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ttt: Titel, Themen, Tonalitäten

Ich habe jetzt mal Neuland gespielt, um mich auf die SdJ-Verleihung vorzubereiten. Meine Meinung zu dem Spiel selbst wird vermutlich im nächsten Redebedarf zu erfahren sein. Ich werde es in diesem Beitrag jedenfalls nicht rezensieren. Aber ich möchte den Anlass nutzen ein paar Worte über Titel, Thema und Tonalität des Spieles zu verlieren, denn es ist ein interessantes Beispiel dafür wie insbesondere die letzten beiden Dinge miteinander agieren. Oder eben nicht.

Wie schon im Podcast besprochen ist der Titel des Spieles in Deutschland sehr viel, ich sach mal, “deskriptiver” als im Ausland (Neuland gegenüber LOOOT, also in etwa BEEEUTE!!!). Das interessante ist jetzt: Der Deutsche Titel passt besser zu den Spielerhandlungen, der Originaltitel besser zum Thema.

Vom Setting her ist Neuland tatsächlich überraschend brutal: Wie gehen in ein anderes Land und schleppen dort alles, was nicht niet-und nagelfest ist (inklusive Bäumen und Burgen) in unsere Heimat. Wir spielen also tatsächlich einen Raubzug. Das geschieht nun zwar auf eine sehr Eurogamige Art und Weise – Neuland ist ein Einsetz- und Legespiel – aber es ist im Spielablauf klar deutlich, dass wir  Beute (siehe Originaltitel) machen. Nun sind Spielhandlungen erst einmal abstrakt und benötigen daher einen Kontext um von den Spielenden interpretiert zu werden. Der Kontext besteht dabei unter anderen aus Titel, Graphik und Setting.  Jener Kontext setzt den Ton: Dieselben Spielerhandlungen in einem Kolonialismus-Setting wären sehr viel schwärzer: Wir kommen in ein fremdes Land und nehmen dort die Rohstoffe zurück ins eigene Reich. Oder wie wäre es damit: Man geht in New York zu einem anderen Mafiaclan und nimmt deren Waffen und Drogen weg? Ob das als geschmacksloser und witziger wahrgenommen wird, hängt dann an der Tonalität der Graphik. Eine andere Alternative: Tiere und Pflanzen aus einem bedrohten Gebiet herausholen und in einem Naturschutzgebiet umsiedeln. Heldenhaft und Süß!

Wikinger: Mal Krieger….

Ein Setting spielt also eine große Rolle, wie das Spiel wahrgenommen wird. Die Macher von Neuland (ob Verlag oder Autoren weiß ich nicht) haben sich bei Neuland für ein Wikingersetting  entschieden. Das Verschleppen von Dingen aus dem Ausland in die eigene Heimat passt zu den tatsächlich durchgeführten Spielehandlungen (auf einem Plan einsetzen, entsprechend kassieren, das eingenommene auf eigenem Plan einsetzen). Dabei hat das Wikingersetting gegenüber dem Kolonialismusthema den Vorteil, dass heutzutage niemand mehr aufgrund der Geschehnisse der Wikinger benachteiligt ist und dass das Thema nicht die Implikation beinhaltet, dass bestimmte Menschen sich das Recht verdient hätten, andere auszubeuten. Nicht umsonst sind Wikingerthemen seit etwa 20 Jahren recht beliebt, die Wikingerkultur ist das Spielerische Äquivalent zum Kirchenbau im Mittelalter geworden – man hat eine ausreichende Vorstellung davon, wie die Dinge wohl funktionieren, wobei Vorurteile oder falsche Bilder niemanden benachteiligen und keine problematischen Assoziationen wecken. Wenn die Geschichte hier zudem positiver dargestellt wird, als sie war, entsteht kein wirklicher Schaden.

… mal lustige Saufkumpanen

Allerdings sorgt die Schachtelgraphik und der Originaltitel dafür, dass das Thema zusätzlich noch ironisch-überspitzt wahrgenommen werden kann. Hierdurch wird noch einmal betont, dass es ja ein ziemlich friedliches Spiel ist, keine Schlachtensimulation. Gewalt kommt nicht vor, Unterdrückung auch nicht, alles ist eher Wicky und die starken Männer statt Vikings. Das ist für ein gehobenes Familienspiel angemessen, die Gefahr besteht aber dennoch, dass mit dem Originaltitel ein reines “Funspiel” assoziiert wird. Bei Neuland aber fallen keine Würfel, wird nichts gezeichnet oder geblufft oder so, sondern die Spielenden puzzlen knallhart kalkuliert ihre Auslagen zusammen und das ist mitunter durchaus eine stille Angelegenheit. Dieses Spielgefühl wird durch den Deutschen Titel tatsächlich besser benannt; “Neuland, das klingt nicht spektakulär, das kann alles sein, wird aber vermutlich doch am ehesten mit einem Eurogame assoziiert. Also mit dem was es auch ist.

Nun ist es eine Frage der Sichtweise, ob es besser ist einen Titel zu wählen, der knackig klingt und somit neugierig macht, aber eventuell dabei falsche Erwartungen weckt oder doch lieber einen “ehrlichen” Titel, der bestenfalls die Zielgruppe anlockt, die dann aber auch bekommt, was sie erhofft. Für beides gibt es gute Argumente. Das betrifft aber den gesamten Kontext des Spieles: Die Graphik kann die Interpretation des Titels unterstützen oder unterlaufen – in diesem Fall passt die eher neutrale, weichgezeichnete Graphik zu beiden Titeln. Ginge sie etwas mehr ins Comichafte würde sicherlich die Loot-Richtung eher unterstützt, ginge sie eher in die Civilization-Richtung die Neuland-Interpretation. Noch realistischer oder gar brutaler, dann würde sie eine gänzlich andere Zielgruppe ansprechen, die sich in dem Spiel dann gar nicht wiederfindet. Titel, Thema und Tonalität bilden eben einen Dreiklang – deswegen sind Themendiskussionen (welche sind gut/blöde) auch recht sinnbefreit, wenn sie nur einen der Bestandteile abbilden (das Setting etwa). Zusammen ergibt erst der Dreiklang eine Erwartungshaltung an ein Spiel. Moment, mal, habe ich da nicht bereits letzte Woche drüber geschrieben? 

ciao

peer

Peer Sylvester
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