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Die Lieblingsconquistadoren der Weinbauern

Man plant ja so ein bisschen vorraus … und dann poppt ein Ereignis auf, das man nicht ignorieren kann. Wir sind ja nun keine Spielenews-Seite aber aktuelle Diskussionen möchte ich dann doch ab und an mal behandeln, insbesondere wenn ich die Beschäftigung mit der Thematik für wichtig erachte.

Stonemaier Games hat eine neue Erweiterung für deren erfolgreiches Spiel Viticulture angekündigt: Viticulture World, bei der es um den Weinanbau in der ganzen Welt geht. Es gab einige Vorabexemplare für ausgesuchte Rezensenten. ThinkerThemer haben nun ein sehr emotionales Video veröffentlicht, warum sie diese Erweiterung vorerst nicht rezensieren werden. Die Zusammenfassung: Eine der beiden Rezensentinnen hat sich besonders auf das Spiel gefreut, weil sie selbst aus Venezuela stammt und gehofft hat, ihre Heimat repräsentiert zu sehen.  Doch wie das geschieht, ist doch sehr fragwürdig: Es gibt eine Warnung im Spiel, dass man die Handlungen der historischen Persönlichkeiten nicht gutheißt, aber es ist ja nun einmal Geschichte, was soll man machen?. Die „historischen Persönlichkeiten“ im Spiel werden im Video nicht genannt, aber die Rezensentin sprach von den beiden schlimmsten Unterdrückern der spanischen Kolonisierung – und mir ist fast der Unterkiefer runtergefallen: „Die haben nicht wirklich Pizaro und Cortez in einem Spiel über Weinanbau verwendet???“. Doch genau, das haben sie. Ich erzähle das übrigens nicht, um zu zeigen, wie unglaublich belesen ich bin, sondern um deutlich zu machen: Man hätte wortwörtlich keine schlechtere Wahl treffen können, was die Südamerikanischen Repräsentanten  betrifft. Nun hat Jamey Stegmaier sofort reagiert und wird die entsprechenden Karten aus dem Spiel nehmen. Das Video hatte also durchaus einen positiven Effekt. Ich möchte diesen Fall unabhängig davon aber nutzen, um auf die Frage einzugehen, warum das überhaupt schlimm ist,  zu untersuchen wieso es überhaupt soweit kam und ein paar Möglichkeiten für die Zukunft aufzeigen. Mir ist bewusst, dass ich vergleichbares hier schon häufiger diskutiert habe, aber ich versuche ein paar neue Aspekte anzuschneiden. Davon ab ist die ganze Geschichte auch ein Zeichen dafür, dass die Problematik eben doch noch nicht so vielen Leuten bewusst ist.

Wie gesagt habe ich das Thema „Kolonialismus im Brettspiel“ schon häufig besprochen und will jetzt nicht alles wiederholen. Für den konkreten Fall scheint es mir aber relevant ein paar Sachen klarzustellen: Als erstes mögen die Geschehnisse mittlerweile 500 Jahre her sein, aber die Schatten sind lang. Da die eingeschleppten (sic) Krankheiten Gelbfieber und Malaria massive Opfer unter den Kolonialherren forderten, wurde eine enorme Anzahl von Sklaven aus Afrika verschleppt. So viele, dass das Verhältnis von Sklaven zu Spaniern irgendwas in der Größenordnung von 2000:1 war. Sklaverei war nie wieder so massiv wie in der Zeit. Natürlich „kompensierten“ die Sklaventreiber ihre niedrige Anzahl mit hoher Brutalität. Dennoch konnten zahlreiche Sklaven entkommen, vor allem in die Berge oder Regenwälder. Dort versteckten sie sich mit Indios und gründeten Siedlungen, die z.T. bis heute existieren. Und bis heute wird in Teilen Südamerikas über den Status der heute noch bewohnten Siedlungen, die aus den damaligen Sklaven-Indio-Verstecken hervorgingen, gestritten. Insbesondere wurde immer wieder Land verkauft, auf dessen Grund diese Siedlungen standen und die Käufer wollten diese Siedlungen abreißen lassen, weil diese ja der Boden „nicht gehöre“. Um es noch einmal zu betonen: Diese Konflikte gibt es immer noch! Brasiliens aktueller Präsident z.B. hat einige bereits getroffene Vereinbarungen wieder aufgekündigt (und auch in Venezuela sind diese Siedlungen immer noch ein Thema in der Tagespolitik). Diese Konflikte lassen sich zu einem großen Teil eben auch direkt auf Pizaro und Cortez zurückführen – so wie sich der Holocaust zu einem großen Teil auf Hitler zurückführen lässt, auch wenn er natürlich nicht der einzige Organisator war.

Die zweite Klarstellung ist, dass Cortez und Pizaro -abgesehen von dem Disclaimer – im Spiel eine rein positive Rolle haben. Sie bringen bei Aktivierung einen Vorteil – man will das tun! „Aktiviere mal den Cortez, wir brauchen seine Effizienz“ ist eine normale, spielerische Überlegung und es gibt im Spiel keinerlei Kontext, die anzeigt, was das eigentlich bedeutet. Niemand lernt etwas über die beiden, niemand kann etwas reflektieren und es gibt somit auch keinerlei Grund, warum dies Karten diese Namen tragen.

Drittens -und hier beziehe ich mich ausdrücklich auf Kommentatoren, die meinten, die beiden sind nun einmal historische Realität und ein Spiel wie Through the Ages hätte ja auch Cäsar oder Dschinghis Khan – ist Viticulture ein Spiel über Weinanbau. Das einzige was Cortez und Pizaro in dieser Hinsicht geleistet haben, ist Trauben nach Südamerika zu bringen und dort anzupflanzen, um Wein für die Messe (!) zu haben. Das ist aber nicht wirklich Weinabau. Ich weiß nun wenig über südamerikanische (oder überhaupt irgendwelche) Weine, aber mich würde es wundern, wenn es in den letzten 500 Jahren nicht andere Menschen gegeben hätte, die tatsächlich etwas für den südamerikanischen Weinanbau im modernen Sinne geleistet haben. Ich kenne Viticulture World ja nicht aus eigener Anschauung, aber ich wage einmal die Vermutung, dass die Australischen Weinpersönlichkeiten nicht ebenfalls diejenigen waren, die lediglich wesrtmals Wein dorthin brachten. Auch hier zeigt sich, deutlich subtiler, eine fragwürdige Perspektive: Das einzige was Südamerika in 500 Jahren geleistet hat, ist Sklaven ein paar Trauben einbuddeln zu lassen. Das aber war dann der Verdienst der Sklaventreiber, die den Sklaven gesagt haben, wo sie zu buddeln haben…

Wie hätte sich das Fiasko vermeiden lassen?

Das Wort „Fiasko“ ist mit Bedacht gewählt: Es besteht keinen Zweifel daran, dass die Geschichte Stonemaier Games viel Geld kosten wird; sowohl das Drucken der Karten, als auch der Effekt, die diese Geschichte auf die Wahrnehmung von Stonemaier Games haben wird. Natürlich wird es positiv aufgenommen, dass Jamey Stegmaier so schnell und konpromisslos reagiert hat, aber gerade in Kreisen von Minderheiten gilt er schon als jemand, der in der Vergangenheit schon häufiger durch ähnliche Fettnäpchen aufgefallen ist. Es ist nicht so, dass man ihm Böswilligkeit unterstellt, sondern eher, dass er sich seines weißen Privilegs überhaupt nicht bewusst ist und kultursensitive Dinge schlicht nicht wahrnimmt.

Um so wichtiger ist es, dass man jemanden hat, der einem genau auf diese Dinge hinweist. Es ist nun einmal so, dass man Probleme, die einen nicht selbst betreffen, schwer einschätzen kann und daher neigt diese runterzuspielen oder für weniger wichtig zu erachten. Anders ausgedrückt: Wieviel Alltagsrassismus es in Deutschland gibt, weiß ich erst, seit ich mit einer Migrantin verheiratet bin. Genau aus diesem Grund gibt es ja kulturelle Berater. Nur muss man eben auch auf diese hören – und die müssen sich auch darauf verlassen können, dass ihre Vorschläge auch übernommen werden und dass Kritik willkommen ist. Stonemaier Games hatten nun eine kulturelle Beraterin, die daraufhinwies, Besatzer/Kolonisatoren/Sklavenhalter nicht in einem positiven Kontext zu setzen, dann und nur dann, könne man darauf verzichten, diese Karten aus dem Spiel zu nehmen (was vermutlich die beste Lösung gewesen wäre, was aber eben Kosten und potentiell Entwicklungszeit verursacht hätte). Soweit sich das nachträglich bestimmen lässt, wurde das „nicht in positives Licht setzen“ so interpretiert, dass ein Disclaimer ausgereichen würde. Leider ist ein Disclaimer nun einmal völlig irrelevant für das eigentliche Spiel, ja,  für die Art und Weise wie das Medium „Spiel“  kommuniziert. Dadurch wirkt der Disclaimer wie ein Lippenbekenntis, ein Böhze-Onkelz-sind-nicht-mehr-rechts (außer für unsere Fans)-Statement. Oder um mal einen Hitler-Vergleich zu bemühen: Wenn ich in meinem Kunstauktionsspiel Hitler bringe, weil der ja auch gemalt hat, mit einem Effekt wie „+3 auf die Müncher Szene“, dann klärt ein Text wie „Ja, der hat viele böse Sachen gemacht, die wir keinesfalls gutheißen und uns ausdrücklich davon distanzieren“ nicht die Frage, was der zur Hölle in dem Spiel zu suchen hat.

Die Lösung lag so nahe: Auf die Beraterin hören, die Karten zu ersetzen, wie es jetzt nachträglich geschehen ist. Kulturelle Berater eben nicht als Leute begreifen, die einem ein „Approved“-Siegel auf die Schachtel bappen, sondern als Spezialisten, auf die man besser hören sollte. Und wenn es nur ist, um Skandale und negative Presse zu vermeiden. Möglichst sollten kulturelle Berater schon vorzeitig im Entwicklungsprozess eingeschaltet werden, um Probleme gänzlich zu vermeiden, statt gemacht Fehler irgendwie noch zu fixen, möglichst ohne das Design als solches zu beeinflussen.

Überlegungen für die Zukunft

Das Problem, indes, liegt tiefer

Idealerweise müssten kulturelle Berater von Anfang an in den Entwicklungsprozess eingebunden werden. Das funktioniert in der Praxis aufgrund der Hobbydesignerstrukturen in der Spieleszene aber oft nicht – min. 90% meiner Ideen werden zum Beispiel niemals eine Veröffentlichung erleben. Da ist es weder möglich noch sinnvoll, jede Idee gleich von Anfang mit einem beratenden Person abzusprechen. Natürlich kann ich viele Fallstricke von vornerein auch durch eine gute Recherche vermeiden – aber das wird meine eigenen „blind spots“ nicht verhindern.

Daher ein paar Ideen, wie man das Problem von vornerein umgehen könnte:

Als erstes einmal: Ein Thema, ein Setting ist niemals nur das Benennen von Spielmaterialien und Ermöglichen von Graphiken. Diese Aussage ist unabhängig von der „thematischen Tiefe“ des Spieles wahr. Ich glaube nicht, dass das allen bewusst ist! Gerade Eurogames haben ja den Ruf, dass es dort nur um die Mechanismen geht, das Thema prinzipiell egal ist. Nun ist auch Viticulture ein Eurogame. So ist Bruxelles 1897, wo es die Macher für eine gute Idee hielten Leopold II eine Promokarte zu spendieren (der belgische König stach in Sachen Brutalität im Kongo selbst aus den anderen Europäischen Kolonisatoren hervor). Karten und Symbole haben eine Wirkung. Man könnte Burgen von Burgund auch mit Panzern auf den Markern spielen und das Spielgefühl wird ein anderes sein, ohne Mechanismen geändert zu haben. Also: Thema und Mechanismen als Einheit begreifen, auch bei mechanisch orientierten, als „abstrakt“ wahrgenommenen Spielen. Und beides und deren Zusammenwirkung hinterfragen.

Zweitens: „Write what you know“ – ich verstehe den Impuls, sein Spiel in anderen Ländern und Kulturen einzusetzen. Aber warum? Ich für mich habe beschlossen mich erst einmal auf Europäische Themen (ergänzt um die Philippinen, die Heimat meiner Frau) zu kontrollieren, weil ich mich hier sicherer fühle, was das Thema betrifft. Es ist doch so: Man blickt auf die Spielewelt und denkt: „Das spielt ja alles in Europa!“ aber ist das wirklich so? Wie viele Spiele beschäftigen sich tatsächlich mit der hiesigen Kultur, dem hiesigen Essen, der hiesigen Geschichte? Wie viel spielt merkbar in der DDR? In Berlin? In Hamburg? In der sorbischen Kultur? In der rheinischen? in der badischen? Ich glaube viele Themen spielen deswegen in fremden Ländern und Kulturen, weil die einem als erstes einfallen. Interessanterweise beschäftigen sich Spiele aus Iran in erster Linie mit Iranischer Kultur, und auch die meisten Asiatischen Spiele befassen sich mit der jeweils eigenen Kultur. Hier im Westen sind wir da vereinnahmender. Ist das so, weil wir die eigene Kultur nicht wahrnehmen oder nicht schätzen oder weil nur wir denken, dass wir dem Alltag nur entfliehen können, wenn wir ins Aztekenreich oder Japan fliehen? Ich glaube jedenfalls, dass viele Spiele,  die z.Z. irgendwo in Asien oder Südamerika spielen, viel besser nach Europa passen würden. Die Schablonen, die wir nutzen, um ein Thema zu verstehen, würden viel seltener auf Vorurteilen basieren. Übrigens meine ich mit „Europa“ ganz ausdrücklich nicht „Das generische Mittelalter“. Europa ist dann doch noch ein bisschen mehr als Schlösser und Kirchen und Turmbau in Italien.

Und wer nun partout die heimischen Gefilde verlassen möchte: Es gibt auch die Zukunft, Fantasy, die Tierwelt etc. Nicht umsonst sind gerade „Die Natur“ und „Nahrungsmittel“ thematisch häufig vertreten. Das sind schöne Themen, für das Bedrucken von Karten, ganz ohne Kulturellen Imperialismus. Wohlgemerkt: Ich „verbiete“ niemanden Spiele in anderen Kulturen spielen zu lassen, ich plädiere nur dafür, sich genau zu überlegen, warum eigentlich. „Das bietet schöne Graphikmöglichkeiten“ , „Deren Kultur hat 5 unterschiedliche Elemente und ich brauchte fünf mystisch aussehende Dinge für mein Spiel“ oder „Ich war da mal im Urlaub und es war schön da“ halte ich nicht für ausreichende Gründe (Ich war übrigens auch mal in der Mecklenburgischen Seenplatte im Urlaub. Ist schön da!)

Doch wenn man etwas von anderen Kulturen übernimmt: Warum dann immer nur die Symboliken? In meinem Artikel über Kapitalismus in Spielen schrieb ich schon, dass die westliche Sichtweise was Effizienz etc. bedeutet in Spielen vorherscht. Es ist aber nicht die einzige Sichtweise. Es gibt genügend Kulturen, für die z.B. Landbesitz und/oder effiziente Ausbeutung desselben ein gänzlich fremdes Konzept darstellt (JeanJacques Rousseau gefällt das). Warum nicht diese Sichtweisen in das Zentrum eines Spieles stecken, statt kultureller Elemente. Das hätte zudem den Vorteil, dass die Handlungen in der Spielnarrative stärker schwingen, als die erzählten Elemente.

Eine Handvoll Karten in Viticulture und der Peer stellt gleich alles in Frage – ist das nicht übertrieben? Nein. Die Karten sind ja nur Symptome. Damit meine ich nicht, dass die Spieleszene krank wäre. Aber natürlich kann auch sie sich verbessern und wachsen und sich weiter verbessern. Diese Dinge zu untersuchen ist mein Job als Content-Kreatur und als Autor.

ciao

peer

Peer Sylvester
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