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Wir sind das Volk!

Meine Lieblingsblogeinträge sind natürlich die, bei denen ich ein neues Spiel von mir ankündigen kann. Wer mir auf Twitter folgt, weiß es schon: Es ist wieder soweit! Zu Essen erscheint -wenn nicht mehr dazwischen kommt – das neue Spiel von Richard Sivél und mir: Wir sind das Volk!

In diesem Spiel spielen zwei Spieler die Deutsch-Deutsche Geschichte nach; Einer auf der Seite der Bundesrepublik, einer auf der Seite der DDR. Der DDR-Spieler versucht in erster Linie zu verhindern, dass sein Land untergeht. Schafft er es, gewinnt er (es gibt auch ein paar Alternative Siegbedingungen, aber normalerweise läuft es darauf hinaus: Geht die DDR unter oder nicht)?

Ein Spiel mit diesem Thema verpflichtet natürlich und daher ist es vielleicht kein Wunder, dass Wir sind das Volk mein bislang kompexestes und thematischstes Spiel ist und auch das, mit dem ich (mit Abstand) am längsten gearbeitet habe.

Die ersten Idee gab es bereits 2007. Ich fand es reizvoll, wenn zwei Spieler verschiedene Länder spielen, die sich nicht gegenseitig angreifen, sondern eher versuchen über Lebensstandard, Wirtschaft etc. miteinander im Wettstreit zu treten. Das konkrete Thema lag dabei für mich nah. Die Ereignisse 1989 beeindrucken mich immer noch schwer. Dass die Bewohner der DDR es geschafft haben, sich zu befreien, ohne dass es zu Blutvergießen kam, ist eine unglaubliche Leistung, die man nicht vergessen sollte. Und dann ist da ein weiterer Punkt: Ich wusste wenig über die Geschichte der DDR. Insofern war auch die Recherche für mich reizvoll.

Als Kernmechanismus reizte mich der Mechanismus der „Card Driven War games“, also Karten, die ein Ereignis zeigen, dass ausgelöst werden kann, aber auch einen Punktwert, der alternativ für verschiedene Dinge genutzt werden könnte. Um zu verhindern, dass wichtige Ereignisse in den Handkarten des „falschen“ Spielers versauern (ein Problem das bei dem wenig später erschienen Twilight Struggle übrigens auch erkannt auf andere ganz Weise gelöst wurde) gibt es eine offene Auslage aus Karten, unter denen die Spieler abwechselnd wählen. Auf diese Weise kann ich wählen: Ein gutes Ereignis für mich nehmen oder ein positives Ereignis für den Gegner entfernen?

In meinen ersten Versuchen gab es vier Variablen: Unruhe , Wirtschaft, Lebensstandard (wird mit Wirtschaft gebaut und ein Lebensstandardunterschied zum Gegner verursacht diesem Unruhe, ein zu großer Unterschied im eigenen Land, allerdings auch) und Prestige (wie wird das Land im Ausland gesehen). In den ersten Prototypen verlor ein Spieler, wenn er in einem Bereich weit zurückfällt.

Tatsächlich funktionierte das Spiel erstaunlich früh, erstaunlich gut. Doch es war immer noch recht abstrakt (viel lief über Leisten) und hatte einige ziemliche thematische Schnitzer. Außerdem liefen einige Dinge nie zur vollen Zufriedenheit. So sollte das Prinzip Unruhe die Systeme wiederspiegeln: Im Westen sollte es relativ gesehen wenig Unruhe geben, die aber schwer wegzukriegen ist (in einem Rechtsstaat kann man unliebsame Stimmen ja nicht einfach mundtot machen). Im Osten gibt es mehr Unruhe, aber dort gibt es das Mittel Staatsgewalt, also die Stasi, die mit ihrem Apparat brutal für Ruhe sorgt.   Zumindest in der Theorie, in der Praxis wurde das Mittel viel zu selten genutzt.

Wie es der Zufall wollte, war Richard von Histogames schon beim ersten Testspiel dabei und war von vorne herein von den Ideen sehr angetan und stand mir stets mit Rat und Tat beiseite. Irgendwann kam der Punkt, an dem er mir so viele Tipps gab und so viele neuen Mechanismen vorschlug, dass es logisch war, dass wir uns zusammentun würden. Richard machte aus einem imho guten Spiel ein (wenn ich das sagen darf) hervorragendes – unermüdlich schraubte er an kleinen Details wie den Karten und arbeitete daran, dass das Modell immer besser zur Historie passte. So führte er ein Devisensystem ein, denn die fehlenden Devisen waren im Prinzip die Archillessehne der DDR-Wirtschaft. In den letzten 6 Monaten hat sich das Spiel dann noch fast so viel verändert wie in den 4 Jahren vorher… Und entsprechend viele Testpartien (mindestens 1 pro Woche) gab es. Mit dem Ergebnis sind wir sehr, sehr zufrieden.

Es ist ein untypisches Spiel für mich – Es ist ein Zweipersonenspiel (ich spiele sonst eigentlich nie zu zweit), es ist länger als die meisten meiner Spieler (2,5 bis 3 Stunden, für Anfänger auch mehr) und auch wenn die Regeln alle logisch in der Geschichte verankert sind, ist es doch regeltechnisch deutlich komplexer als alles, was ich bislang in Angriff nahm (Wobei ich überzeugt bin, dass es nicht schwieriger zu lernen wäre als ein komplexer Euro á la Terra Mystica). Aber dieses Schaffen eines Spieles, dass mir auch noch nach (grob geschätzt) 100 Partien immer noch Spaß macht und mir auch immer noch Überraschungen bietet (einmal wäre mir sogar fast ein Sieg gelungen, weil der DDR die sozialistische Basis weggelaufen ist- etwas, dass wir beide bis dahin als rein hypothetische Möglichkeit in Betracht gezogen haben) und das in einer interessanten historischen Episode spielt, hat mir so viel Spaß gemacht, dass ich in Zukunft öfter nach historisch interessanten Episoden Ausschau halten werde… und ich hoffe ihr haltet in Essen nach dem Histogamesstand Ausschau, wo das Spiel zu kaufen sein wird!

ciao

peer

P.S. Einige Mechanismen -z.B. den Wirtschaftsmechanismus, auf den ich sehr stolz bin – habe ich aus nie fertig gewordenen Prototypen von mir selbst geklaut. Auch daher lohnt es sich, immer alle Ideen schriftlich festzuhalten. Wenn ein Spiel nicht funktioniert, funktioniert es vielleicht noch als Teilmechanimus….

PPS: Hier zwei Links von Bernd Eisensteins Eindrücken als Testspieler

Eins und Zwei

Peer Sylvester
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12 Kommentare

  • Hallo Peer,
    mein hiesiger Erstling.
    Da nehme ich über vagestes Wahrnehmen hinaus Gleichgewicht des Schreckens just gestern in vorbestellbarer Ankündigung erstmals zur Kenntnis (Twilight Struggle resp. die halbe Lokalisation von GdS bis dato zu meinem Beschämen noch nie so wirklich), um es für schon sehr interessant zu befinden, wenn auch themenbedingt mitspielerfindungsschwer.
    Und nun haust du hier raus, wovon ich bis dato wahrlich nur über BES‘ Blog in rudimentären Ausschnitten von Anfang an MIT INTERESSE las, dass Wir sind das Volk jetzt tatsächlich rauskommt und den quasi allenortens höchstgelobten und Twilight Struggle überhaupt erst so reizvoll machenden (Ereignis-)Karten-Mechanismus übernommen hat mit von dir genannter, noch besser klingender Ergänzung/Erweiterung dessen.
    Auch gerade weil es nicht auf der Metaebene um den Kalten Krieg geht, sondern viel konkreter um DE während dieser Zeit, was sicher genug noch ausreichend lange miterlebt haben dürften (ich nur noch 4 Jahre unbewusst), könnte es auch nochmal ganz anders ansprechen und in den Bann ziehen. Daher hoffe ich auch auf Mitspielerrekrutierung, wobei ja schon eine/r reichen würde:).
    Was kannst du denn zum Spielmaterial/Ausstattung, Preis usw. verraten oder wo wird davon gekündet?

    Grüße Dominic

  • Den Preis (und eventuell Vorbestellungsmöglichkeiten) gebe ich bekannt, soweit ich sie weiß.
    Inhalt:
    1 Spielplan 65 x 43 cm
    84 Aktionskarten
    50 Holzsteine „Unruhe“
    12 Holzsteine „Sozialist“
    35 Holzsteine „Lebensstandard“
    2 Stanzbögen
    1 Spielregel

    Die Schachtelgröße ist IIRC in etwa die König von Siam – Schachtel, allerdings wie man oben sieht, voll bis unters Dach :-)

  • Hallo Peer,

    sag mal, ich habe gesehen, dass mehrere deutsche (große) Tageszeitungen über Dein neues Spiel berichtet haben – damit ist ja auch Histogames ein wenig ins Rampenlicht gerückt.
    Hat das eigentlich spürbare Auswirkungen auf die Abverkäufe gehabt??

    Grüße,
    Tom

  • Tach allerseits,

    @Tom: da mir die Artikel leider gänzlich nicht unterkamen, kannst du sie mal bitte linken und eine kleine Hall of Fame aufmachen?:) Nur kurze Erwähnung am Rande oder wegen des 25jährigen Jubiläums ausführlichere Vorstellung inkl. Hintergründe?

    @Ludokreateur: Wohin mit ein paar Regel(nach)fragen – hierhin oder direkt an Histogames?

    Fleißig WsdV spielende Grüße
    Dominic

  • @Tom: Besten Dank, v.a. bei SZ schlicht an mir vorbeigetickert Oo. Sehr anschaulich, worums geht, insbes. beim Handelsblatt. Und dass es 4h dauert, beruhigt mich, weil so lange brauchen wir bisher auch, allerdings dann noch plus Wertung. Was nicht schlimm ist, der Sache angemessen, aber zumindest für uns i.a.R. nichts für nur einen Abend oder nur was für einen freien Sonntag.

    @Peer: Würde mich daher auch sehr interessieren, wie gut WsdV so ankam mit solcher Publicity. Habe schon gesehen, dass es auchb ei einigen Shops geführt wird:))

  • Ah, dann ist der Handelsblatt-Link also schon online :-)
    In der Bild waren wir auch, aber nur kurz… (zum Glück, nehme ich an…)
    Zur Frage: Keine Ahnung, ist auch wohl noch etwas zuz früh das zu sagen. Ich nehme schon an, dass man ein bisschen was merkt, erwarte aber auch keinen Rush :-)

    Regelfragen am besten bei BGG, aber hier ist auch OK.
    ciao
    peer