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Das Gefängnisdilemma

Guten Tag, ich muss mich mit Ihnen über Gefängnisse unterhalten!

Gefängnisse, bzw. Freiheitsstrafen verfolgen im Strafvollzug mehrere Ziele: Als allererste ist da natürlich der „Straf“-Aspekt, der sich ja schon im Wort „Gefängnissstrafe“ ausdrückt: Die entsprechende Person soll für etwas getanes bestraft werden. Damit sollen auch zukünftige Straftaten verhindert werden, insbesondere dient die Gefahr der Strafe auch zur Abschreckung. Der Punkt wird unten noch wichtig, für den Moment sollte man noch festhalten, dass eine Strafe nur bis zu einem gewissen Punkt tatsächlich abschreckend wirkt. Darüberhinaus wird durch eine Erhöhung einer Strafe keine weitere Abschreckung erreicht ( z.B. weil die Tat dann vorwiegend nur noch von Verzweifelten begangen wird oder von Leuten, die ohnehin nicht denken, dass sie erwischt werden oder weil die Tat im Affekt begangen wird). Weiterhin sollen durch die Freiheitsstrafe die Bevölkerung auch vor Straftaten geschützt werden, dabei gilt es nicht nur um eine „Sicherung“ sondern auch um eine „Maßnahme zur Besserung“. Im Idealfall sollte der Gefängnisaufenthalt auch zur Läuterung bzw. Resozialisierung dienen (siehe dazu auch z.B. die Wikipediaartikel zum Thema Strafe, Freiheitsstrafe und Maßregel der Besserung und Sicherung). Wie das in der Praxis aussieht ist ein etwas komplexes Thema, da sehr abhängig vom konkreten Straffall, den Lebensumständen und auch den Vollzugsanstalten selber und der Art von Häftlingen die dort untergebracht sind.

In den USA steht der Straf- und Schutzaspekt zumindest in der „öffentlichen Debatte“ noch viel stärker im Vordergrund. Gesetze wie „3 strikes out“, bei der ein Straftäter nach der dritten Verurteilung unabhänig von der Straftat lebenslang ins Gefängnis kommt (Und lebenslang auch tatsächlich nicht auf 25 Jahre begrenzt ist) machen dies deutlich. Gefangene haben dort ihre Rechte verwehrt, unabhängig vom Fall. In einigen Bundesstaaten ist selbst ehemaligen Gefangen zum Teil das Wahlrecht (!) verwehrt. In keinem Land der Erde ist der Anteil der Strafgefangenen an der Gesamtbevölkerung so hoch wie in den USA. Das deutet auf ein strukturelles Problem hin. Und das wird bei näherem Hinsehen noch deutlicher: Es sind mit überwältigender Mehrheit Minderheiten, die im Gefängnis sitzen. Das hat mehrere Gründe: Die strukturellen sozialen Unterschiede (Minderheiten sind überwiegend arm, was mit dem strukturellen Rassismus in den USA zusammenhängt. Ohne soziales Netz bleibt oft nur die Kriminalität als Ausweg), die rassistischen Strukturen in der Polizei, die Minderheiten eben auch überproportional schnell verfolgt, die Justiz, die sozial schwache bei gleicher Straftat (!) deutlich härter bestraft. Erwähnenswert auch, dass Gefangene in den USA zu unbezahlten (oder zumindest extrem unterbezahlten) Arbeiten herangezogenen werden können. Gefängnisse müssen in den USA oft Gewinne erwirtschaften und das gelingt über die praktisch kostenlose Arbeitskraft der rechtelosen Gefangenen.

Betrachtet man diese Absätze zusammen, merkt man, wie stark von Rassistischer Ausbeutung insbesondere das Amerikanische System geprägt ist – hier wird der Resozialisierungsgedanke zugunsten der Ausbeutung aufgegeben. Gefangene werden in der Öffentlichkeit entmenschlicht. Und das ist keine Übertreibung: Die Sklaverei (!) in den USA ist nur für freie Menschen abgeschafft, für Gefangene ist sie tatsächlich noch zulässig! Aufgrund dieses Zusammenspiels aus Rassistischen Strukturen und Entrechtlichung von Strafgefangenen ist es keine Übertreibung zu behaupten, dass das Amerikanische Gefängnissystem eine Fortsetzung der Versklavung von Minderheiten (insbesondere Schwarze und Latinos) darstellt.

David Turczi und Noralie Lubbers haben ein Statement abgegeben: Sie wollen nicht mehr mit dem (inzwischen gecanccelten) Kickstarterspiel Prison Architect: Cardboard County Penitentiary in Verbindung gebracht werden und haben darum gebeten, dass man ihre Namen aus dem Spiel entfernt. Das Statement ist gut formuliert und schlüssig: Insbesondere gehen die beiden am Anfang auf die offensichtlichen Fragen ein: Warum haben Sie das Projekt begonnen? Wieso ist das problematisch, obwohl es doch die rassistischen Aspekte ausblendet und es nur darum geht, dafür zu sorgen, dass es den Gefangenen nicht schlecht geht? Die kurze Antwort: Das Thema ist aufgeladen (siehe oben) und die Probleme, die Leute damit haben, verschwinden nicht, nur weil man die nicht erwähnt. Für die lange Antwort, sollte das Statement gelesen werden – es ist wirklich lesenswert!

Gefängnisse in Spielen kommen vor allem als etwas vor, aus dass man ausbrechen möchte. Grob geschätzt dürften 80-90% der Spiele mit Gefängnisthema Ausbrecher (manchmal auch Einbrecher)- Spiele sein. Dann gibt es eine kleine Minderheit von Spielen wie z.B. Dont drop the soap oder Prison bitch. Diese Spiele stammen vor allem von Kleinstverlagen, die mit diesen krassen Themen irgendwie aufmerksam heischen wollten. Diese Spiele sollen geschmacklose Witze von Gefängnisklischees darstellen, verharmlosen aber Vergewaltigungen und entmenschlichen  die Betroffenen. Sie sind glücklicherweise ein Relikt der Vergangenheit (hoffentlich). Prison Architect: Cardboard County Penitentiary ist nun ein „Gefängnisbauspiel“ und ja, es geht darum, ein Gefängnis zu bauen. Und auch wenn (oder gerade weil) Klischees wie die erwähnten ausgeblendet werden, genauso wie der gesamte Hintergrund des Spieles, ist dieses Thema in dieser Form ungeeignet – es behandelt das Thema nicht, weil es die unangenehmen Seiten ausblendet. Damit ist das Thema lediglich eine graphische Verkleidung und das unsemsibel. Im Prinzip ist dies dasselbe Problem wie bei Kolonialismusspielen, bei denen in fremden Ländern Grundstücke in Besitz genommen und Rohstoffe geplündert werden und die Einheimischen komplett fehlen. Es stellt sich die Frage, warum ein solches Thema Bestandteil eines Brettspieles sein soll, wenn dieses sich spielerisch nicht von herkömmlichen, unproblematischen Spielen unterscheidet. Turczi schreibt, dass sich viele Leute bei dem Thema „unwohl“ gefühlt haben und ein Grund dafür ist eben, dass das Spiel überhaupt nicht auf die problematischen Aspekte eingeht, kein Ventil bietet, sich damit zu befassen. Es bleibt das Gefühl zurück, dass man beim spielen etwas tut, was nicht in Ordnung ist, sich damit aber nicht auseinandersetzen kann.

Bei dem Spiel San Quentin Kings von Nate Hayden wird das Thema aus Sicht der Gefangenen erzählt. Auch hier wird sich Klischees bedient, es geht darum, als Gefängnisgang durch illegale Geschäfte zu überleben. Dieses Spiel blendet den negativen Background nicht aus, es gibt ein klares Statement ab. Ob es das allerdings auf eine Art und Weise tut, die nicht die Linie zur Geschmacklosigkeit oder zum Voyerismus überschreitet, kann ich nicht beurteilen, da mir das Spiel nicht vorliegt (Hayden achtet allerdings in der Regel sehr auf thematische und tonale Authenzität). Ein Unterschied ist aber erwähnenswert: Bei San Quentin Kings versuchen die Spielenden das Gefängnissystem zu überleben. Dieselbe Motivation haben die Spielenden in den Spielen, in denen das Ziel ist, aus dem Gefängnis freizukommen. Die Spielenden nehmen die Perspektive der Leidtragenden ein – Bei Prison Architect machen sich die Spielenden zum Komplizen des Systems; die Perspektive: „Wir tun nur unsere Pflicht“ wird normalisiert.

Die Reaktion auf Turczis Text auf Boardgamegeek lies nicht lange auf sich warten: Es gabe viel positiven Zuspruch, von Leuten, die genau die erwähnten Probleme mit dem Thema hatten. Eine nicht unerhebliche Anzahl Leute beschwerte sich allerdings auch darüber, dass hier wieder „Cancel Culture“ betrieben würde und dass sich Turzci von SJW und dem linken Mob hat beeinflussen lassen usw. Es ist an dieser Stelle schon erwähnenswert, dass die Kickstarterkampagne bereits vor dem Rückzug der Autoren nicht besonders lief, obwohl es eine Computerspiel-IP war. Ich haltes es für ziemlich eindeutig, dass sich hier eine Menge Leute beschwert haben, die überhaupt kein Interesse an dem Spiel haben. Nein, hier geht es um den Kulturkampf, insbesondere um die Sichtweise, dass man Themen möglichst unkritisch hinnehmen muss. Sensibler Umgang mit sensiblen Themen? Das geht für diese lautstarke Minderheit gar nicht! Diese Sichtweise verliert glücklicherweise in der immer internationaler werdenen und auch sozial immer breiter aufgestellteren Brettspielwelt immer mehr an Boden. Ein Grund, warum die Anhänger dieser Denke mit immer härteren und plumperen Bandagen kämpfen. Doch gerade dieses Symptom kann optimistisch stimmen; Turczis Text zeigt dass dieses Umdenken stattfindet, dass er verstanden hat, dass ein Thema auch problematisch sein kann, wenn dort keine Klischeen direkt vorkommen, wenn dort problematische Inhalte einfach ausgeblendet werden.

ciao

peer

 

P.S.: Zum Thema Gefängnisarbeit ein Video von Last Week tonight zu dem Thema (in englisch)

Peer Sylvester
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