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Wer einen Schuldigen sucht, muss nur in den Spiegel sehen

Ich bin schlecht in Deutsch. Obwohl es meine Muttersprache ist, bin ich nicht gut darin. In der Schule hatte ich immer schlechte Noten und meine Artikel müssen meistens von einem anderen korrigiert werden. Sowohl was die Grammatik betrifft als auch die Zeichensetzung. Obwohl ich im Hinterkopf weiß, dass man keinen Artikel mit Ich beginnt. Meine Frau sagt, das meine Sätze klingen als würde ich auf Englisch denken. Vielleicht ist das so.

Das führt dazu, dass ich regelmäßig, wenn ich was geschrieben habe, so manchen „Liebesbrief“ erhalte. Leute, die sich darüber auslassen, dass da noch mal einer drüber lesen sollte, bis zu Anfeindungen, die ich nicht wiedergeben möchte. Ich ignoriere die meist, denn ich weiß, ich kann es nicht mehr ändern. Ich schreibe inzwischen seit 10 Jahren Artikel und bilde mir ein deutlich besser geworden zu sein, aber perfekt werde ich nicht mehr werden und wohl immer auf andere angewiesen sein, dass sie Korrektur lesen. Ich kann darum bitten es zu akzeptieren oder wenigstens es zu tolerieren.

Dabei liebe ich Wörter. Ich liebe, was man damit spielen kann, welche Doppeldeutigkeit da drin stecken kann und habe alle Bücher von Martin Buchholz gelesen. Ein Spiel wie Codenames oder Just One sind für mich die grandiosesten Spiele, um so etwas ausleben zu können. Und ich finde es auch absolut wichtig und richtig, dass die Jury diese zu Spiel des Jahres-Preisträgern gewählt hat.

Und die Jury selber beinhaltet einige Personen die schon immer gut mit Worten waren, und deren Beruf es auch ist mit Worten umzugehen. Ein Udo Bartsch etwa ist Journalist durch und durch. Ich erwarte daher von den Jury-Mitgliedern, dass sie mit Worten gut umgehen können, oder zumindest besser als ich. Vielleicht ist das zu viel erwartet, aber diese Erwartung habe ich und wurde bisher selten enttäuscht.

Eine Enttäuschung ist die „Spielend für Toleranz“-Aktion. Wobei es ist nicht die Aktion. Die finde ich super. Wir haben bei den Bretterwissern dazu den Guido eingeladen und Sonja macht sogar selber solche Spieleabende, wie auch der Jürgen hier. Das ist in fast allen Belangen eine der besten Sachen, die die Jury je angegangen ist. Ich selber bin kein Geflüchteter, aber mein Vater war im zweiten Weltkrieg ein Flüchtling. (Er kam aus Ungarn und ist durch halb Europa gewandert auf der Suche nach Schutz. Ich habe einige Geschichten zu hören bekommen. Bei Kriegsende war er gerade mal 8 Jahre alt. Um so unglücklicher macht mich, was ich seit Jahren aus dem Land hören muss und das die EU nichts gegen Orban macht.)

Nur bei dem Namen haben sich die Initiatoren vertan. Und dabei bin ich mir sicher, dass ihnen bewusst ist, dass Tolerieren deutlich schwächer als Akzeptieren ist. Toleranz redet von Duldung. Die Aktion ist ein Zeichen gegen Fremdenhass, aber die Fremden sollen nur geduldet werden? Spielend für Akzeptanz wäre da deutlich besser. Es würde die Aufnahme von Flüchtigen gutheißen und versuchen sie Teil der Gesellschaft werden zu lassen. Genau das, was die Aktion leisten will. So hoffe ich. Eine vielfältige Gesellschaft ist in so vielen Belangen eine Stärkere.

Diese Unterscheidung ist mir übrigens das erste Mal aufgefallen, als die ARD 2014 eine Themenwoche Toleranz im Fernsehen hatte. Da gab es einen Aufschrei von vielen, dass der Begriff der Falsche wäre. Statt aber kurz Manpower reinzutun, sich zu entschuldigen und daraus die Themenwoche Akzeptanz zu bauen, stellten sie sich auf dumm und wollten, dass die Leute darüber diskutieren und taten so als wäre da kein Unterschied. Als ob man darüber diskutieren müsste ob das Gleiche und dasselbe das Gleiche sind. Vielleicht sollte man da die Sprache auch mal akzeptieren wie sie ist. Wenn ich sie falsch verwende, entschuldige ich mich gerne und korrigiere es.

Das Menschen Begriffe falsch verwenden war auch schon oft Gegenstand meiner Artikel. Ein Rezensent testet die Spiele nicht mehr. Er spielt sie und berichtet darüber. Gerne mit einer Bewertung. Testen tun die Redaktionen, die an dem Spiel rumschrauben und es in ihren Augen verbessern und entwickeln. Auch das Spiele erfinden ist mir ein Dorn im Auge. So haben doch lange sehr viele daran gearbeitet deutlich zu machen, dass Autoren da am Werk sind und keine Ingenieure. Aber hier reden wir von festen Begriffen in unserer Szene, etwas was ich von Leuten außerhalb der Szene nicht voraussetzen kann.

Manchmal ist es aber nicht ein einzelner Begriff, sondern ein Verhalten, dass mich dann auf die Palme bringt. Etwas, was zwischen den Zeilen deutlich zu lesen ist und dafür sorgt, dass Menschen die davon betroffen sind, mulmig wird. Die LGBTQ-Szene kann da ohne Ende Beispiele bringen. Was ist zum Beispiel schlimm an der Ehe für Alle? Haben Hetero-Paare irgendwelche Nachteile, dass jetzt auch zwei Menschen heiraten können, die nicht nur Mann und Frau sind? Nein. Es gibt keine Nachteile. Und dennoch kloppen manche darauf rum, weil sie scheinbar Angst vor etwas haben. Vor dem Verlust einer Vormachtstellung vielleicht? Ich kann nur raten. Aber manche Weltbilder scheinen zu wackeln.

Und dann sind wir wieder bei der Jury. Oder genauer gesagt, nur bei dessen Vorsitzenden. Ich weiß von genug anderen Jury-Mitgliedern, dass sie das nicht genauso sehen. Es ist halt ein bunter Haufen. In seinem neusten Artikel schreibt er über seine Sicht auf die Corona-Krise und fasst am Ende zusammen:

Nicht ohne Grund nennen wir Brettspiele auch Gesellschaftsspiele. Die Gemeinschaft am Spieltisch lässt sich auf Dauer durch nichts ersetzen.

Das wäre auf Anhieb erstmal ein schöner Satz für das Kulturgut Brettspiel. Aber im Zusammenhang mit seinen anderen Kommentaren sehe ich da fehlende Akzeptanz. Erst einen Tag vorher hat er nur einen Satz aus dem letzten Artikel von Herrn Felber auf Twitter zitiert:

Die Kraft des Brettspiels entfaltet sich vor allem durch das Gemeinschaftserlebnis, das entsteht, schreibt Tom Felber. Es spielt, um mit anderen Menschen gemeinsam etwas zu erleben.

Dazu kommt noch sein Editorial in der Spielbox wo er über Solospiele bemerkt:

… rechtfertigte aber kaum den intellektuellen und oftmals auch beträchtlichen materiellen Aufwand, der für Automa betrieben wird.

Er reagiert anscheinend bissig. Es ist ein Thema, das ihn aneckt. Es wirkt von außen, wie der alte weiße Mann, der sich gegen die Ehe für Alle oder die Abschaffung der Wehrpflicht oder auch einfach dem Wandel der Gesellschaft aufbegehrt. Es war doch alles so gut in der alten Zeit, warum muss das geändert werden, davon könnte ich ja Nachteile erhalten. Meine Sicht auf Spiele sollte die einzige sein.

Vielleicht tue ich ihm da unrecht, aber die Wirkung ist für mich eine, dass eine gewisse Form Spieler, in diesem Fall vor allem die Leute, die gerne solo spielen oder auch einfach nur interaktionsärmere Spiele (wie etwa Dominion), zwar toleriert, aber nicht akzeptiert werden. Ich kann ihn ignorieren oder ich kann mich dagegenstellen. Die Aussagen mag ich aber in seiner Form weder tolerieren noch akzeptieren.

Matthias Nagy
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