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Neutralität und so

Vor über 15 Jahren (wow) schrieb ich bereits, dass es komplette Neutralität im Journalismus nicht gibt. Insbesondere ist kein:e Spielekritiker:in unbeeinflusst- unabhängig davon, ob etwa Rezensionsexemplare gekauft werden oder ob man Leute aus der Szene kennt oder selber Spiele veröffentlicht. Das heißt nicht, dass alle Abhängigkeiten gleich problematisch oder unproblematisch wären – es ist natürlich schon ein Unterschied, ob ich in einer finanziellen Abhängigkeit mit Verlagen stehe (z.B. weil ich Anzeigen schalte oder die Spiele von mir veröffentlichen) oder ob ich mit Verlag X auf Kriegsfuß stehe, weil mich da ein Redakteur mal auf Social media angepflaumt hat. Das wichtigste Stichwort ist hier sicherlich Transparenz.

Ich kehre hier zu der Diskussion zurück, weil einer der wichtigsten Englischsprachigen Seiten, Shut Up & Sit Down, angekündigt haben, mit Play to Z (der neue Verlag von Zev Shlasinger) zusammenzuarbeiten. Das ursprüngliche Statement war in meinen Augen etwas unklar: Wie sieht die Zusammenarbeit jetzt eigentlich aus? Ist es ein reiner Sponsoring Deal, so wie die „Dice Tower Essentials“ – Reihe, die so weit ich das sehe, nichts weiter ist, als bezahlte Werbung oder steckt da mehr dahinter? Und was bedeutet das für SU&SD? In den Kommentaren der verlinkten Seite wurde eine längere Klarstellung veröffentlicht, außerdem habe ich noch einmal direkt bei Tom Brewster nachgefragt, wie die Zusammenarbeit aussieht.

Zusammengefasst handelt sich dabei nicht um (reines) Sponsoring, vielmehr ist eine echte Zusamenarbeit geplant: SU&SD wird Play to Z  bei der Auswahl an neuen Spielen sowie an deren Entwicklung unterstützen. Konkret bedeutet dies, dass sie einerseits Spiele vorschlagen, die Play to Z neu auflegen sollte. Das angekündigte Dogs of War fällt in diese Kategorie. Zum anderen wird Shlasinger ihnen einige Prototypen vorstellen, von denen er meint, dass sie SU&SD gefallen könnten und sie werden sich ihrerseits einen oder zwei davon aussuchen. In beiden Fällen werden Shut Up stark an der Entwicklungsarbeit eingebunden sein, also Verbesserung der Regeln und die ganze Redaktionsarbeit – wobei es naturgemäß mehr Arbeit an den Prototypen geben würde, als an den Neuauflagen. Es ist geplant immer zwei Spiele -eine Neuentwicklung und eine Neuveröffentlichung – parallel zu veröffentlichen. Die Spiele werden dann das Label von Shut up and Sit Down tragen und man kann davon ausgehen, dass die Spiele auch dort angekündigt werden.

Das wechseln der Hüte ist nicht immer einfach

Letzteres wird sicherlich für einige Fans das Problem darstellen, denn das ist der Bereich, der unter „Werbung“ fällt, wobei davon auszugehen ist, dass klar kommuniziert werden wird, dass dies keine Empfehlungen in dem Sinne darstellen, dass Shut up & Sit Down diese Spiele rezensiert, sondern eher, dass sie diese Spiele eben ausgewählt haben, weil sie sie so gut finden. Tom Brewster und Matt Lees haben in dem Moment eben einen anderen Hut auf: Den des Redakteurs statt dem des Kritikers. Kann man diese Hüte einfach so wechseln?

Nun, in der Vergangenheit hat es aus meiner Sicht eigentlich ganz gut geklappt: Shut Up and Sit Down haben bereits mit CMYK zusammengearbeitet (eine Monikers-Erweiterung sowie Entwicklungsarbeit an Wilmots Warehouse) und waren beratend an Mechs vs Minions tätig. Tatsächlich würde ich sagen, dass eine klar umrissende Entwicklungsarbeit für einen Verlag eine sehr viel logischere Entwicklung für eine:n Kritiker:in ist, als Sponsoring: Genau wie bei einer Kritik ist auch bei einer Entwicklung die Analyse gefragt, wie das Spiel tickt, für wen es gedacht ist, wie es gelesen werden kann und was wie und warum funktioniert. All das muss bei reiner Werbung mehr oder minder ignoriert werden. Unter der Prämisse, dass nichts so sehr beeinflusst, wie die Tatsache, Geld verdienen zu müssen, ist dies in meinen Augen der deutlich bessere Kompromiss. Zumindest hat sich Shut up and Sit Down den Vertrauensvorschuss bislang durch ihre -wie ich finde – gute Arbeit erst einmal verdient.

Nun bin ich ja selbst kein neutraler Beobachter, eigentlich bin ich sogar doppelt befangen: Zum einen nutze ich Shut Up & Sit Down als Quelle schon fast so langem wie sie existieren (ich glaube ich bin mit deren sechstem Video eingestiegen), ich kenne zudem Tom persönlich, habe mit ihm in den letzten zwei Messen ein paar Spiele gespielt und ihm eine Email geschrieben, auf die er geantwortet hat. Und natürlich bin ich selbst auch Spieleautor und werde natürlich nicht argumentieren, dass sich eine spieleschaffende Tätigkeit und Bloggen/Rezensieren ausschließen. Aber genau das ist ja der Punkt: Natürlich bin ich nicht unbeeinflusst. Die Frage ist ja, ob das eine Rolle spielt: Zum einen fuße ich meine Argumente (hoffentlich) nicht auf reiner Rhetorik oder Emotion, sondern auf logischen Analysen. Den Lesenden ist es überlassen, ob sie dieser Argumentation folgen. Es ist eben nicht nur niemand unbeeinflusst, es spielt auch eine Rolle, was für Auswirkungen eigener Bias haben kann. So lässt sich für Außenstehende nicht entscheiden, ob ein Unboxing-Video, eine Wiedergabe einer Pressemeldung mit einem enthusiastischen „Das klingt total super!“ darunter oder eine Regelnacherzählung mit dem Satz „Und wer solche Spiele mag, mag auch dieses“ reine Werbung oder gänzlich unbeeinflusster Ausdruck der jeweiligen Persönlichkeit ist. Auf der anderen Seite ist ein Artikel, der einzig und allein auf die Emotionen bezug nimmt und daraufhin ein absolutes Urteil fällt, natürlich auch ausnahmslos vom Bias abhängig. Eine ideale Kritik liegt zwischen diesen Extremen. Sie ist ein Diskurs oder zumindest eine Orientierungshilfe durch den Spieledschungel, eine Beschäftigung mit dem Objekt. Beeinflussung ist dann ein Problem, wenn sie diese Funktion nicht mehr vollständig ausführen kann.

Zum anderem geht es aber auch um Vertrauen (und damit auch wieder Transparenz). Niemand zwingt mich ex- oder implizit, diesen Artikel zu schreiben, ich gehe also davon aus, dass man erkennt, dass mir an der Debatte, gelegen ist, dass ich keine versteckten Agenden verfolge. Und mMn ist genau das entscheidende beim Spielejournalismus. Die Rezipienten entscheiden, ob sie die Arbeit der Schaffenden anerkennen oder nicht. Und sie werden letzteres dann tun, wenn sie das Gefühl haben, dass die Argumentation und Analysen Tiefe haben, dass Arbeit und Wert dahintersteckt. Mit anderen Worten: Wenn die Kritik die oben beschriebene Funktion erfüllen kann. Das kann man nicht „faken“.

ciao

peer

Peer Sylvester
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