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CO2-haltiger Rauch (Weiß)

Als ich meinen letzten Kommentar schrieb, war mir noch nicht so bewusst, wie passend der „Rauch“ war – immerhin gehen ja so viele Exitspiele in Rauch auf und erhöhen das Global Warming und so. Ganz furchtbar! So jedenfalls ein aus dem Nichts aufgetauchtes Argument. Und ich möchte es ein bisschen fachgerecht zerlegen.

Vorab zwei Dinge: Erstens: Man darf natürlich über die Wahl des Kennerspieles diskutieren – das gilt für Exit wie für jedes andere auch. Gerade ist es ein durchaus diskussionswürdiges Thema, ob der Anspruch wirklich dem grauen Pöppel entspricht, ob das Auszeichnung einer ganzen Reihe sinnvoll ist und wie verwerflich es ist ein Spiel, dass man nur einmal spielen kann auszuzeichnen. Oder ob es sich bei Exitspielen überhaupt um Spiele handelt und ob es sich um Spiele handeln muss, um den Preis zu verdienen (Dürfen Rollenspiele Spiel des Jahres werden?). Alles spannende Themen. Über die es hier nicht geht, denn

Zweitens: Wer diskutiert und ein Argument nennt, der muss damit leben, dass man dieses Argument kritisiert, anzweifelt und demontiert. Das gilt im zweierlei Maß, wenn sich, ich sag mal, „berechtigte Zweifel“ darüber ergeben, dass der Kritiker das Argument tatsächllich ernst meint und es nicht nur deshalb nennt, weil es so schön klingt und weil er sich dann moralisch  von der bösen weiten Welt abgrenzen kann (und damit habe ich den Fehdehandschuh zurückgeworfen).

In diesem Fall geht es mir um den Kritikpunkt, dass die Exitspiele ein Symbol für die „Wegwerfgesellschaft“ sind, die sich einen Dreck um Nachhaltigkeit kümmert. So ziemlich alles an diesem „Argument“ ist falsch:

Fangen wir mit dem globalem an: Der Umweltschutz ist im Jahre 2017 -„Wegwerfgesellschaft“ hin oder her – auf einem historischen Höchsstand. Insbesondere Deutschland ist Vorreiter in Sachen Mülltrennung, Energiepolitik und aktivem Umweltschutz. Das heißt nicht, dass man sich zurücklehnen könnte, aber zumindest kann man akzeptieren was man hat.

Kommen wir jetzt zum Thema Exit-Spiel: Ja, die wirft man weg. Das ist auch schon so ziemlich das einzig negative in Punkto Umweltproblematik:

JEDES Spiel hat einen umwelttechnischen Fußabdruck, denn jedes Spiel wird ja erst einmal produziert. Ob es 100 Jahre im Schrank liegt, jede Woche gespielt wird oder nach Gebrauch weggeworfen ist erst einmal egal: Jegliches Material muss erst einmal hergestellt und verarbeitet werden. Problematisch sind insbesondere Metallteile (eher selten in Spielen, aber gerade bei Zinnfiguren ist der Umweltaspekt zu beachten, da Gießzinn immer auch umweltschädliches Blei enthält, was besonders bei der Verabeitung problematisch – und bei hohem Bleigehalt auch bei der anschließenden Nutzung), aber auch Lacke und Farben sind problematisch. Bei Holzteilen muss die Frage nach der Herkunft des Holzes erlaubt sein: Nachhaltige Beforstung oder Raubbau? Ähnliches gilt für Papier und Pappe, wobei da ein Anteil aus recycelten Rohstoffen denkbar ist (Mir ist kein Spiel bekannt, dass dies zumindest öffentlich irgendwie kommuniziert). Bei Kunststoffen kommt es natürlich auf den jeweiligen Kunststoff an, aber die gängigen Kunststoffe sind zumindest alle auf Erdölbasis und belasten so die CO2-Bilanz und verringern die Rohstoffe (anders alls nachhaltiges Holz ist Erdöl ja irgendwann weg). Also schon die Rohstoffe sind manchmal problematisch, die Verarbeitung dann sicher.

Als nächstes kommt der Transport. Hier gilt ganz einfach: Je weiter die Spiele transportiert werden, desto schlechter für die Umweltbilanz. Spiele aus China sind umwelttechnisch deutlich problematischer, als Spiele, die vor Ort (ergo in Deutschland) produziert werden.

Wie schneidet Exit bislang ab? Die Exitspiele enthalten wenig Teile, alle aus Pappe. Nur die Karten sind in einer Hülle aus Polyethylen, das beim Verbrennen zwar CO2 produziert, aber keine anderen Giftstoffe (Polyethylen enthält nur Kohlenstoff und Wasserstoff und verbrennt daher vollständig zu Wasser und CO2) Die Menge an Teilen ist verhältnismäßig gering, die Schachteln sind klein, dass heißt der Transport ist nicht ganz so problematisch wie bei größeren Spielen. Zudem werden sie meines Wissens (lass mich gerne korrigieren) in Deutschland produziert. Exitspiele enthalten keine Metall- oder Holzteile. Soweit liegen sie im Spektrum der „Umweltproblematischen Spiele“ sehr weit unten.

Aber, aber, aber… Sie werden doch weggeworfen!!!!!!1!

Ja, werden sie. Was genau ändert das?

Aber erst einmal: Das Material landet (von den Kartenumverpackungsfolie -die es bei fast jedem Spiel gibt – abgesehen) vollständig im Altpapier und wird dann wieder recycelt. Selbst wenn die Schachteln in den Hausmüll geworfen werden, wird die Pappe verbrannt – was im Vergleich zu so ziemlich allen anderen Dingen dort drin verhältnismäßig unproblematisch ist – oder verrotten auf einer Mülldeponie – was im Falle von Papier ebenfalls kaum ein Problem darstellt. Es ist schwierig irgendetwas vergleichbares zu finden, dass weniger kritisch ist, wenn man es entsorgt. Zudem ist das Material ja auch nicht allzu viel. Ich hatte schon Spiele, bei denen die Stanzbögen mehr Gewicht hatten, als das gesamte Material des Exitspieles. Und die habe ich dann auch weggeworfen. Sogar noch bevor ich das betreffende Spiel gespielt habe!

Aber noch einmal zurück zu meiner Frage: Was genau ist der Unterschied ob ich sie wegwerfe oder nicht? Ich kann sie sowieso nur einmal spielen. Ich werde mir also kaum noch mehr Spiele davon kaufen, um die alle anschließend (ungespielt?) wegzuwerfen. Ich kaufe mir ein Spiel. Ob ich das wegwerfe oder behalte – was für einen Unterschied macht das in Bezug auf die produzierten Spiele? Gar keinen. Sicher, ich kann das Spiel nicht weitergeben – aber wieviele Spiele werden denn so weitergegeben? Wie viele Spiele werden mehr produziert, weil man die Exitgames wegschmeißt? 2%? „Wegwerfgesellschaft“ bedeutet eigentlich, dass man sich Dinge für die einmalige Verwendung kauft, dann wegschmeißt UND DAS WIEDERHOLT! Plastikgeschirr, Pappbecher oder Plastiktüten sind Beispiele für die Wegwerfgesellschaft, denn die muss ich nach Gebrauch ja immer wieder neu kaufen. Kaufe ich mir stattdessen eine Gabel aus Metall, dann nutze ich die mehrmals. Was hat das mit den Exitspielen zu tun? Nichts. Die werfe ich zwar weg, aber ich kaufe die ja nicht nach. Die haben damit so viel mit der „Wegwerfgesellschaft“ zu tun wie Nahrungsmittel oder Kinokarten- auch die sind nach Gebrauch weg.

Insgesamt ist die Umweltbilanz von einem Exitspiel dank umwelttechnisch relativ unproblematischer Materialien und Recyclingmöglichkeit von Pappe relativ OK. Selbst mit Entsorgung ist der Großteil meiner Sammlung aus Umweltsicht vermutlich problematischer. Ich würde die Umweltbilanz von Exitspielen nicht ganz ungefähr mit denen von Rätselheften vergleichen; Könnte natürlich (immer!) besser sein, aber ganz ehrlich: Man sollte seine Schlachtfelder woanders suchen.

Und damit kommen wir zu meinem absoluten Lieblingsargument der letzten Woche: „Du [also ich] willst nur eine Verfehlung mit einer größeren Verfehlung rechtfertigen!“

Nun, ich erkenne ein Todschlagargment wenn, ich eines sehe: Wäre die Verfehlung größer als bei allen anderen Spielen, wäre das natürlich schlimm und ist anzuprangern. Ist sie kleiner, darf das keine Entschuldigung sein und ist dennoch anzuprangern. Mit anderen Worten: Egal was an Fakten kommt, man kann immer anprangern! Und das ist es ja, was wir alle wollen, nicht wahr? Wer ist denn an sachlichen Debatten interessiert? Hauptsache ich „gewinne“ eine Debatte! Auch wenn das Argument rein rhetorischer Natur ist und die Substanz von einer Heliumluftblase hat.

Nun, wenn sich tatsächlich irgendein Kritiker in der Spieleszene für den Umweltschutz interessieren würde, so hat er das bislang gut verschwiegen. Aber davon ab, würde er sich schon eher dafür interessieren, was denn die Hauptprobleme sind und wie man die lösen könnte. Da fallen mir eine Menge Möglichkeiten ein: Stanzbögen optimieren. Mehr Transparenz von den Verlagen fordern, was Produktion und Umweltbilanz betrifft. Lokal produzierte Spiele kaufen. Keine Spiele mit Zinnminiaturen kaufen, außer die tragen ein Gütesiegel bezügllich ihrer Produktion. Pappe, Papier und Holz explizit aus nachhaltigen Beständen produzioeren und dies angeben – Letztlich sind wir wieder bei „Transparenz“. Zumindest sollte man gelegentlich die in China produzierte Miniaturenschlacht mal bezüglich deren Umwelt- (und Arbeitsbedingungen)  hinterfragen. Sich zu beschweren, dass ein Exit-Spiel Kennerspiel des Jahres geworden ist, ist aber eher so, als würde man die moderne Landwirtschaft kritisieren, in dem man sich beschwert, dass der Nachbar Mutterede von Aldi statt Kompost für seine Blumenbeete benutzt: Ziemlich albern, nicht durchdacht und wenig überzeugend.

Aber um die Sache ging es diesen speziellen Kritikern ja eh nicht. Sie suchten nur nach einer vermeidlich guten Begründung, die Wahl zum Kennerspiel doof zu finden. Woran ich das erkenne? Es ist sehr leicht die Moral von etwas zu kritisieren,  dass man ohnehin ablehnt. Es ist bedeutend schwieriger sein eigenes Denken zu hinterfragen – und wer die Umweltbilanz von Brettspielen verbessern will muss nun einmal genau das tun.

ciao

peer

Peer Sylvester
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2 Kommentare

  • Andere EXIT-Spiele, solche ohne eingebauten Verschleiß, werden oftmals weitergegeben, weil der Besitzer erkennt, dass das Spiel für ihn wertlos ist, nicht aber für andere. Gerade bei den Spielen der Exit-Reihe verzichten manche darauf, es durch Spielen zu verbrauchen, sondern lösen die Rätsel auf etwas unbequemere Art, um es nachher weitergeben zu können. Ganz einfach weil sie eine offenkundige, fast schon demonstrative Verschwendung erkennen und bedauern.

    Bei vielen Produkten weiß man einfach nicht, wie der ökologische Fußabdruck aussieht. Was man hier aber eindeutig erkennen kann, ist, die völlig unnötige Verschwendung. Ein Rätselheft, in das man schreiben muss, verbraucht sich zwangsläufig. Hier sind es nur einzelne Elemente, die ersetzt werden müssten, durch deren Funktionsunfähigkeit das Spiel nun insgesamt unspielbar wird.

    Hier gäbe es doch andere Möglichkeiten: Zusätzlich zu den Spielen Ergänzungssätze herauszugeben, durch die die Spiele wieder erneuert werden können. Eine Box mit Ergänzungssätzen gleich zu mehreren Spielen sollte den Verlag zu keine allzu großen Probleme stellen.
    Oder aber man integriert gleich ein paar Sätze in jedes Spiel, so dass man es zumindest einige Male Spielen kann. Die Produktionskosten würde es nur geringfügig erhöhen, den Wert des Spiels vervielfachen.

    Man hat sich zugunsten höherer Stückzahlen dagegen entschieden.
    Das wird zu recht kritisiert. Ob die Kritiker sowieso gegen den Preis für EXIT sind oder es aber schade finden, dass ein gutes Spielkonzept durch solch eine Marketingmaßnahme einen bitteren Beigeschmack bekommt, steht auf einem ganz anderen Blatt.

    Unabhängig davon, wie umweltschädlich EXIT im Vergleich zu anderen Spielen ist: Die EXIT-Spiele von Kosmos sind ein demonstratives Bekenntnis zur Wegwerfgesellschaft zugunsten höherer Verkaufszahlen. Persönlich bin ich mir unsicher, ob diese Eigenschaft aus einem ansonsten preiswürdigen Spiel ein nicht mehr preiswürdiges macht. Zu kritisieren, dass ein solches Spiel ausgezeichnet wird, halte ich jedoch für naheliegend. Hier sachfremde Motive zu unterstellen, weil die selben Kritiker nicht auch andere Produkte kritisieren, bei denen die Eigenschaft weniger offensichtlich ist, ersetzt die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Argumenten.

  • Ja, der Gag bei diesen Spielen ist, dass sie sich verbrauchen. Das ist Absicht und das kann man kritisieren – das streite ich gar nicht ab. Aber das Umweltargument, dass die jetzt besonders Umweltschädlich sind, ist schlicht falsch.
    Andere Escape-Games verbrauchen sich übrigens auch, allerdings kann man das Material nachdrucken und ersetzen. Verbraucht ist es dennoch (und wird weggeworfen) und das Ersetzen kostet dann wieder Rohstoffe. Das mag etwas am Gefühl ändern, aber nicht unbedingt (eher nicht) am umweltteschnischen Fußabdruck.
    Die _Geisteshaltung_ ist eine andere. Da stimme ich dir zu.