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Drei steile Thesen, um den nächsten Spielabend zu sprengen

Gespräche sind schon immer ein grundlegender Bestandteil eines tollen Spieleabends gewesen. Man kann Small Talk führen, hören wie es den Freunden seit dem letzten Spieleabend so ergangen ist und manchmal – wenn man ganz besonders tief in der Materie steckt – unterhält man sich sogar über das Große und Ganze des Spielens selbst. So unterhaltsam diese Gespräche auch sein können, manchmal ist man sie auch einfach über.

Keine Angst. Hier gibt es ein paar steile Thesen (von flach bis raketengetrieben) um den nächsten Spieleabend richtig anzuheizen. Tatsächliche Ergebnisse können vom Idealzustand abweichen. Das durchgehende Augenzwinkern des Autoren wird hier nicht wiederholt erwähnt.

1. Wenn unausgeglichene Spielstrategien ein Designfehler sind, dann sind es schwer zu lernende Regeln auch.

Mozarts Lacrimosa hat nur in wenigen Kreisen den Arbeitstitel “imba” erhalten

Eine oft erwähnte Kritik von Menschen, die ihre erste Partie eines Spiels verloren haben ohne ganz zu begreifen was sie hätten anders machen können, lautet: das Spiel ist nicht „balanced“ und das hätte man beim Playtesting sehen sollen. Warum auch immer, es ist ganz klar die Schuld des Spiels. Was nichts anderes heißt als dass das Design fehlerhaft ist, oder gleich „broken“.

Das Argument dafür ist recht klar. Da sie das Gefühl hatten, dass sie keinen Einfluss mehr auf den Spielverlauf hatten nachdem jemand anderes am Tisch eine bestimmte Strategie verfolgte, hat das Spiel versagt. Es konnte seinem Zweck nicht nachkommen Spieler*innen ausreichend Einfluss zu geben, um das Spielziel zu verfolgen.

Wenn wir uns Spielregeln anschauen, könnte man das gleiche sagen. Wenn ein Spiel verspricht Spieler*innen Einfluss auf den Spielverlauf zu geben, aber diesen Einfluss hinter schwer-zu-verstehenden Anweisungen, Implikationen und unausgesprochenen Annahmen versteckt; scheitert das Spiel dann nicht auch seinen Zweck zu erfüllen?

Das Gegenargument lautet dabei für gewöhnlich, dass es Aufgabe der Spieler*innen ist zu lernen und herauszufinden wie man ein Spiel so spielt, dass sie das Gefühl haben ausreichend Einfluss üben zu können. Womit wir „unausgeglichene Strategien“ und „schwer-zu-lernende“ Regeln auf eine Ebene stellen. Wenn wir von Spieler*innen verlangen können sich mehr anzustrengen, um die Regeln zu lernen; können wir auch von Ihnen verlangen sich mehr anzustrengen um neue Strategien zu lernen. Wir können nicht das eine akzeptieren und das andere ablehnen.

2. Wer Monopoly als missverstandenes Familienspiel verteidigt, hat entweder Brettspiele oder ihre Geschichte nicht verstanden.

Die meisten Menschen lieben Geschichten in denen aus Feinden Freunde werden oder in denen der Bösewicht sich noch mal auf den Pfad des Guten bekehren lässt. Sie machen so viel Spaß, dass manche Menschen eine solche Geschichte herbei dichten wollen, selbst wenn es dafür keinen Grund gibt. Denn es gibt absolut keinen Grund Monopoly unter Brettspieler*innen zu rehabilitieren. Es ist ein schlechtes Spiel. Ja, auch wenn man es nach den Regeln spielt. Auch wenn die Grundstücke sofort versteigert werden. Auch wenn man Hausregeln entfernt. Je strenger man sich an die tatsächlichen Regeln des Spiels hält, umso offensichtlicher wird es, dass Monopoly ein schlechtes Spiel ist.

Weil es ein schlechtes Spiel sein soll. Das ist der einzige Grund weshalb das Spiel erfunden wurde. Man soll keinen Spaß dabei haben. Man soll sich über die Ungerechtigkeit und die Ausbeutung ärgern. Mittendrin aufzustehen und zu gehen, oder sogar den Tisch umzuwerfen ist vollständig Teil des beabsichtigen Ende des Spiels. Selbst wenn man die ausdrücklichen, textlichen Hinweise aus Liz Magie’s ursprünglichem Landlords’ Game entfernt, bleibt ein Spielerlebnis, welches genau diese Gefühle in Spieler*innen weckt.

Natürlich, gibt es Schadenfreude. Monopoly kreist unentwegt um Momente in denen man über das Missgeschick anderer lachen kann oder sogar davon profitiert, dass andere schrittweise die Möglichkeit verlieren am Spiel teilzunehmen. Wer das für gutes oder sogar großartiges Design hält, sollte sich vielleicht fragen was es über einen selbst sagt, wenn man sich daran ergötzt, dass es anderen schlechter geht als einem selbst.

3. Die Behauptung, dass Brettspiele Geschichten erzählen, zeigt lediglich dass es Brettspieler*innen an Medienkompetenz fehlt.

Geschichte wird von den Spielenden geschrieben

Geschichten sind ein sehr dehnbares Konzept. Es ist sogar so, das die Dinge aus denen eine Geschichte besteht eh an das Medium angepasst werden müssen, durch das jemand eine Geschichte erzählt. Man beachte hier den Gebrauch das Wortes „jemand“ also „eine Person“. Geschichten erzählen ist eine sehr menschliche Eigenschaft, eine kulturelle Praxis wenn man so will. Es gibt unzählige Gründe weshalb wir uns Geschichten erzählen. Um zu lehren. Um zu unterhalten. Um Gemeinschaften zu bilden. Um über Ideen zu reflektieren. Um unsere Gefühle auszudrücken. Um mit anderen mitzufühlen usw.

Geschichten werden von Menschen erzählt, nicht von Gegenständen. Wir benutzen manchmal Gegenstände, um eine erzählte Geschichte darin festzuhalten, aber die Gegenstände selbst sind nicht die Geschichtenerzähler*innen. Die Gegenstände sind das Medium. Die Erzählenden sind Menschen. Es ist dieses ganz grundlegende Verständnis, welches es möglich macht, dass wir ein Buch lesen können als etwas das von einer Person geschrieben wurde, damit andere es lesen können. Um ein Buch eben gerade nicht als zufällig entstandene Worte auf Papier zu sehen, welche unfreiwillig eine Bedeutung haben. Wir verstehen, dass hier eine erzählende Person mit Hilfe des Mediums uns eine Geschichte erzählt.

Es gibt Stimmen, die glauben dass Spiele ebenfalls wie Bücher funktionieren. Dass ein Spiel ein Medium ist, durch das Autor*in/Designer*in ihre Geschichte erzählen. Diese Menschen meinen es gut, aber sie haben Unrecht. Brettspiele sind ein partizipatorisches Medium. Das ist so stark ausgeprägt, dass egal welche Bedeutung ein Spiel, seine Ereignissen und Komponenten besitzt, sie von Spielenden zugeschrieben wird, nicht von Designer*innen. Ein Phänomen welches Huizinga bereits erkannt hatte und als magischen Zirkel umschrieb. Wenn man hier wirklich tief in die Theorie abtauchen will, kann man auch den Kern dieser Idee bereits in Literatur, Film, Musik, Theater, usw. finden. Derridas Dekonstruktivismus ist nichts weiter als ein grundlos provokanter Versuch zu zeigen, dass kein Text die Autor*in-Intention vollständig bewahren kann. Jede Schauspielgruppe kann die eigene Deutung auf ein aufgeführtes Stück legen. Die vielen Ausrichtungen der Filmkritik gibt es nur, weil ein Publikum verschiedene Ansichten darüber haben kann, was sie gerade gesehen haben.

Unabhängig davon wo man den Ursprung der erzählten Geschichte festmacht, die wir beim Spielen erleben, wenn man versteht wie ein Medium funktioniert, dann besteht kein Zweifel daran dass entweder Designer*in oder Spielende die Menschen sind, welche Geschichten erzählen.

Wer nun mit diesen Thesen gewappnet ist, sollte auf dem nächsten Spieleabend mit Sicherheit eine leidenschaftlich geführte Debatte vom Zaun brechen können. Wohl bekomm’s.

Georgios Panagiotidis