spielbar.com

Das ist doch gemein!

Man kennt Spielsituationen und auch Spiele, die oft als “gemein” bezeichnet werden. In der Regel fällt der Begriff, weil man sich geärgert fühlt. Mal von Spiel selbst und manchmal auch von den Mitspielenden. Dabei gilt ein Spiel meistens als gemein, weil man es dort mit „destruktiver” Interaktion zu tun hat. Eine Situation in der man sich etwas erspielt oder aufgebaut hat, und welches von anderen wieder zerstört wird.

Dabei können Spiele aber auch als gemein gelten, weil Mitspieler*innen einem bestimmte Dinge gezielt verweigern. Es ist ein Frustrationspunkt, der auch “Königsmacherei” zu einem Schimpfwort unter Vielspieler*innen werden ließ. Der vermeintlich gebührende Sieg wird durch die Entscheidung eines Unbeteiligten verweigert. Aber auch das Blockieren eines wichtigen Aktionsfeldes ist eine solche Verweigerung. Unabhängig der Beweggründe anderer am Tisch, empfindet man es fast als persönliche Kränkung, wenn jemand am Tisch verhindert, dass man das bekommt was man benötigt.

Dabei lässt sich diese Reaktion kaum dadurch unterbinden, dass man nicht bemerkt, wenn es passiert. So ist auch unbemerktes Hate Drafting bei einem Spiel wie 7 Wonders (wenn man eine Karte aus dem Spielkreislauf nimmt, auf die jemand anderes wartet), eine Gemeinheit, welche oft für genug Schadenfreude sorgt, dass man sie sich nicht entgehen lassen will.

In dieser Ecke mehr als 6 Punkte zu holen ist sehr unwahrscheinlich

Manche Spiele wie etwa Lost Cities fußen einen großen Teil ihrer Strategie und auch des emotionalen Feedbacks darauf, dass man bestimmte Karten seinem Gegenüber so lange vorenthält bis sie für diese Person keinen Vorteil mehr bieten. Dabei fällt auf, dass Spiele für nur 2 Personen seltener als gemein bezeichnet werden. Das lässt sich am ehesten dadurch erklären, dass ihr Duell-Stil sehr deutlich gekennzeichnet ist. Oft handelt es sich um Nullsummenspiele, d.h. Spieler 1 kann nur hinzugewinnen, wenn Spieler 2 einen Verlust macht.

Daraus lassen sich zwei Beobachtungen ableiten. Gemeine Spiele sind entweder Spiele bei denen ich aufbauen will, aber mein Fortschritt gestört bzw. zunichte gemacht wird; oder es sind Spiele bei denen ich die Ziele anderer Spielenden verhindere oder direkt unmöglich mache. Die darauf aufbauende Folgefrage ist ebenfalls recht naheliegend: sind es die Spiele, die diese Gemeinheit herbeiführen oder stehen die Spieler*innen selbst dahinter? Kann ein Spiel mich dazu bringen Dinge zu tun, die ich nicht möchte? Kann ein Spiel mich dazu bringen meine „agency“ (etwa: Selbstbestimmtheit) aufgeben?

Im Allgemeinen kann man diese Frage mit Nein beantworten. Die Funktionsweise eines Spiels fußt darauf, dass Spieler*innen selbstbestimmt handeln können. Es ist eine notwendige Voraussetzung, damit ein Spiel überhaupt als interaktiv wahrgenommen wird. Wenn wir nicht selbst darüber entscheiden können, was wir als nächstes tun wollen, dann werden wir „vom Spiel gespielt“. Dementsprechend zeichnen sich moderne Spieldesigntrends vor allem darüber aus, dass sie Spieler*innen unterschiedliche Spielstrategien und damit auch Verhaltensweisen ermöglichen. Als 51st State damals erschien und mir am Stand erklärt wurde, war das eines der Verkaufsargumente: es ist möglich mit anderen Spieler*innen Handelsbeziehungen einzugehen, statt sie immer nur anzugreifen und ihre Einrichtungen zu zerstören. Für ein Spiel mit post-apokalyptischem Setting war das keine Selbstverständlichkeit. Aber auch unterschiedliche Siegbedingungen, wie etwa bei Sid Meier’s Civilization (2010) benennen neben dem Nullsummen-Spiel auch andere Formen des spielerischen Wettbewerbs.

Es ist also davon auszugehen, dass modernere Designs den Spieler*innen oft die Mittel in die Hand geben, um das Spiel gemein oder weniger gemein zu betreiben. Gibt es mehrere, annähernd gleichwertige Wege um ans Ziel zu gelangen und man wählt jene, die anderen Spieler*innen schadet, so ist das eine bewusste Entscheidung, keine Notwendigkeit. Es sind Spiele in denen man gemein ist, weil man es kann und sein will.

Es kündigt sich viel Konflikt für die nächsten Runden an

Ich habe vorhin bewusst die Einschränkung des „modernen“ Designs gewählt. Wer in der Spielgeschichte in paar Jahrzehnte zurückblickt, erkennt schnell, dass Spiele, die nur dadurch zu gewinnen waren (oder auch nur in Fahrt kamen), wenn man sich gegenseitig schadete, eine lange Tradition besitzen. Das Duellspiel, das Nullsummenspiel und auch ganz generell das metaphorische „Raufen“ mit anderen, war lange Zeit der Normalzustand für das was gemeinsames Spielen ausmacht. Arcs und Root (als Beispiele moderner Designs nach alten Werten) werden als gemein bezeichnet, weil hier die Rauflust der Spielenden axiomatisch ist, und sämtliche Regeln primär darauf abzielen genau diese Rauflust zu befriedigen. Wer aus anderen Gründen spielt, stößt schnell an unsichtbare Mauern, die den Spielspaß verhindern. Entsprechend ist dieses (gemeine) Spiel für viele alte Hasen der Normalzustand; und es sind die nicht-konfrontativen, „Kuschel-Spiele“, die eine verwässerte Form des Spielens darstellen. Dieses Verständnis des gemeinsamen Spiels färbt natürlich auch die Erwartungen und das Spielverhalten am Tisch deutlich ein.

Wer diese Einstellungen nicht teilt, oder ohne diese Vorprägung spielt, gerät schnell in Spielsituationen, die unbefriedigend sind und schlicht keinen Spaß machen. Diese Erlebnisse haben den Begriff des „gemeinen“ Spiels (diplomatischer: „konfrontatives Spiel“) verbreitet. Aber es wurde auch allgemein akzeptiert, dass man solche Spiele „aushalten können muss“. Ich störe mich sehr an dieser Art über Spiele und Spieler*innen zu sprechen. Ein ärgerliches oder unbefriedigendes Spielerlebnis ist nichts, was man aushalten oder ertragen muss. Man kann von anderen keine (noch so trivial wirkende) Leidensfähigkeit einfordern, damit der eigene Spielspaß ermöglicht werden kann. Der Anspruch ist ja nicht, dass man Schwimmen möchte ohne nass zu werden; sondern dass man Schwimmen will ohne ins Wasser geschubst zu werden.

Die Launen des Marktes können einen in den Ruin treiben

Das Phänomen des gemeinen Spiels ergibt sich daher aus der Summe der Spieler*innen, welche das gegenseitige Schaden und Stören als wichtiges, fast schon sinnstiftendes Element des Spielens begreifen und den Spielen, welche an dieses Verständnis anknüpfen und die Handlungsmöglichkeiten der Spielenden auf diese Formen des spielerischen Miteinanders reduzieren. Food Chain Magnate, zum Beispiel, gilt als gemein, da hier die Folgen der eigenen Entscheidungen für andere extrem ausfallen können. Unabhängig davon, ob man einen derartigen Schaden beabsichtigt, kann das was sich andere aufgebaut haben, durch die eigene Entscheidung wertlos gemacht werden. Im Idealfall kommen diese Dinge am Tisch zusammen, und die vermeintliche „Gemeinheit“ verwandelt sich in direkter Linie in uneingeschränkte Spielfreude.

Häufiger scheint mir jedoch der Fall zu sein, dass entweder Spieler*innen oder Spiel nicht in eine der oben erwähnten Gruppen fallen. Es folgen Spielrunden, in denen man sich unangemessen geärgert fühlt. Oder es sind Spiele, die unnötig harte Auswirkungen auf den Spielfortschritt der Mitspieler*innen erzwingen. Dass beides als „gemein“ bezeichnet wird, scheint mir den Blick auf das Thema zu verzerren. Dabei hilft gerade in diesem Punkt, wenn man ein robustes Verständnis dafür hat was man selbst in einem Spiel sucht, aber auch welche Möglichkeiten ein Spiel anbietet oder ausdrücklich vorenthält.

Georgios Panagiotidis
Letzte Artikel von Georgios Panagiotidis (Alle anzeigen)