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Ein Interview, ein Skandal und zwei neue Spiele

Wie gesagt: ich weise in diesem Blog gerne auf kleine Verlage hin. Das liegt einfach daran, dass ich einen Faible dafür habe, Spiele abseits des Mainstreams zu finden (Ich hoffe der eine oder andere Leser interessiert sich genauso für diese Interviews wie ich). Großbritannien ist besonders ergiebig, denn seit dem Waddingtons oder Spear verschwunden sind fehlt dort ein „echter“ Großverlag. Die Lücke wird gefüllt durch zahlreiche kleine Verlage: Fragor, Fiendisch Games, JKLM, Ragnar Brothers und auch Reiver Games. Mit Jackson Pope habe ich ein Interview geführt (leicht bearbeitet, wie immer):
F: Wie begann Reiver Games?
A: Vor etwa sechs Jahren spielte ich Mighty Empires mit ein paar Freunden. Die Partie dauerte etwa 36 Stunden als ein paar Zufallselemente Drachen ins Spiel brachten und der Führende dadurch auf den letzten Platz zurückgeworfen wurde. Wir brachen das Spiel ab und dachten uns: Es müsste doch möglich sein, ein ähnliches Spiel zu erfinden, dass in einer Stunde gespielt werden kann, so dass es besser in unsere heutige Zeit passt, wo wir alle weniger Freizeit haben und so. Das Spiel was dabei rauskam war Border Reivers. Ich hab etwa vier Jahre daran gearbeitet, bis ich endlich vollkommen zufrieden damit war und es als vollwertiges Spiel in meinen Schrank legen konnte. Dort lag es etwa ein Jahr rum und dann dachte ich mir: Warum soll ich es nicht einfach produzieren? Im Juli 2006 gründete ich Reiver Games und stellte 100 Exemplare in Handarbeit her.

Ich bin nach wie vor der einzige Mitarbeiter. Ich bekomme eine Menge Unterstützung, Hilfe und gute Ratschläge von meiner Frau, meinen Freunden und meiner Familie, aber ich bin derjenige der produziert, vertreibt und die Spiele auf Messen vorstellt.

F: Worauf achtest du beim Spieleerfinden? Was kann man von deinen Spielen erwarten?
A: Ich versuche alle Elemente so auzubalanzieren, dass jeder Zug den Spieler vor eine interessante Wahl stellt. Border Reivers gibt einem eine Menge Optionen, die alle ihre eigenen Vor- und Nachteile haben und der Spieler muss entscheiden, welcher Zug am besten zur jeweiligen Situation passt.
Ich konzentriere mich zudem auf Spiele, die ein schönen Thema mit einem spaßigen Mechanismus verbinden. It´s Alive ist da ein gutes Beispiel!

F: Was ist deine Zielgruppe?
A: Vielspieler (Geeks)! Als Engländer (der leider auch keine andere Sprachen spricht) ziele ich natürlich vor allem auf den Spielmarkt der USA und Großbritanniens, hab aber auch schon Spiele nach Europa, Asien und Australien verkauft. Einige Kunden haben die Regeln für mich ins italienische und japanische übersetzt!

F: Erzähle uns doch von deinen Spielen!
A: Border Reivers war ein einfacheres Wargame, ein bisschen wie Risiko, aber mit moderneren Mechanismen. Es war für 2-4 Spieler entwickelt und eine Partie dauerte 20-90 Minuten. Ich hab 100 Exemplare hergestellt, die sich innerhalb eines Jahres verkauft haben.

It´s Alive is ein Versteigerungs- und Sammelspiel mit Frankenstein-Thema für 2-5 Spieler mit einer Spieldauer von 15-30 Minuten. Man spielt einen verrückten Wissenschaftler, der versucht die (Körper-)Teile zusammenzu bekommen, die man benötogt, um ein Monster zu bauen, ohne die Dorfbewohner zu beunruhigen. Ich habe 300 nummerierte  Exemplare in Handarbeit hergestellt und die sind fast ausverkauft (etwa 50 Exemplare habe ich noch).

F: Was wird die Zukunft bringen?

Mehr Spiele! Ich hoffe irgendwann den Punkt zu erreichen, an dem ich es mir leisten kann, Spiele professionell fertigen zu lassen und über Versand und Läden vertreiben zu lassen, anstelle alle Exemplare per Hand herzustellen und über die Webseite zu verkaufen.

Ich plane mehr Spiele, die Thema und interessante Mechanismen miteinander verknüpfen.

In Essen werde ich dieses Jahr ein oder zwei Spiele präsentieren. Um herauszufinden, welche das sind, musst du regelmässig mein Blog lesen oder dich auf meine Mailingliste eintragen. So lange noch nichts entschieden ist, gebe ich keine Details bekannt.

Eine zweite Auflage von Border Reivers ist nicht von mir geplant, aber ein anderer Verlag hat durchaus Interesse an einer verbesserten zweiten Auflage (Seit dem Erscheinen hab ich doch viel in Bezug auf Spieldesign gelernt).

F: Bist du auch an Prototypen von anderen Autoren interessiert?
A: Its Alive ist von dem Israeli Yehuda Berlinger und seit der Veröffentlichung habe ich etwa 20 Prototypen von anderen Autoren bekommen und angeschaut. Ich bin immer an neuen Spielen interessiert.

Vielen Dank für das Interview!

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Der japanische Spielepreis für das beste japanische Spiel geht dieses Jahr erstmals an ein „echtes“ japanisches Spiel: Bursa. Allerdings handelt es sich anscheinend eher um ein Lernspiel, dass den Ablauf der Börse verdeutlichen soll. In japanischen Spielekreisen heisst es, dass das Spiel von Mitarbeitern des Verlages an die Spitze gepusht wurde – Hat der japanische Spielepreis (ein Abstimmungspreis ähnlich dem DSP) seinen ersten Skandal? Jedenfalls diskutieren die Verantwortlichen bei U-More bereits über Maßnahmen für die Wahlen im nächsten Jahr.

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Gestern kamen gleich drei Neuheiten auf den Spieltisch: Toledo, Jamaica und Keltis. Für Jamaica ist eine Rezi geplant, daher konzentriere ich mich auf die beiden Kosmos-Neuheiten.

Toledo (ausführliche Spielbeschreibung hier)lässt mich etwas ratlos zurück. Wir waren zu viert und die anderen drei Spieler mochten es, aber für mich hats irgendwie nicht „Klick“ gemacht. Und noch schlimmer: So richtig kann ich auch nicht in Worte fassen, was mich genau gestört hat. Das Thema ist jedenfalls gut umgesetzt: Es geht darum, Stahl und Diamanten zu erwerben und damit Schwerter zu schmieden. Sehr passend finde ich, dass es möglich ist, sich zu duellieren, wenn ein bestimmtes Feld (und damit eine bestimmte Aktion) besetzt ist und dass man den Schwertkampf lernen kann. Auch geht jeder Zug recht schnell, da man immer nur eine Aktion durchführt. So gibt es keine langen Wartezeiten. Und doch: Irgendwie spricht mich das Spiel nicht an! Obs daran liegt, dass Aufmachung und Spielablauf ein anspruchsvolleres Spiel suggerieren, als es durch den Glücksfaktor letztlich ist oder obs daran lag, dass ich eine riskante Strategie gefahren bin, die an zwei unglückliche Duellen gescheitert ist und ich dann faktisch aus dem Spiel raus war (War riskant, das werfe ich dem Spiel nicht vor, eher schon dass es solche Make-or-break-Situationen gibt, zumal die Duelle aus ganz anderen Gründen veranstaltet wurden, nicht um mich zu stoppen) oder obs daran liegt, dass Toledo letztlich ausser dem Thema nichts neues bietet – nur eine Reihe bekannter Mechanismen in bekannter Kombination. Keine Ahnung. Ich müsste es noch einmal spielen, um mir ein Urteil bilden zu können. Bernd Eisenstein hatte ein anderes Problem: Die Partien gingen zu rasch zu Ende. Ich kann verstehen wie das kommt und vermute ein Group-Think-Problem: Gehen alle auf die „Kleine Schwerter schmieden, dann schnell raus“-Strategie gehts vermutlich schnell zu Ende. Bei uns setzten alle (außer mir) auf die „Die tollsten Schwerter müssen her“-Strategie und dadurch war die Spieldauer im normalen Rahmen.

Bei Keltis ist dagegen das Urteil klar: Supergut! Keltis ist im Prinzip eine Multiplayer-Variante von Lost cities. Um die Wertung klarer zu machen gibt es ein Spielbrett, auf dem vorangesetzt wird. Um Vorzusetzen werden Karten nach Lost-Cities-Manier vor einem abgelegt (pro Karte ein Schritt auf der entsprechenden Farbleiste). Allerdings ist statt aufsteigender Sortierung auch eine absteigende erlaubt (allerdings natürlich nicht beides innerhalb der selben Farbe). Natürlich gibt es Minuspunkte für angefangene Leisten, auf denen man nicht mindestens 4 Felder geschafft hat und es gibt auch eine Verdopplungsmöglichkeit. Neu sind einige Spezialfelder, die schöne Kettenzüge erlauben. Insgesamt nicht nur eine gelungene Mehrspieler-Variante sondern noch ein paar Ecken knackiger als Lost Cities. Bei LC hatte ich irgendwann das Gefühl: „OK, es ist immer noch irgendwo spannend, aber die Grundstrategie ist klar. Obs sie aufgeht hängt letztlich an den Karten. „. Hier ist es nicht so einfach – schon alleine weil mehr Spieler mitspielen, aber eben auch durch die Spezialfelder (die immer zufällig ausgelegt werden). Insgesamt ein knackiges, einfaches Spiel mit optimalem Spannungsbogen und Spieldauer. Das einzige was man dem Spiel vorwerfen könnte ist, dass es etwas überproduziert ist – der großen Schachtel hätte es wohl nicht bedarft. Ansonsten für mich ein absolutes Highlight!

Nach meiner Betrachtung der Literaturverspielung bin ich nun natürlich noch gespannt was Kosmos (respektive Rüdiger Dorn) aus dem Buch Reise zum Mittelpunkt der Erde gemacht hat. Aber das muss ja erst einmal erscheinen…
Oh und falls Kosmos hier mitliest: Mir ist gerade aufgefallen, dass mein Quizspielkonzept, an dem ich gerade arbeite, perfekt zu einer Literaturverspielung á la Schott passen würde – also wenn ihr Brockhaus-das Spiel plant, sagt Bescheid :-)

ciao
peer

Peer Sylvester
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4 Kommentare

  • Hi Peer!

    Interessant, dass dich Toledo auch ratlos zurückgelassen hat… na ja – sooo ratlos waren wir da dann doch nicht, sondern haben es allesamt als unterdurchschnittlich befunden. Zu schnell gings nur in der ersten Runde. Die zweite verlief etwas normaler, da auch große Schwerter zum Zug kamen. Zum Glück muss ich’s nicht mehr spielen, im Gegensatz zu den Brettspielmeisterschaftsfinalisten in Herne.

    Viele Grüße
    Bernd

  • Lieber Perr,
    wer wurde am 09.03.2008 von dir interviewt?
    Wo / Wie kann man diese Person erreichen, um ggf. ein Rest-Exemplar von „it`s alive“ zu bestellen?
    MfG: Silvio