Es gab eine Zeit in der Computerspielgeschichte, wo der MS Flight Simulator eines der meistverkauftesten Spiele war. In den 90er Jahren waren Flugsimulatoren ein vielbeachtetes Genre, dass in etwa mit Falcon II (oder so, es war nicht mein Genre) seinen Höhepunkt erreicht haben dürfte. Doch es gab ein Problem: Ab einem gewissen Punkt wurde die Zielgruppe immer kleiner, desto realistischer die Simulation wurde. Das Problem war systemimmanent: Einerseits definieren sich Simulationen dadurch, dass sie etwas so genau wie möglich nachahmen wollen. Der Spielspaß einer Simulation liegt eben darin begründet, dass man das Gefühl bekommt, man würde -beispielsweise- ein Flugzeug steuern können. Je realistischer die Simulation, desto stärker dieses Gefühl. Doch andererseits wird die Simulation mit zunehmenden Realismus immer komplexer. Videospielrezensent Michael Hengst schrieb einmal, dass er bei einer Simulation bereits das Gefühl hatte, er würde seinen Flugschein machen, so viel Lernarbeit musste er investieren, um das Spiel zu lernen. Logisch: Irgendwann erfordert eine Simulation ähnlich viel Theorie und Praxiserfahrung wie die Realität. Und nur wenige würden sich dies in ihrer Freizeit aussetzen wollen. Und die kleine Gruppe, die das tut, braucht dann schon so viel Investment für EIN Spiel, dass sie sich kaum allzu viele weitere Spiele des Genres besorgt, die dann alle einen ähnlich hohen Einsatz an Zeit und Lernwillen erfordern.
Flugsimulationen hatten das Problem, dass ein „weniger“ an Komplexität der Kernidee des Genres zuwiderläuft, aber ein „Mehr“ an Komplexität dem Spielspaß konträr ist. Ähnliches ließe sich über Fußballmanagerspiele oder Sim City sagen: Die Einfachheit der Anfangszeit wurde sukzessive ersetzt, durch immer komplexere, „realistischere“ Programme, die aber immer weniger Leute ansprechen konnten, da die Hürde für Neulinge immer größer wurden und immer mehr “casual gamers” sich abgehängt fühlten. Irgendwann geht es dann weder vor- noch zurück und ein Genre wird zur Nische.
Bei Brettspielen liegt die Gefahr meines Erachtens nicht in einem größer werdenden Realismus; Selbst innerhalb der (meisten) Wargames, hat man mittlerweile verstanden, dass Spiele eher Modelle, keine Simulationen sind. Schon allein weil der Input über abstrakte Mechanismen (Würfel, Karten, Aktionspunkte…) geschehen muss, sind Brettspiele eine Stufe abstrahierter als Computersimulationen (Georgios hat da letzte Woche was zu geschrieben).
Das heißt aber nicht, dass Brettspiele nicht in eine ähnliche Falle hineintappen könnten. Bei komplexen Euros ließ sich z.B. eine Weile ein deutlicher Trend zu immer mehr und immer verschachtelteren

Mechanismen und Wertungen erkennen. In meiner Wahrnehmung hat sich das in den letzten Jahren etwas entspannt – mittlerweile verlangen auch Hardcore-Eurasten zumindest eine gewisse thematische oder logische Kohärenz in den Regeln, ein Spiel wie Civolution wäre zudem vermutlich ohne die didaktische Aufbereitung der Redaktion nicht so beliebt gewesen.
Wo ich die Gefahr der Spirale eher sehe, ist im Bereich der Kickstarter-Kampagnenspiele. Mal abgesehen von der Ungewissheit der Zukunft dieses Genres aufgrund der Zölle, zeigen diese Spiele bemerkenswerte Parallelen zu den Flugsimulationen damals: Um sich abzuheben, um erfolgreich zu sein, muss ein neues Spiel mehr bieten: In diesem Fall kein mehr an Realismus, sondern ein mehr an Inhalt: Längere Kampagnen, elaborierte Welten, mehr Text, Beschreibungen, Charaktere, Spieldauer, Kampagnendauer, Miniaturen, Karten…. Die Spirale dreht sich nur in eine Richtung. Ein Frosthaven konnte gar nicht kürzer sein oder weniger bieten als Gloomhaven. Auch wenn sich Teile in Erweiterungen auslagern lassen: Ein neues Spiel muss insgesamt zumindest gefühlt mehr bieten, als das alte. Die Dauer der Kampagne ist hier der Marker, den der Realismusgrad bei Flugsimulationen darstellte: Ein vermeidlich objektiver Anzeiger, der die Güte des Spiele darstellte, abseits von „Spiespaß“.
Und wie eine immer bessere Simulation von immer weniger Leuten überhaupt noch beherrscht werden kann, so kann eine immer längere Kampagne von immer weniger Gruppen beendet werden. Sicherlich trägt der Reiz des Neuen eine Weile, zumal die Boxen ja auch mit Vorlauf geordnert werden, aber auf lange Sicht, sind die Spiele einfach zu teuer, um sie nicht zu spielen und wie viele halb fertige Kampagnen auch der/die größte Fan im Schrank stehen haben kann, bevor eine Grenze erreicht ist, mag ich nicht vorherzusagen. Aber: Wie bei den Simulationen nimmt die Anzahl der Spiele, in die man sich reinknien kann einfach mit mehr Inhalt ab. Der Markt ist dann gesättigt und muss sich verändern – z.B. in dem die großen Kampagnenspiele weiter in den Nischenbereich wechseln, wo aber weniger Verlage existieren können.
Das muss natürlich nicht so kommen. Wie gesagt, ist die Situation aufgrund der Weltwirtschaftslage sowieso sehr unsicher und vielleicht muss sich der Markt danach eh umorientieren. Möglich wären zum Beispiel kürzere Kampagnen, von denen es dann aber mehrere gibt – Kronologic oder das Arkham Horror Kartenspiel haben es vorgemacht. Die Frage ist, ob die Zielgruppe da mitgeht.
ciao
peer
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