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Von Arcs und Hooks – Ein paar Gedanken zum Spieldesign

Auch wenn ein Spiel nicht begeistert, kann man doch etwas daraus ziehen. Aus den Diskussionen meiner Spielgruppe über Excavation Earth heraus, habe ich lust bekommen, wieder etwas über Spieldesign zu schreiben.

Ich hatte bereits in der Vergangenheit darüber geschrieben, dass Spiele interessante Entscheidungen bieten sollten (seien es taktische Entscheidungen oder „wie beschreibe ich Che Guevara mit einem Wort?“) und Kevin Wilson 90%-Regel erwähnt. Will eine Person nun ein Spiel erfinden und hat dazu Ideen, wie man die Entscheidungen spannender machen kann und kann auch die Teile benennen, die Spaß machen, sollte diese Person ihren Prototypen auf zwei weitere Dinge untersuchen, die ich einmal mit „Hooks&Arcs“ beschrieben möchte:

Ich denke, die meisten Leute würden „Arc“ mit „Spannungsbogen“ gleichsetzen, doch ich würde eher von der „Dramaturgie“ eines Spieles sprechen und zwar deswegen, weil viele Spiele ganz viele kleinere Spannungsbögen aufbauen, auf denen jeweils eine kurze Auflösung folgt: Geht der Plan auf? (Spannung), Ja/Nein (Auflösung). Ein Spiel, bei dem jeder die ganze Spieldauer unter Spannung steht, ist stressig. Unter Dramaturgie verstehe ich nun, wie allgemein die Progression innerhalb des Spieles stattfindet – das hat viel Spannung zu tun, aber eben auch nicht nur. Es ist wichtig, dass die Geschehnisse in einem Spiel in einer logischen, intuitiven Ordnung stehen. Das Spiel sollte zudem einen ordentlichen Abschluss, einen Höhepunkt, haben, auf denen die Ereignisse zulaufen. Spiele, die aus aufeinanderfolgenden Runden bestehen, die alle gleich verlaufen, egal ob es die erste oder die letzte Runde sind, fühlen sich oft flach oder gleichförmig an. Die erfolgreichen Spiele mit einer derartigen Struktur, haben nur wenige, oft kurze Runden (meistens 3 oder pro Spieler:in  eine), die zudem oft durch steigende Punkteausbeute auf das Spielende zulaufen oder es zumindest erlauben durch riskanteres Spiel aufzuholen und so eine Dramaturgie erschaffen.

Aber auch wenn sich die Rundenstruktur verändert, so ist es doch wichtig, dass eine Progression und keine Regression stattfindet (das ist, was gemeinhin unter einem Spannungsbogen verstanden wird). Doch was ist damit gemeint? Die Spielenden müssen das Gefühl haben, dass eine Steigerung des Geschehenden stattfindet -meistens heißt dies schlicht: „Es geht um mehr und mehr, je länger das Spiel dauert“: Bei Aufbau/Wirtschaftsspielen können die Spielenden deutlich mehr erreichen erschaffen, müssen dies aber auch tun. Die Engine liefert viel besser ab. Die Spielenden haben hohe Sonderfertigkeiten. Aber auch die Antigonisten sind mitgewachsen: Die Monster sind tödlicher, die Zeit läuft davon, Die Aufträge sind viel komplexer, es muss mehr transportiert werden, es geht um mehr Siegpunkte. Man kennt das aus Filmen oder Büchern: Die größte Herausforderung ist der Endkampf. Würde ein Superheldendrama mit dem Endkampf beginnen und dann davon handeln, wie  die letzten Schergen ohne Wiederstände von Superman festgenommen werden würden, so würde der Film schnell hinten raus langweilig werden (Es gibt ein paar Serien, die am Ende eine „Wohlfühlfolge“ haben, die quasi nach dem Endkampf spielt. Das funktioniert aber nur, wenn man vorher so eine starke Verbindung zu den Charakteren aufgebaut hat, dass man sich wirklich dafür interessiert was aus denen wird). Leider sind doch einige Spiele verkehrt aufgebaut: Das Gros der Punkte wird in den ersten Runden erspielt, je länger die Partie geht, um so verschwindener die Punkteausbeute. Das wird oft gemacht, um schnelles Spielen auf Punkte -statt auf etwa das Ausbauen einer Engine – zu belohnen. Diese Idee ist nicht per se falsch, aber es muss eben sicher gestellt sein, dass die Dramaturgie nicht unter dieser Belohnung leidet, es muss immer noch einen Höhepunkt geben, auf den das Spiel zuläuft. Die frühen Boni sind dann Belohnungen, aber eben nicht die Entscheidung.

Das umgekehrte Problem kann ebenso auftreten: Das Spiel endet bevor es seinen möglichen Höhepunkt erreicht hat. Das ist im allgemeinen nicht so schlimm, als wenn man das Gefühl bekommt, einen leeren Punktetopf auskratzen zu müssen, kann aber unbefriedigend wirken. Wenn alles auf ein mögliches Ziel hinaussläuft, das Spiel aber endet, bevor dieses Ziel erreicht wurde, ist dies ein bisschen so, wie wenn eine geliebte Serie nach einem Cliffhanger abgesetzt wird. Manchmal ist es auch schlicht unverständlich, warum das Spiel an diesem Punkt endet und nicht etwa später und das wirkt willkürlich – ein guter Eindruck kann so negativ eingefärbt werden, auch wenn das Spiel bis zu dem Punkt Spaß gemacht hat; Man hat einfach ein unbefriedigenden Abschluss gehabt. Das heißt nicht, dass ein Spiel nicht überraschend enden kann, nur dass auch ein überraschendes Ende eben als Möglichkeit jederzeit im Raum stehen muss – gerade das erhöht die Spannung. Als Beispiel einmal  die kooperativen Spiele, die in vielen fällen plötzlich in einer Niederlage enden können. Wenn diese Niederlage immer hinter einen steht, ist das Spiel spannend und man ärgert sich, wenn es einen erwischt. Kommt die Niederlage trotz (vermeidlich) guten Spieles aus dem Nichts, ist das oft in erster Linie frustrierend und wird als „unfair“ wahrgenommen, weil das Spiel nicht auf diesen Moment hinlief. Wäre Spiderman im letzten Film nach 20 Minuten gestorben und würde der Rest des Filmes uvon Dr. Strange  gehen, wäre das ein überaschender Schockmoment gewesen. Aber darüberhinaus wäre der Film vor allem als Mogelpackung wahrgenommen worden (Spoiler: Spiderman stirbt nicht in den ersten 20 Minuten).

Ich habe jetzt viel darüber geschrieben, wie ein Spiel ablaufen sollte. Was ein Spiel aber noch haben sollte, ist ein „Hook“, Kurz gesagt, eine Begründung, warum ich das Spiel spielen sollte. „Es macht Spaß“ reicht erst einmal nicht, vor allem auch deswegen, weil das ein Versprechen ist, dass jedes Spiel macht (wenn auch nicht hält). Ein Hook, also ein Aufhänger, ist etwas das klar kommuniziert, was an diesem Spiel reizen soll. Wohlgemerkt: Ob der Hook funktioniert, ist individuell – nicht jeder Fisch beist an jeden Köder, nicht alle Spielenden sind von denselben Dingen fasziniert – aber auch wenn man persönlich nicht angesprochen wird, sollte klar sein, was der Hook in einem gegebenen Spiel ist: Ist es das Thema, dass vielleicht besonders interessant umgesetzt wurde? Ist es ein besonderer mechanischer Kniff, den es so noch nicht gab? Lebt das Spiel von einem besonderen Witz oder einer überaschenden Situationskomik? Denkt man ein bisschen über Spiele nach, die einem selbst wirklich gut gefallen, so fällt schnell auf: Der Hook ist das, was ich nennen würde, wenn ich anderen erzähle, warum dieses Spiel so toll ist. Von möglicher Rhetorikschwäche abgesehen, sollte sich ein Hook einigermaßen klar zusammenfassen lassen. Je komplizierter ein Zusammenspiel von Mechanismen ist, desto weniger eignet es sich als Hook. Zwar ist nicht ausgeschlossen, dass gerade dieses kompliziertes Zusammenspiel als intellektuell reizvoll angesehen wird, doch bleibt das in der Regel auf der Ebene akademischen Interesses, nicht der emotionaler Bindungen. Ein bisschen ist der Aufhänger etwas wie der Kern des Spieles, wobei das nicht sein muss. Der Kern von Cascadia ist in meinen Augen das Nehmen der Kombination aus Plättchen und Stein, die unterschiedlich gebraucht werden. Der Hook ist aber das entspannende Legen einer großen Landschaft.

Einige Spiele sehen ihren Hook augenscheinlich in Material, Graphik oder Inhaltsmenge. Das ist so ein bisschen wie ein Film, der ausschließlich davon lebt, dass zwei sympathische Stars die Hauptrollen spielen oder dass er in atemberaubender 3D-Graphik präsentiert wird: Diese Dinge bieten einen Kaufanreiz, aber für einen echten Aufhänger ist das in der Regel zu dünn. Gibt es keinen spielerischen Hook, wird man bald wieder vom Haken springen. Damit sei nicht gesagt, dass die nicht verknüpfbar wären: Das interagieren mit grandios gestaltetem Spielmaterial, ist eben dann der Hook – etwas was man z.B. bei Parks beobachten kann (ob das persönlich reizt ist, wie erwähnt, eine höchst subjektive Sache, dass das Spiel aber auf diesen Hook abzielt ist unübersehbar).

Bei der Entwicklung eines Spieles, sollte der Hook idealerweise von Anfang an das weitere Design leiten. Allerdings gibt es in der Praxis da das potentielle Probleme, dass sich der Hook als weniger greifend herausstellen könnte, als in der Ideenphase vermutet. Das ist dann der Moment, in der der Frosch ins Wasser springt: Gelingt es den Hook zu ersetzen? Oder wird dann „Beschäftigen mit der Spielentwicklung“ für die Beteiligten zum Hook? Das geschieht schnell (glaubt mir) ist aber aus naheliegenden Gründen fatal.

ciao

peer

Peer Sylvester
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