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Einstiegshürden und Neuspieler

Letzte Woche wurde der Spiel des Jahres 2020 vergeben. Es gewann Pictures von Daniela Stöhr und Christian Stöhr, herausgegeben vom PD Verlag. Ich habe das Spiel noch nicht gespielt, aber nach allem was ich darüber in Erfahrung bringen konnte, halte ich die Preisvergabe für absolut nachvollziehbar. Dennoch unken unterschiedliche Stimmen, wie schon in den Jahren zuvor, dass der Preis an das falsche Spiel ging. Oft können sich diese Stimmen auch nicht verkneifen zu kommentieren, dass die nominierten Spiele immer oberflächlicher werden. Beliebt ist auch die pikierte Anmerkung, dass ein Gewinner aus der Vergangenheit heute keine Chance auf den Preis hätte und eher als Expertenspiel abgetan werden würde. Ganz besonders lieb sind mir ja die öffentlichen Kundgaben, wie wenig der Spiel des Jahres interessiert, wie abseits vom eigenen Geschmack die Nominierten und Gewinner liegen und dass man ja diesen Dingen herausgewachsen sei. Wo wäre das Kulturgut Spiele nur, wenn wir nicht solche knallharten Wahrheitsverkünder hätten, die uns daran erinnern wie unwichtig ihnen solche Preise und ausgezeichneten Spiele sind?

Diese Diskussionen verlaufen oft in vertrauten Bahnen. Es gibt Spieler, die den Preis kleinreden wollen und das mit ihren eigenen Spielvorlieben erklären. Genauso gibt es aber auch Spieler, die die Juryentscheidung verteidigen und sich für das derart kritisierte Spiel einsetzen. Dabei kamen aber auch Argumente auf, die mich etwas stutzig gemacht haben. Es wird argumentiert, dass das Kulturgut Spiel nur dann weiter Verbreitung und Bekanntheit finden kann, wenn derart prämierte Spiele neue Leute an den Tisch holen. Das sehe ich auch so. Ist eine Spielidee oder ihre Präsentation vor allem auf Vielspieler zugeschnitten, so werden auch vornehmlich Vielspieler von solchen Spielen angezogen. Das ist schlüssig. Es wurde aber auch argumentiert, dass Spiele aufgrund ihrer Komplexität abschrecken, statt Seltenspieler neugierig zu machen oder sie zu motivieren sich stärker damit auseinander zu setzen. Mit gewissen Einschränkungen kann ich auch hier mitgehen. Komplexität lässt sich in einem Spiel ohne Frage unterschiedlich präsentieren. Wenn Autor und Redaktion aber gute Arbeit leisten, wirkt auch ein sehr vielschichtiges Spiel wenig einschüchternd. Danach kam aber auch die Position auf, dass aus diesen Ansätzen notwendig folgt, dass ein Spiel des Jahres Gewinner niemals den Anspruch und die Tiefe von Spielen haben kann, wie sie Vielspieler schätzen und lieben.

An diesem Punkt musste ich dann auf die Bremsen treten. Komplexität in einem Spiel als etwas zu verstehen, was man nur mit ausreichender Erfahrung bewältigen kann ist ausgrenzend, aber auch ein klein wenig selbstgefällig. In der Hitze der Debatte kann einem so ein Schnitzer schon mal unterlaufen. Aber diese Position trägt auch etwas paternalistisches mit sich. Man spricht Seltenspielern oder auch Menschen, die das Brettspiel nur aus der Entfernung kennen, die Möglichkeit ab, vom Spielreiz angesprochen zu werden der komplexe und strategisch tiefe Spiele auszeichnet.

Damit wird eine Grenze zwischen den Leuten gezogen, die Spiele schon lange kennen und solchen, die Spiele erst anfangen näher kennenzulernen. Das mag aus einer wohlwollenden Absicht entstehen auf neue Spieler zu zugehen, aber es kommt auch einer Bevormundung gleich. Man fächert Spiele danach auf was man weniger erfahrenen Spielern zumuten kann. So als würde man Einsteigerspiele als Spiele mit Stützrädern verstehen, statt eine gemeinschaftliche Erfahrung auf Augenhöhe. Dabei sind es doch gerade diese Erlebnisse, die auch uns erst fürs Spiel begeistern konnten.

Wenn es darum geht Brettspiele mit Menschen zu teilen, die unsere Erfahrung mit dem Medium nicht besitzen, sollte bei der Auswahl der Spielreiz selbst im Vordergrund stehen. Ob ein Spiel für einen Neuspieler geeignet ist, sollte sich über das Spielgefühl entscheiden. Natürlich darf der Aufwand, den eine Gruppe aufbringen muss, um sich den speziellen Charme eines Spiels zu erschließen, dabei nicht vergessen werden. Spieldauer, Spieleranzahl oder auch Länge der Spielerklärung sind Faktoren, die ein Spiel für manche Menschen mit einer schwer überwindbaren Hürde versehen.

Entscheidend für die Spielwahl für Neuspielern, sollte aber das Spielgefühl sein. Es sollte ein Spielgefühl sein, welches Interessierten am Ehesten zeigen kann, warum Brettspiele so viel Leidenschaft, Begeisterung und Freude verursachen. Dafür braucht es nicht unbedingt ein simples Spiel, sondern vor allem ein gut gemachtes.

Georgios Panagiotidis
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