So, wo waren wir stehen geblieben, bevor wir von der Jury so jäh unterbrochen wurden? Ach ja…
Eines der Argumente gegen Kickstarter war ja, dass es dort keine Redakteure gibt, die ein Spiel erst so richtig gut machen. Ein für mich nachvollziehbares Argument, denn das ist einer der Gründe warum ich mir nichts bei The Gamecrafter bestelle (ein anderer sind die Portokosten). Andererseits gibt es zahlreiche gute Spiele die von ihren Autoren herausgebracht worden sind und erst danach den Weg zu einem größeren Verlag gefunden haben (oder gar nicht): Haste Bock/Shear panic, Kahuna, Packeis am Pol, Linq, Puzzle Strike, Peloppones, The great Fire of London 1666 (jetzt mit neuer Rezi)…
Was macht ein Redakteur eigentlich? Nun, erstmal sucht er sich (oft) die Spiele aus, die er gerne produzieren möchte. Hier hat er natürlich einen Vorteil gegenüber Kleinverlagen: Nämlich schlicht mehr Auswahl. Ein Autor hat nur ein begrenztes Portifolio an Spielen (seine eigenen), während ein etablierterer Verlag aus Hunderten von Spielen wählen kann. Allerdings wird Redakteur in seiner Wahl dadurch behindert, dass er sich in der Regel auf Spiele konzentrieren muss, die zum Verlag passen: Amigo wird vermutlich in absehbarer Zeit keine Vielspielerstrategiespiele auf den Markt bringen und Alea sicherlich nur ein sehr begrentes Kontingent an Stich- oder Geschicklichkeitsspielen.
Der eigentliche Vorteil eines erfahrenen Redakteurs ist die Arbeit mit dem Spiel selbst: Auch wenn man keine halbfertigen Spiele an Verlage schicken sollte, finden die meisten Redakteure noch Dinge zum verbessern. Oder zumindest Dinge, die das Spiel mehr auf das Verlagsprogramm zuschneiden. Meine eigenen Erfahrungen sind da etwas gemischt; es hängt doch sehr an den Fähigkeiten des Redakteurs und den Vorstellungen des Verlages, was aus einem Spiel, an dem die Redaktion herumdoktort, wird. Bernd Brunnhofer z.B. gilt als ausgezeichneter Tüftler, der fast jedes Spiel, das er bearbeitet hat, noch etwas verbessern konnte (da kann ich nur aus zweiter Hand berichten, da ich selbst bislang noch nicht mit ihm zusammengearbeitet habe). Der Hauptvorteil liegt natürlich auf der Hand: Ein Redakteur hat zum einen eine größere Distanz zum Spiel als ein Autor und daher weniger Skrupel entscheidene Änderungen vorzunehmen. Außerdem hat ein guter Redakteur die nötige Erfahrung, um zu wissen, wie man noch kleinere Kanten abschleifen kann oder auf was man achten muss. Hier liegt der eigentliche Wert einer vernünftigen Redaktionsarbeit (und hier unterscheiden sich auch die Verlage in ihren Erzeugnissen voneinander: Einige Redaktionen sind einfach besser als andere und damit auch die veröffentlichten Spiele).
ABER: Ein professionell arbeitender Kleinverlag kann diese Redaktionsarbeit ebenfalls übernehmen! Vorraussetzung ist freilich ein distanziertes Verhältnis zu den eigenen Spielen (=Den Willen auch etwas zu verändern) und viele Testspiele nebst zugehöriger Kritikfähigkeit. Ein Autor, der sein Spiel so gut findet, dass er es veröffentlichen will, muss es dennoch sehr viel testspielen und auch den Willen besitzen, das Spiel anzupassen. Alle oben genannten Spiele sind bei Kleinverlagen erschienen, die sehr gewissenhaft dieses oberste Credo verfolgen. Es ist also nicht so, dass ein Redakteur zwangsläufig notwendig ist. Er hilft allerdings schon.
Wenn ich mir das erste Spiel eines Eigenverlages anschaue (etwa in Essen) gucke ich mir gar nicht unbedingt das Spiel selbst an – vielmehr versuche ich zu eruieren, ob der Autor weiß was er tut: Habe ich den Eindruck er kommt aus der Spieleszene? Ist es vielleicht sogar ein Autor, der bereits Spiele veröffentlicht hat? Dann ist in der Regel auch das Spiel einen ersten Blick wert. Wenn nicht: Macht Spiel und Autor den Eindruck da ist Entwicklung eingeflossen? Bei einem Essenstand konnte der Autor einmal eine Regelfrage nicht beantworten, die mir bei der Erklärung in den Sinn kam (und das war nix exotisches) – da schrillten gleich Alarmglocken!
Ein Punkt wo sich eine gute Redaktion übrigens bemerkbar macht, ist bei den Regeln. Ich kenne kaum einen Kleinverlag mit wirklich gut formulierten Regeln. Aber deswegen würde ich Selbstveröffentlichungen nicht per se ablehnen. Wie jeder, der meinen Blog liest, wohl auch weiß.
Redaktionen sind gut, keine Frage, aber sie sind nicht überlebensnotwendig.
ciao
peer
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