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Überfällig oder Überflüssig?

Sorry, noch mal zum Kennerspielpreis. Ich hab die Arbeit der Jury ja gelobt, aber eine Sache krieg ich nicht auf die Reihe: Warum einen Kennerspielpreis? Nein, eigentlich: Warum jetzt?

Ich verstehe was die Jury damit erreichen will, zumindest glaube ich das. Aber so richtig hat sie noch nicht kommunizieren können, warum man diesen Preis plötzlich braucht. In seinem Kommentar spricht Juryvorsitzender Tom Felber davon, dass es jetzt besonders viele Spiele im oberen Anspruchsniveau gibt und man dieser Tatsache Rechnung tragen will. Das Problem dabei: Warum braucht man dann einen neuen Preis? Zumal der die Bandbreite der Spiele zumindest in diesem Jahr nach oben nicht wirklich erhöht. Es ist nichts drauf, was nicht auch schon zuvor auf der Liste hätte stehen können. Defacto wird ja nur ein Spiel mehr nominiert als in den letzten Jahren; das hätte man auch ohne neuen Preis machen können.

Ein anderes Argument taucht andernorts auf: Die Jury hat gemerkt, dass die anspruchsvolleren Spiele nicht von der Zielgruppe gespielt werden. Das ist insofern interessant, weil es den Kern dessen trifft, um den jedes Jahr erneut gerne gestritten wird: Ab wann ist ein Spiel zu anspruchsvoll für den Titel „Spiel des Jahres“? Soll man eher das Spielen fördern oder die (Neu-) Spieler fordern? Ein Kennerspiel kann nun diese Frage abmildern, denn die Nicht-Kennerspieler sollten bewältbar sein, die Kennerspiele zwar auch, aber unter der Flagge „Für Fortgeschrittene“ lassen sich Streitfälle sicherer unterbringen. Die Frage ist nur: Ist das wirklich nötig? Hier sehe ich zwei Möglichkeiten:

1.) Ja, ist es, weil viele der anspruchsvolleren Titel (z.B. Torres, Tikal, Thurn & Taxis – Hm, vielleicht sollte man einfach auf Spiele die mit T beginnen verzichten?) nicht gespielt werden und auf Flohmärkten versauern. Wenn dem wirklich so ist, dann ist der neue Preis überFÄLLIG, denn das bedeutet die Jury hats seit langem gewusst und in den letzten Jahren versucht mit ihrer Nominierungs-aber-dannn-Hauptpreis-an-weniger-anspruchvolles-vergeben-Strategie irgendwie die Kurve ohne den Kennerspielpreis zu kriegen. Da aber immer mehr „Kennerspiele“ erscheinen, lassen sich diese schlicht nicht mehr ignorieren und die Jury hat sich quasi ihrem Schicksal gefügt.

2.) Nein, ist es nicht, denn auch wenn man mit etwas anspruchsvolleren Titeln nicht jeden erreicht, so gilt das auch für alle anderen Titel: Mit Dixit oder Barbarossa wird man auch nicht jeden erreicht haben. Und die Schwemme der Kennerspiele in den letzten Jahren deutet eher daraufhin, dass die vermeitlich zu anspruchsvollen Spiele vielleicht doch den Markt irgendwo bedienen. Dann wäre der Preis überFLÜSSIG.

(Eine dritte Möglichkeit kann ich ausschließen: Die Leute werden nicht dümmer oder so. Alle Studien sagen das Gegenteil. Wer jetzt auf PISA verweist, dem sei gesagt, dass PISA gar keine Aussage darüber macht, ob die Lesefähigkeit absolut gestiegen oder gesunken ist; sie sagt nur etwas zum Stand der Lesefähig relativ zu anderen (Bundes- oder OECD-) Ländern aus. Und bei der ersten OECD-Lesestudie in den 70er Jahren schnitt Deutschland bereits recht armselig ab, weswegen auch fast 30 Jahre lang auf weitere Tests verzichtet wurde).

Was jetzt zutrifft: Ich bin mir da unsicher. Vermutlich beides ein bisschen.

ciao

peer

 

Peer Sylvester
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5 Kommentare

  • Deine Argumentationskette ist klasse. Ich bin mir sicher, dass die Jury vor 30 Jahren wirklich das Beste Spiel genommen hat, weil es wirklich das Beste war. Die guten Spiele sollten gefördert werden.

    Heute muss man eher geringeres rausbringen, weil sonst keine Chance mehr auf den wichtigen Preis existiert. Als würden der Oscar nur noch an Filme vergeben werden, die sich am Besten an der Kasse machen und nicht an jene, welche auch die Besten sind.

    Der ganze Ansatz momentan ist nichts Ganzes und nichts Halbes. Und ich fühle mich wieder bestätig:. Es mangelt in erster Linie an der Kommunikationsfähigkeit des Jury. Und das in Zeiten der Social Medias, wo alle Unternehmen die Kommunikation neu lernen müssen.

  • Ein Film, wie der letzter Schnabelfilm über das Log-In-Syndrom, übrigens sehenswert, bekommt auch nicht den Oscar. Es stimmt, der Oscar geht nicht unbedingt an den Kassenknüller, aber auch nicht an die größte Avantgard. Und wer anscheidet, was Beste ist, und vor allen Dingen das Beste für wen, für Spezialisten oder für das gemeine Publikum.

  • „Nein, ist es nicht, denn auch wenn man mit etwas anspruchsvolleren Titeln nicht jeden erreicht, so gilt das auch für alle anderen Titel: Mit Dixit oder Barbarossa wird man auch nicht jeden erreicht haben.“

    Mit KEINEM Spiel wird man alle erreichen. Aber mit den einfacheren Titeln wird zumindest verhindert, dass das Spiel auf dem Dachboden versauert, weil der erste Versuch, es zu spielen, gescheitert ist und das Spiel von da an den Ruf „das haben wir noch nie gespielt, ist uns zu kompliziert“ hat, obwohl das Spiel bei den betreffenden Familien -falls gut erklärt- eigentlich gut ankommen könnte.

  • Natürlich, aber Barbarossa z.B. wird schon bei dem einen oder anderen versauern, weils mit Knete ist. Auf Ahse haben meine Altern nicjht gekauft, weils mit Lastwagen war. Und Um Reifensbreite wird von vielen nicht angefasst, weil die Graphik katastrophal ist.
    Sprich: Das Anspruchsniveau ist ein Grund warum Spiele versauern – aber nun nicht der einzige. Warum konzentriert man sich auf den? (Wobei ich jetzt natürlich schon dafür plädiere die Zielgruppe im Auge zu behalten, aber die Rufe „Oh nein, XY könnte nicht verstanden werden“ sind auch etwas Panikmache. Niemand ruft „Oh nein, das Spielprinzip von Dicit ist zu subtil!“)

  • Obwohl 1999-2000 zwei sehr anspruchsvolle Spiele hintereinander gewonnen haben (Tikal und Torres), hat der Preis keinen Schaden daran genommen und die Leute haben weiterhin auf die Jury vertraut. Peer hat Recht: Der Anspruch alleine darf es nicht sein.