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In dubio pro reo

Die Lawine an neuen Spielen rollt unaufhaltsam. Niemand und zwar wirklich niemand kann alle jährlichen Neuerscheinungen kennen, gescheige denn spielen.  Um so mehr ist man gezwungen geistig vorab zu sortieren: Das Spiel sieht interessant aus, jenes reizt mich erst einmal gar nicht. Dieses Spiel macht einen originellen Eindruck, jenes wirkt erst einmal altbacken. Das ist bedauerlich, denn natürlich weiß man, dass jede Vorverurteilung falsch sein kann. Aber es ist nicht zu ändern. Die Verlage haben das erkannt und bieten in den meisten Fällen Online-Spielregeln und dergleichen an, damit sich jeder ein Bild machen kann. Und die „Community“ hat das auch erkannt und gibt sich online Tipps. Gerne auch kurze Empfehlungen, damit man schnell erfassen kann, ob ein Spiel „topp“ oder „flopp“ ist.

Kritisch wirds wenn diese Empfehlungen auf der Regellektüre oder sogar auf noch weniger basieren. Noch kritischer wird es, wenn ein Spiel bereits vor Veröffentlichung online seziert und auseinandergenommen wird.

Das ist vermutlich nichts neues, aber was zunimmt ist die öffentliche Sezierung eines Spieles, von dem nicht einmal die Regeln bekannt sind. König Artus z.B. wurde nach den ersten Presseinfos bereits mit Die Tafelrunde verglichen. Selbst betroffen bin ich mit Singapore, bei dem mir sogar etwas leichtfertig ein Plagiat unterstellt wurde – wohl gemerkt ohne auch nur die Regeln zu kennen!

Ich nehme an diese Entwicklung ist einfach die logische Entwicklung des Internets, bei der man sich immer mehr daran gewöhnt, schnell Informationshappen zu erfassen und die für sich selbst zusammenzufassen. Und man gewöhnt sich immer mehr daran all seine Gedanken ungefiltert und möglichst schnell ins Netz zu stellen – es ist ja nichts verwerfliches zu denken: „Das klingt ja wie Spiel Y“, es aber öffentlich zu tun, ist noch eine andere Nummer.

Das ist nämlich sogar kontraproduktiv und zwar aus (mindestens) zwei Gründen:

Erstens behindert es die Spieleentwicklung ungemein, wenn ein Autor immer angst haben muss, dass ihm bereits bei rudimentären Unterschieden im Thema oder Mechanismus vorgeworfen wird, er hätte abgekupfert. Das lässt sich nur umgehen, wenn man wartet, bis das Spiel, um das es geht etwas aus den Köpfen raus ist.

Vor allem aber erschwert es die Meinungsmache. Wer im Internet liest „Die Suche ist 1:1 von Entdecker abgekupfert“ oder eben  „Singapore wird mit Glen More verglichen“ , der wird sich das so oder so irgendwie merken. Untersuchungen haben ergeben, dass man sich solche Vergleiche merkt, auch wenn es im Text darum ging, dass der Vergleich Unsinn ist ! Mit anderen Worten: Wer schreibt X ist ganz anders als Y, der bewirkt tatsächlich eine unbewusste Verknüpfung der Titel bei seinem Leser! Das bedeutet aber, dass die obige Vorverurteilung auch noch auf falschen Daten beruht. Wenn Agricola mit Puerto Rico verglichen wird (wie auch immer), dann werden in Zukunft einige Spieler bewusst oder unbewusst ihr Urteil beim Kauf des einen von ihrer Vorliebe oder Abneigung des anderen gegenüber abhängig machen, obgleich die Spiele nichts miteinander gemein haben.

Man sollte also tatsächlich öfter mal die Klappe halten. Andererseits, wem sag ich das? Dem Internet? Das weiß es längst ;-)

ciao

peer

Peer Sylvester
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5 Kommentare

  • Nanana, das jeder das schreiben kann was er denkt und was er meint, willst du doch jetzt nicht ernsthaft Kritisieren wollen? – Es liesst sich ein wenig so.

    Das Problem ist doch, das „die Leute“ viel zu leichtgläubig sind. Es wird alles geglaubt. Angefangen davon das irgendjemand schreibt Spiel A wäre ja ein Plagiat von Spiel B, ohne das er das irgendwie begründet, bis hin zu Dinge wie das in Oslo ein weiterer Anschlag stattgefunden hätte (so traurig es ist, diese Falschmeldung wurde an dem Tag Stundenlang z:b. von N-TV verbreitet).

    Wenn die Leute ein wenig kritischer wären, und nicht *jede* Lüge die die Bild-Zeitung oder RTL verbreitet glauben würden, wäre die Welt ein ganzes Stück besser. (Und vermutlich um ein paar Schmutz-Medien ärmer).

    Atti

  • Ich bin ein Verfechter der freien Meinungsäußerung, insofern darf natürlch jeder schreiben, was er will. Allerdings bringt Freiheit auch immer Verantwortung mit sich und das wird gerne vergessen :-)

  • Wenn Spiel Y gegenüber Spiel X nur „rudimentäre Unterschiede im Thema oder Mechanismus“ vorweisen kann, dann mag der Vorwurf des Abkupferns wohl auch gerechtfertig sein. ;)
    Ich nehme an, du meinst „rudimentäre Gemeinsamkeiten“. Dann macht die Sache Sinn.

  • Ah, das ist der alte Papstcode: Im 17. Jahrhundert wurde empfohlen in Korrespondenzen jeden 3 Satz so zu schreiben, dass er das Gegenteil dessen aussagt, was er eigentlich sagen sollte. Alte Gewohnheiten und so…

    Nein, hast natürlich recht :-)

  • Ich vermute, es wird weiterhin so bleiben, gerade in Zeiten des Internets, wo jeder seinen Senf zu allem dazu geben kann. Und wie mein Vorredner schon sagt, glauben die Leute alles.

    Nichtsdestrotz muss man damit leben, dass wenn man einen ausgefallenen Mechanismus oder ein nicht so häufig auftretendes Thema in sein Spiel einbaut, Vergleiche gezogen werden. Das muss auch nicht immer negativ sein, vielleicht werden so auch Leute zum kaufen animiert.

    Mit Plagiatsvorwürfen muss man da doch allerdings schon sehr vorsichtig sein. Ich glaube die wenigsten Autoren versuchen abzukupfern, und es ist unmöglich, alles zu kennen, was es auf dem Markt gibt. Außerdem orientiert man sich immer an dem, was man kennt. Von daher sind manchmal ein paar kleine Gemeinsamkeiten nicht abzustreiten.

    MfG, Christopher