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Khôra – Aufstieg eines Imperiums

Verlag: Iello / Hutter
Autor: Head Quarter Simulation Game Club
Spieleranzahl: 2-4
Alter: ab 14 Jahren
Spieldauer: 75 Minuten

Vielleicht bin ich nicht der einzige, der den Fehler gemacht hat Khôra – Aufstieg eines Imperiums für ein gewöhnliches Eurogame zu halten. Alle Merkmale liegen schließlich vor: eine Siegpunktleiste, viele Aktionskarten, Plättchen die es zu sammeln gilt, Leisten auf denen man nach oben wandert, usw. Die Grafiken sind hübsch, aber haben nur dezente Auswirkungen auf das Spielerlebnis. Auch spielt man nicht mit der Angst im Nacken, dass etwas Erreichtes zerstört oder weggenommen wird. Die Interaktion – so wie sie in Khôra möglich ist – erlaubt es nicht ein mal sich in Schadenfreude zu suhlen, wenn jemand anders am Tisch sich grün und blau ärgert.

Spielbretter basieren entweder auf Landkarten oder Excel-Tabellen

Dabei ortet man Khôra viel besser in das andere Spielgenre ein, welches häufig aber unbestimmt in den Raum geworfen wird: es ist ein Strategiespiel. Diesem bis in die Austauschbarkeit abgenutzten Begriff wird durch Khôras Spieldesign wieder Schärfe und Kontur verliehen. Es ist ein Design, welches Strategien von Spieler*innen einfordert, statt sich mit ihren taktischen Entscheidungen zufrieden zu geben.

Vor einiger Zeit trat ich unfreiwillig eine kurze Diskussion los, als ich laut überlegte, ob Spieldesign nicht mehr umfasst als Regeln und Themenauswahl. Illustrationen, grafisches Design aber auch das Spielmaterial selbst spielen doch ebenfalls eine Rolle. Die Antwort darauf fiel bestimmt aus und duldete keine Widerrede. Produktdesign und Graphik unterstützen das Design, sie sind aber nicht Teil davon. Basta. Nun stelle ich fest, dass mich Khôra in meinen Überlegungen bestätigt.

Da liegen sie nun und lachen hämisch in ihrer Unantastbarkeit

Um sich das Design Khôras zu erschließen und seine Ausrichtung zu verdeutlichen, reicht ein Blick in die Regeln nicht aus. Es entwickelt sich auch aus dem Spielverlauf oder einem stimmungsvollen Erzähltext kein klareres Bild, was es mit dem Spiel eigentlich auf sich hat. Stattdessen sind es kleine sechseckige Plättchen auf denen die Zahl 90 prangt, die es braucht, damit das Spiel zündet. Ein altbekanntes Spielelement, mit dem man anzeigt, dass man die Siegpunktleiste mit seinem Spielstein umrundet hat.

In der ersten Partie kamen diese Plättchen nicht zum Einsatz. Auch in der zweite und dritten Partie sah es nicht danach aus, dass irgendjemand am Tisch sie benötigen würde. Das warf Fragen auf. Welchen Zweck hatten sie? Warum gab es diese Plättchen in jeder Spielfarbe? Wie muss man das Spiel eigentlich spielen, damit man diese Plättchen nutzen kann?

Die Antwort war eigentlich ganz einfach. Man muss aktiv eine Strategie verfolgen, statt schrittweise einen möglichst großen Haufen Punkte zu machen. Dafür ist es nötig beim Spielaufbau die Handkarten mit Weitblick und Bedacht zu wählen, da diese bereits als Orientierungshilfe für das eigene Spiel dienen. Diese Karten können persönliche Verbesserungen bieten, kurzfristige Vorteile oder – und das ist vielleicht der wichtigste Punkt – Bedingungen liefern, deren Erfüllung Siegpunkte bedeutet. Mit anderen Worten: aus einer zufälligen Auswahl wählt man welche individuellen Ziele man sich setzen will.

Diese Form des selbstbestimmten Spielens ist nicht nur hoch motivierend, sondern führt Erfolg und Misserfolg immer wieder auf die eigenen Entscheidungen zurück. Es ist eben nicht die Konkurrenz, die den eigenen Sieg vereitelt. Selbst die Unberechenbarkeit der Würfel ist mit ausreichend strategischer Erfahrung nur ein Risiko, welches man in den Griff bekommen kann. Khôra entwickelt einen beeindruckenden Sog, weil es Spieler*innen Selbstbestimmung zugesteht und dadurch eine Herausforderung auf einem selbst zugemuteten Niveau bietet. Das kann zum Beispiel auch der Einsatz des 90-Punkte-Plättchens sein.

Die eigene Stadt in vier Leisten erfasst

Darum prangt auf Khôras Schachtel, trotz des einfachen Rundenablaufs, der Hinweis Expertenspiel. Statt mit einer Vielzahl an Anreizen überzogen zu sein, an denen das Design die Spielgruppe an die Hand nimmt, ist es den Spieler*innen selbst überlassen aus den verfügbaren Zielen und Hürden zu wählen.

Dass es dafür verhältnismäßig wenig Material und Regelumfang braucht, ist Beleg für das klare und präzise Design, welches Khôra so beeindruckend macht. Der Rundenablauf ist auf jedem Tableau dokumentiert und in wenigen Worten zusammengefasst. Würfeln, Aktionen auswählen und anschließend wahlweise Marker nehmen oder verschieben. Viel mehr macht man in einer Runde nicht, aber dennoch entsteht ein Spiel daraus, welches den eigenen Ehrgeiz zu wecken und zu halten weiß.

Falls dieses phänomenale Spiel eine Schwachstelle hat, dann ist sie vielleicht im notwendigen Vorwissen zu finden. Man benötigt einen gewissen Weitblick, um das Gesamtbild zu erkennen und zu begreifen. Die Entscheidungen zu Beginn des Spiel sind untrennbar mit der Auflösung zum Ende des Spiels verbunden. Das liegt aber nicht daran, dass der Ausgang bereits durch frühe „Fehler“ vorweggenommen ist. Die sonst übliche hohe Frequenz an Zwischenerfolgen und eingeschobenen Belohnungen wird durch einen Spannungsbogen ersetzt, der erst am Schluss seine Auflösung findet. Diese Langfristigkeit prägt das Spielgefühl von Khôra sehr viel stärker als es die meisten Eurogames derzeit tun. Khôra setzt voraus, dass die Spielgruppe gewillt ist Geduld zu zeigen, bevor sie für ihr Handeln belohnt wird.

Johan Huizinga beschrieb das Wesen des Spielgedankens (bzw. Spielhaltung) als Wagemut, die Bereitschaft Risiken einzugehen, das Ertragen von Ungewissheit und Spannung. Khôra liefert in seinem Design die Grundlage für ein eben solches Spielerlebnis. Es bedient eine unverfälschte Lust am Spielen, Knobeln und auch Optimieren, wie es kaum ein anderes Spiel in letzter Zeit geschafft hat. Das gelingt ohne in eine Materialschlacht auszuufern oder das Studieren komplexer Regelinteraktionen einzufordern. Der ungewohnt einfache Zugang mag dazu verleiten Khôra als gewöhnliches Eurogame abzutun. Aber wenn der Ehrgeiz erst mal auf kleiner Flamme entfacht wurde, enthüllt sich ein mitreißendes und kniffliges Strategiespiel. Es ist ein Design welches große Pläne belohnt und Erfolge darum umso zufriedenstellender sind. Vor allem ist es ein Spiel in dem die eigene Bestleistung einem mehr bedeutet als der gewonnene Wettstreit.

Khôra – Aufstieg eines Imperiums ist ein frühes aber umso erfreulicheres Highlight des jungen Spieljahres.

Georgios Panagiotidis
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