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Diversity, Gleichstellung und Inklusion sind kein Problem.

Auf dem kürzlich stattgefundenen Tag der Brettspielkritik erwähnte die Referentin Cosima Werner den Begriff Unbehagen im Zusammenhang zu Themen wie Vielfalt, Gleichstellung und Inklusion in der Brettspielszene. Insbesondere war es die Festellung, dass Spieler*innen diese Themen nicht im Mittelpunkt des Selbstverständnis der Brettspielszene sahen. Diversity, Inklusion, Sexismus, etc sind „heiße“ Themen, welche außerhalb der Wohlfühl-Mitte der Brettspielszene stattfanden.

Dabei sind es Themen, die jeder halbwegs aufgeklärte Spieler kennt und die jeder halbwegs erfahrenen Spieler*in vertraut sind. Man weiß von der starken Zentrierung der mitteleuropäischen Perspektive in der Wahl der Spielthemen. Sie ist gekoppelt an die naive Annahme, dass jeder neugierige Blick auf “exotische” Orte wie Istanbul, Cuzco oder San Juan vorurteilsfrei sein muss, wenn doch keine böse Absicht dahinter steckt.

Wer Brettspiele nicht nur oberflächlich betrachtet, sollte aber bereits wissen, dass dem nicht so ist. Es herrscht immer ein Missverhältnis zwischen denen, die sich in europäisch geprägten Vorstellungswelten fremder Orten ergehen und denen, welche diese Orte Heimat nennen und als gar nicht so exotisch und fremdartig empfinden. In den letzten Jahren baute sich darum eine zunehmende Sensibilisierung für derartige Themen auf. Cultural consultants oder besser noch aktiv am Design beteiligte Personen aus dem entsprechenden Kulturkreis wurden wichtiger. Sie sollten dafür sorgen eben dieses Missverhältnis aufzulösen.

An Stelle der zentral-europäisch verzerrten Sicht auf „das Fremde“ soll eine authentische Abbildung der kulturellen Charakteristika in den Spielen erreicht werden. Dass der Anspruch Kulturkreise abzubilden an sich voller Probleme und Widersprüche steckt, will ich hier mal außen vor lassen. Vielleicht ergibt sich zu einer anderen Zeit Gelegenheit darüber zu sprechen. Es herrscht meiner Einschätzung nach aber die Ansicht vor, dass diese Schritte ein Anfang sind, aber noch keine Lösung.

Dahingegen finde ich eine Äußerung erwähnenswert, die Harald Schrapers (Spielekritiker und Betreiber der Seite brett-spiel.de) in diesem Zusammenhang am Tag der Brettspielkritik gemacht hat: „Ich glaube, das Problembewusstsein ist größer als die Lösungskompetenzen.“

Es gilt als weithin akzeptiert, dass bestimmte Menschengruppen einen schwierigeren Zugang zum Brettspiel haben als andere. Spielen ist nicht aus sich selbst heraus eine ausgrenzende Beschäftigung. Aber es gibt einige, manchmal nur schwer in Worte zu fassende, Rahmenbedingungen, die es einigen Menschen schwer machen am Spielen teilzunehmen. Das Resultat lässt sich an der gefühlt fehlenden Präsenz einzelner Personengruppen in Veranstaltungen wie dem Tag der Brettspielkritik festhalten. Die Szene fühlt sich in solchen Ballungsmomenten wie ein Zerrbild der Gesellschaft an, in der wir leben.

Nur sind wir Kritiker*innen bestenfalls in Einzelfällen ausgebildete Sozialwissenschaftler*innen, und daher nur selten in der Lage die Gründe für dieses Zerrbild exakt und glaubwürdig zu benennen. Obendrein sind wir in noch viel selteneren Fällen in einer Position des politischen Einflusses, um eine messbare Veränderung bewirken zu können. Das bezeugt zumindest unser Selbstverständnis und das bereits erwähnte Zitat. Allerdings denke ich, dass wir uns damit in eine wohlmeinende (wenn auch bequeme) Position der Hilflosigkeit bewegen, die unseren eigenen Werten nicht gerecht wird. Es war wichtig und notwendig, den Ist-Zustand der Szene kritisch zu betrachten und dessen Probleme auszuarbeiten. Allerdings halte ich dieses Aufzeigen von Problemen, diese Ermahnung dessen was fehlt, für ein Hindernis, wenn es darum geht Dinge zu verändern.

“Der Weltraum, bekannte Weiten” zündet halt nicht

Wie wäre es denn, wenn wir – statt die institutionellen oder auch gesellschaftlichen – Ungleichheiten in der Brettspielszene zu bemängeln und mit dem Finger darauf zu zeigen, eine neue Position einnehmen würden? Wie wäre es, wenn wir unsere Begeisterung für Veränderung in den Vordergrund stellen würden? Ich kann mir nicht vorstellen, dass das wiederholte Mahnen und Bedauern der Mängel innerhalb der Szene, einen Veränderungswillen aufbaut. Ich glaube eher, dass so eine Art der Abhärtung und damit auch Gleichgültigkeit genährt wird. Ohne klare Lösungswege und Handlungsmöglichkeiten zu kennen, entsteht lediglich das Gefühl einer Ohnmacht gegenüber der großen Ungerechtigkeit in der Welt um uns herum. Was kann ich schon dagegen tun, dass Verlag XYZ immer noch auf Kolonialismus setzt und dabei lediglich weiße Designer und Künstler ohne Bezug zu den behandelten Orten einbezieht?

In solchen Situationen wird die Ohnmacht schnell zum Schutzpolster, welches verhindert, dass man die eigene Komfortzone verlassen muss. Das muss auch nicht mal Vorsatz sein wie es etwa die derzeitige Regierung in Fragen des Umweltschutzes handhabt. Es kann ein ganz unbewusster Prozess sein. Man bedauert die eigene Ohnmacht, kann sich aber keine Alternative vorstellen.

Genau an diesem Punkt, können Kritiker*innen, Content-Creator*innen und Influencer*innen in meinen Augen stärker wirken. Statt unsere Begeisterung für Vielfalt und für Inklusion dadurch zu betonen, dass wir sie immer dann einfordern, wenn sie fehlt; könnten wir doch die genuine Freude am Anderen und Interesse am Unbekannten nach vorne stellen. Es liegt in unserer Hand auf die Themen und Spiele zu schauen, die abseits der vertrauten Pfade liegen. Wir können und müssen uns in unserem öffentlichen Wirken auch eine Brettspielszene vorstellen, die vielfältiger und bunter ist als wir sie bisher haben. Vor allem müssen wir uns genau daran wieder erfreuen können.

Vielfalt und Offenheit darf nicht als Arbeit verstanden werden, die wir noch leisten müssen. Es sollte nicht als mühsames Ablegen fest gefahrener Überzeugungen definiert sein. Wir sollten uns nicht um detailliert überlegte Antworten und Argumente den Kopf zerbrechen müssen, warum wir mehr Vielfalt und Offenheit suchen. Eine vielfältige und offene Brettspielszene sollte die logische und zwingende Folge unsere tatsächlichen Freude und Wertschätzung all derer zu sein, die uns nicht gleichen.

Eine solche Begeisterung und Wertschätzung der anderen bedeutet unter anderem auch, dass man sich von abgegriffenen Witzchen wie „ich als alter weißer Mann“ frei macht. Solche kurzen Einschübe sollen natürlich zeigen, dass dem Sprecher die eigene, privilegierte Position bewusst ist. Aber sie lenken unvermeidlich die Aufmerksamkeit auf den Sprecher und nicht auf das Thema. Sie zentrieren – gerade durch den Versuch der ironischen Brechung – erneut das Weiße und das Männliche. Auch ich gelobe dahingehend Besserung. Ich habe selbst viel öfter auf diese Phrase zurückgegriffen als ich es eigentlich möchte. Ich will damit abschließen. Nicht zuletzt, weil ich mich bei dem Satz fast schon so stark fremdschäme, wie bei den abgehalfterten Witzen über die Partnerin, die nicht erfahren darf wie viel Geld man(n) für Spiele ausgibt. Oder schlimmer noch: die Betonung, dass ich auch schon mal Spiele gegen sie verloren habe.

Darum sind Diversity, Gleichstellung und Inklusion kein Problem, welches man konstatieren aber nicht verändern kann. Es sollte vielmehr das Ziel sein, welches wir nur dadurch erreichen können, dass wir es Teil unserer alltäglichen Teilnahme an der Brettspielszene machen. Wir müssen und sollten diese Inhalte wieder in die Mitte der Szene setzen, statt sie als heiße Eisen am Rande der Brettspiel-Bubble zu meiden. Wir können eine Brettspielszene nicht von innen heraus verändern, wenn wir diese Veränderung als mühsam und unsere Fähigkeiten übersteigend begreifen. Wir müssen uns darauf besinnen, dass alles was wir noch nicht kennen ein Grund zur Begeisterung ist. Es sollte wieder Teil unseres Selbstverständnis werden, dass viele neue Einflüsse und uns noch unvertraute Perspektiven nicht nur eine Bereicherung sind, sondern eben auch der Grund sind, weshalb wir nicht noch immer die selben Spiele spielen wie vor 1979.

Georgios Panagiotidis