein solches Spiel würde gerade in unserer Kritiker*innen-Blase viel negative Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Die kulturelle Brille mit der die Welt nur noch aus weißen, europäischen Männern besteht, welche unerschrocken Dinge tun, für die man weiße, europäische Männer mal gefeiert hat.. rutscht immer mehr Spielenden langsam von der Nase.

Aber könnte es dann nicht auch sein, dass wir viele andere Brillen noch tragen? Wie steht es etwa um Konzepte wie Wettkampf, Individualismus und Hierarchien? Ist es einfach nur eine stilistische Eigenheit eines Spiels? Setzen wir uns vielleicht gar keine Brille auf, wenn die Regelerklärung mit den Worten „Gewonnen hat wer am Ende die meisten Siegpunkte hat.“ beginnt? Steckt da nichts dahinter was man hinterfragen und kritisch reflektieren könnte? Vielleicht ist es das, vielleicht auch nicht. Vielleicht müssen Fische auch gar kein Verständnis dafür haben was Wasser ist.

Etwas was jedoch an diesem Wochenende uns allen ein paar Mal aufgefallen ist, waren die aus anderen Bereichen entlehnten Begriffe, um Phänomene innerhalb der Brettspielkritik zu umschreiben. Insbesondere wie oft der Einsatz dieser Begriffe kurz darauf eine Nachjustierung benötigte, um falsche Assoziationen auszuklammern.

Das begann mit der Bezeichnung der Kritiker als Dilettanten. Aber eben nicht in der umgangssprachlichen Konnotation der „inkomptenten Stümper“, sondern eben der „von Leidenschaft und Vergnügen getriebenene ohne schulmäßige Ausbildung“. Ähnliches geschah später beim Begriff „Narzissmus“, der auch hier keine pathologische Egozentrik loben sollte, sondern den Kritiker*innen den Mut zusprechen wollte, das eigene Schaffen mit einem gesunden Selbstbewusstsein und Eigenwahrnehmung zu begreifen. Später dann war davon die Rede, dass Kritiker*innen „keine Rücksicht“ nehmen sollten. Hier musste ich mir dann auf die Zunge beißen, weil eben nicht ein Mangel an Empathie zum wichtigen Charakterzug einer guten Kritik verklärt werden sollte. Vielmehr ging es darum daran zu erinnern, wem wir als Kritiker*innen verpflichtet sind. Nämlich der Wahrheit unseres Urteils und nicht dem emotionalen Wohlbefinden der Autoren und Verlagsmenschen, welche die Kritiken durchaus auch lesen. Ich fand es aber interessant, dass diese fehlende Rücksichtnahme nicht für die Bedürfnisse des Publikums gilt. Vielleicht weil sehr vielen Kritiker*innen die Verpflichtung gegenüber dem Publikum wichtiger ist als gegenüber ihrem eigenen Sendungsdrang.

Daher konnte ich es mir auch nicht verkneifen anzumerken, dass „Metathemen“ eine irreführende Bezeichnung für viele der Artikel und Podcasts sind, die z.T. hier bei Spielbar.com (aber auch andernorts) veröffentlicht werden.

Im Sinne einer Spielkritik, die vor einer Einordnung als Kulturkritik nicht zurückschreckt, sind das einfach nur Themen, die Spiele nicht nur als funktionsfähige Gebrauchsgegenstände verstehen. Es sind Kritiken, die Spiele als Teil unserer zeitgenössischen (Spiel-)Kultur begreifen und sich darüber im Klaren sind, dass sich unsere Gesellschaft unweigerlich darin spiegelt. Vielleicht ist das dann ja die Aufgabe der Kulturkritik. Aus dem wilden und kaum überschaubaren Durcheinander aus Freizeit und Konsum einen kleinen Spiegel bergen, damit wir unseren Blick auf das richten können was wir eigentlich tun. Gelegentlich können wir dann den Spiegel auch so weit drehen, dass wir uns selbst darin erkennen und beurteilen können.

Darum schließe ich dann auch mit Jürgen Karlas kryptischen aber auch sehr wegweisenden Kommentaren am Frühstückstisch von heute morgen: „Burgen von Burgund“.

 

 

P.S. – Schön war’s. Gerne wieder.

Georgios Panagiotidis
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